Freitag, 19. April 2024

Archiv


Lenins wohl wichtigster Kampfgefährte

Noch immer hat er zahlreiche Anhänger, vor allem in Frankreich, Italien und in Südamerika. Und gut möglich, dass Leo Trotzki, Lenins vielleicht wichtigster Kampfgefährte, den Stalin im mexikanischen Exil ermorden ließ, das moralische Desaster der Kommunismus gerade deswegen ideologisch überlebte, weil er, anders als die meisten Opfer Stalins, nie rehabilitiert worden ist.

Von Claus Menzel | 21.08.2010
    Für seinen Gegner, Freund und Genossen Wladimir Iljitsch Lenin war er ein politisches und militärisches Genie, für den Grafen Brockdorf-Rantzau, der das Deutsche Reich zu Beginn der 20er-Jahre als Botschafter in Moskau vertrat, der nächst Lenin gescheiteste Politiker der Sowjetunion. Und der französische Außenminister Aristide Briand hielt allein ihn für fähig, Lenins Erbe erfolgreich anzutreten.

    Tatsächlich dürfte die Bedeutung Leo Trotzkis in den politischen und ideologischen Auseinandersetzungen während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum zu überschätzen sein. Er paarte intellektuelle Brillianz mit arroganter Eitelkeit, weltoffene Toleranz mit brutaler Skrupellosigkeit, strategische Weitsicht mit taktischer Borniertheit. Als Josef Stalin ihn ermorden ließ, am 21. August 1940, hatte Trotzki zwar schon lange keine politische Macht mehr. Noch immer aber faszinierte er große Teile jener linken Intelligenz Europas und Amerikas, die, von Stalins dumpfem Terror angewidert, ihren Glauben an die sozialistische Utopie nicht aufgeben mochten. Schließlich hatte doch gerade Trotzki davor gewarnt, sich von den Moskauer Schauprozessen entmutigen zu lassen:

    "Diese Prozesse haben ihre Ursachen nicht im Kommunismus, nicht im Sozialismus, sondern im Stalinismus, also in der verantwortungslosen bürokratischen und despotischen Herrschaft über das Volk. Aber es ist nun meine erste Aufgabe, die Wahrheit zu enthüllen."

    Geboren wurde Leo Trotzki als Lew Dawidowitsch Bronstein im Oktober 1879 - das fünfte Kind eines leidlich wohlhabenden ukrainischen Bauern. Sein Abitur hat er - als bester Schüler seines Jahrgangs - noch gemacht, doch schon mit 22 Jahren wanderte Trotzki als Revolutionär in die sibirische Verbannung. Er flüchtete, kehrte 1917 nach Petrograd zurück, verhandelte mit den Deutschen über den Separatfrieden von Brest-Litowsk und wurde, als konterrevolutionäre Interventionsarmeen das Sowjetregime militärisch zu beseitigen versuchten, obendrein noch Verteidigungsminister. Ganz zu Recht sehen Historiker in Leo Trotzki denn auch den Gründer der Roten Armee. Den Sieg der Revolution hat freilich gerade Trotzki später nicht nur den Rotarmisten, sondern vor allem den russischen Bauern zugeschrieben:

    "Die Tatsache, dass das Proletariat in einem der zurückgebliebensten Länder Europas zuerst zur Macht gekommen ist, scheint auf den ersten Blick ganz rätselhaft. Das aus dem Mittelalter sich emporhebende Bauerntum kann seine eigene Wut nicht politisch verallgemeinern, es sucht den Führer. Und diesen Führer hat das russische Bauerntum im
    Proletariat gefunden. Und das erklärt Ihnen das Wesen der Oktoberrevolution."

    Lange froh ist er seiner Erfolge nicht geworden. Den Kampf um das Erbe, der bald nach Lenins Tod zwischen ihm und Josef Stalin ausbrach, musste er verlieren. 1929 wurde Trotzki aus der Sowjetunion ausgewiesen, abermals wanderte er von Exil zu Exil, bis Mexiko ihn aufnahm und seine zeitweilige Geliebte, die Malerin Frida Kahlo, ihm das Haus schenkte, in dem er leben und arbeiten konnte. Ruhe fand er nicht, wollte er auch nicht finden. Als 1938 in den USA das zehnjährige Bestehen der trotzkistischen Bewegung und die Gründung der IV. Internationalen gefeiert wurde, meldete er sich mit einem flammenden Appell:

    "Erlaubt mir, mit einer Prophezeiung zu enden. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird das Programm der IV. Internationalen zum Leitfaden für Millionen, und diese revolutionären Millionen werden Herzen und Erde erstürmen! Lang lebe die sozialistische Arbeiterpartei der Vereinigten Staaten, lang lebe die IV. Internationale!"

    Rund zwei Jahre später bat ein junger Mann namens Ramon Mercader, Leo Trotzki kurz sprechen zu dürfen. Nachdem er eingetreten war, schlug er mit einer Spitzhacke auf Trotzki ein. Das Blut des Revolutionärs fiel auf das Manuskript, an dem er gerade schrieb: eine Stalin-Biografie.

    Weitere Informationen:
    Deutsches Historisches Museum: Biografie Leo D. Trotzki
    Essay und Diskurs, 8.8.2010 - Die Dämonen des Terrors
    Reihe: Politische Gewalt im 20. Jahrhundert