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Leon Battista Alberti, Baumeister der Renaissance

Dreißig Jahre nach Petrarcas Tod geboren, erwartete Leon Battista Alberti das Schicksal jener so genannten "Wegbereiter" der Geschichte: viel Arbeit, viel Unverständnis von Seiten der Mitbürger und wenig Ruhm. Denn sie bewegen sich abseits der Heerstraßen des geschichtlichen Fortganges in unerforschtem Gelände. Jacopo Bellini, Andrea Mantegna, Jan van Eyck, Masaccio waren seine Zeitgenossen, Dante, Petrarca, Giotto seine Vorgänger. Von allen diesen vereinigte er in sich große und seltene Talente und beherrschte nach Ansicht seines neuesten Biografen Anthony Grafton "all die traditionellen Künste des mittelalterlichen Höflings und dazu auch noch alle neuen des Renaissance-Intellektuellen". Alberti war Gelehrter, Dichter, Künstler, Baumeister, Sachverständiger in nahezu allen Bereichen der Kunst und des Ingenieurwesens.

Beatrix Langner | 04.09.2002
    Baumeister der Renaissance nennt Anthony Grafton denn auch seine Studie über Leon Battista Alberti und betont damit, wie bedeutend er dessen Verdienste im intellektuellen Milieu der toskanischen Stadtstaaten einschätzt. Doch den Ruhm des universalistischen Genies, den wir seit Jacob Burkhardts großem Buch über die "Kultur der Renaissance" mit dem Begriff des rinascimento verbinden, tragen jene davon, die nach ihm kommen und seine Arbeit vollenden werden: Leonardo und Michelangelo, Palladio und Bramante, Machiavelli, oder der Arzt, Mathematiker und Naturphilosoph Cardano, dessen Lebensgeschichte der amerikanische Historiker in seinem letzten auf deutsch erschienenen Buch nacherzählte.

    Albertis bekanntestes Werk "Über die Malkunst", soeben mit einem umfangreichen Kommentar neu ediert von Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt, entwickelte eine moderne Theorie des Sehens auf der Grundlage geometrischer und mathematischer Gesetze, erhob somit die schönen Künste zum ersten Mal in den Rang der antiken artes liberales. Alberti forderte, vor 600 Jahren ein ganz neuer Gedanke, für den Künstler denselben Respekt wie für den Ingenieur und technischen Erfinder. Über sein Leben sind außer einer anoymen Autobiografie des Vierunddreißigjährigen kaum Dokumente erhalten geblieben. 1404 in Genua geboren, sieht Leon Battista 1428 seine Heimatstadt Florenz zum erstenmal. Cosimo de Medici kehrt aus dem Exil zurück nach Florenz, besetzt in kürzester Zeit die Stadtämter mit seinen Parteigängern und leitet eine einzigartige Epoche der Baukunst und Malerei ein. Mit Cosimo kehren die verbannten Familienclans zurück, darunter die Albertis. In den dreißiger Jahren glänzte Leon Battista, dem Grafton ein unfehlbares Gespür für Modethemen und intellektuelle Trends nachweist, mit literarischen und kunsttheoretischen Schriften, in den vierzigern veröffentlichte er u.a. eine Schrift über Pferde. Für alles wußte er seinen Zeitgenossen Rat: wie sie ihre Frauen in Gehorsam hielten und ihre Pferde in gesunder Bewegung.

    Das vierbändige Werk "Über das Hauswesen - nach dem antiken Vorbild des aristotelischen "Oikomikos" - wurde ein Bestseller, Jahre vor Erfindung des Buchdrucks. Mitte der vierziger Jahre fand Alberti in Ferrara, wohin ihn 1438 ein päpstliches Konzil geführt hatte, am Hof der Markgrafen die Förderung, deren seine vielen Talente bedurften. Er beriet den Hof in Baufragen, machte seinen Einfluß als Autor von Schriften über Mathematik, Baukunst geltend. Er regte die Entstehung von Porträtmedaillen an und entwarf seine eigene, förderte die Erforschung des römischen Altertums anhand archäologischer Stadtrundgänge, entwickelte neue Kartographiermethoden aus der Verbindung von Astronomie und Geographie, machte Vorschläge für das Raumverhältnis von Skulptur und Architektur im Stadtbild und entwickelte ingenieurtechnische Verfahren zur Hebung antiker Schiffsrümpfe im Nemisee nahe Rom. Seinen Lebensunterhalt bestritt er bei der römischen Kurie, der er als Kirchenbeamter bis zu seinem Tod 1475 diente. So wurde er der "Dienstleistungsprofi", als den Grafton ihn porträtiert. Schließlich wirkte Alberti etwa ab 1450 selbst als Architekt und Stadtplaner und propagierte als erster den Trend zum Eigenheim im Grünen. "Der urbane Flaneur Alberti ", merkt Grafton an, "war auch der Prophet der Gartenstadt."

    Der exzellente Kenner der italienischen Renaissance behandelt Alberti aber in erster Linie als Autor und spürt, auf der Grundlage seiner Vorlesungen 1995/96 an der Columbia University, antike Quellen und zeitgenössische Adressaten seiner Schriften auf. Das Schreiben "nach Humanistenart" war hauptsächlich ein Nachahmen und Emendieren - ein Zentralbegriff dieses Buches, das etwa kritisches Lektorieren bedeutet- antiker Autoren. Und dies praktizierte Alberti ausgiebig, wie auch Grafton mit gleicher Sorgfalt liebevoll den Verästelungen philologischer Textvergleiche bis zurück zu den römischen Klassikern Plinius oder Cicero und in die griechische Antike zu Xenophon und Aristoteles folgt. Grafton vergleicht aber ebenso unerschrocken Albertis Jugendkomödien mit Alfred Jarry und seinen Traktat üben den Nutzen der Literatur mit Nietzsche und stellt ihn vor den anachronistischen Horizont einer zeitlosen Intellektualität, die uns noch die umständlichsten Arabesken des Albertischen Hofstils schmackhaft machen, serviert in feuilletonistisch gewürzten Häppchen.

    Im Unterschied zur europäischen Biografik mit ihrem immer noch fast ungebrochenen historischen Positivismus ist Graftons amerikanischer Stil so akademisch wie nötig und so erzählerisch wie möglich. Sein bei aller Detailfülle gut lesbares Buch erwirbt sich angesichts inflationärer Post-und Neohumanismusdiskurse vor allem Verdienste um die Begriffsklärung eines in aller Munde geführten Humanismus, der den Ursprung eines vernunftgeleiteten und selbstbestimmten Menschseins "nach Humanistenart" kaum noch .

    Darüber, welche Kirchen, Brücken und Stadtpaläste Alberti nun wirklich selbst entworfen hat, streiten sich die Historiker. Man ahnt aus Graftons umfänglicher Danksagung sowie dem Anmerkungsteil, wie dicht besiedelt das Forschungsfeld ist, auf dem er sich bewegt. Fest steht, dass er mehr geschrieben als gebaut hat, mehr Baumeister einer Sprache der Kunsttheorie als Künstler war. Vor allem aber war er der erste Theoretiker einer universalistischen Lebenskunst, die auf der individuellen Willensfreiheit und Ausreifung der natürlichen Begabungen gründete. Wenn auch nicht ganz freiwillig. Als unehelicher Sohn aus der patrizischen Erbfolge ausgeschlossen, litt er unter seiner Illegitimität in der Stadtkommune und der Ignoranz seines Clans und ließ dafür mit Vorliebe Familienmitglieder als Personen in seinen Dialogen auftreten. Er dedizierte seine Bücher den Fürsten von Urbino, Ferrara und Rimini, er suchte die Freundschaft von Berühmtheiten. Doch er blieb ein Ausgeschlossener, für den die Stadtgesetze nicht galten. Dieser "Seiltänzer der Selbsterschaffung", wie Grafton ihn nennt, war wohl in erster Linie ein virtueller Baumeister seiner selbst, ein Büchermensch, der die Gesetze der Rhetorik, ob er sich nun an die Hausordnung eines harmonischen Familienwesens oder den Entwurf einer Kirchenfassade machte, über die göttlichen und weltliche Gesetzgebung setzte, mit den Füßen noch im Mittelalter, mit dem Kopf in der Neuzeit.