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Lernen aus Volksabstimmungen

Eine vielsprachige, bunte Kundschaft hat es sich unter Sonnenschirmen an Kaffeehaustischchen bequem gemacht. Es werden gefüllte arabische Pfannkuchen verzehrt, und wer hinter dem Verkehrslärm genau hinhört, kann das Rascheln der Palmblätter im Wind vernehmen. Wo sind wir denn hier? In Dublin natürlich, auf dem neuen Holzstieg am Ufer des Flusses Liffey, im Herzen der Innenstadt, die noch vor wenigen Jahren so vernachlässigt und verwahrlost wirkte. Diese europäische Erfolgsgeschichte wurde in den letzten 31 Jahren von insgesamt sechs Volksabstimmungen begleitet. Jeder Integrationsschritt muss in Irland vom Volk abgesegnet werden, erklärt Jill Donoghue, Forschungsleiterin beim unabhängigen Dubliner Europainstitut.

Von Martin Alioth | 10.06.2004
    Man hört immer wieder von der großen Kluft zwischen der EU und der Bürger. Und die Tatsache, dass wir nach der Verfassung immer wieder ein Volksentscheid haben müssen, ein Referendum, bedeutet, dass die irischen Bürger das Gefühl haben, dass sie Europa mitgestalten.

    Aber gibt es da nicht einen gewissen Überdruss? Schließlich mussten die Iren gleich zweimal über den Vertrag von Nizza abstimmen, weil sie ihn beim ersten Versuch verworfen hatten.

    Je mehr Referenden wir halten, desto besser informiert sind die Bürger, und ich glaube, wenn man ehrlich ist, gibt es sowohl gute wie auch schlechte Seiten zu Europa. Ich muss sagen, dass im Großen und Ganzen die Iren eigentlich immer noch sehr pro Europa sind.

    Die gute Wirtschaftslage hilft bestimmt dabei. Paradoxerweise ist es indessen nicht mehr bloß der irische Wohlstand, der zur Nachahmung verlockt, sondern auch die bislang als geradezu schweizerisch verspottete Vorliebe für Volksabstimmungen.

    Ich glaube, es hat schon einen Vorbildcharakter, weil viele Länder sich jetzt überlegen, ob sie für den neuen Verfassungsvertrag ein Referendum halten sollen oder nicht. In einigen Ländern, ich weiß, zum Beispiel in Deutschland, ist das ausgeschlossen, also nach der Verfassung, aber in anderen Ländern überlegen sich jetzt die Regierungschefs, ob sie ein Referendum halten sollen, weil wir jetzt einen Verfassungsentwurf für Europa haben. Und wie unser Premierminister gesagt hat, der neue Verfassungsvertrag ist eine Verfassung für das Volk, und deshalb sollte ein Volksentscheid stattfinden.

    Eines ist unbestritten: Die Iren sind besser über die EU informiert als andere Partnerländer. Nach der ersten Schlappe des Nizzavertrags installierte die irische Regierung überdies ein monatlich tagendes Diskussionsforum über europäische Fragen, wo Politiker und Akademiker der Bürgergesellschaft Rechenschaft ablegen. Die Beteiligung des irischen Parlaments an der Entscheidungsfindung vor EU-Gipfeln wurde ebenfalls massiv verbessert. Jill Donoghue ist der Meinung, dass dies alles auch einen Einfluss auf die bevorstehende Europawahl hat.?

    Ich glaube wohl, weil einige Themen wahrscheinlich wieder auftauchen werden, die in Nizza aufgetaucht sind. Zum Beispiel die Frage der Neutralität Irlands und die Beziehung zwischen den Groß- und Kleinstaaten, der Verlust der Souveränität. Das sind Themen, die immer wieder auftauchen, egal, was besprochen wird oder was das Thema der Wahl ist.

    Der Subtext ist also immer das Grundsätzliche. Aber natürlich ging der Kampf um die 13 irischen Mandate in erster Linie um den eigenen Kirchturm. Der bisherige Erfolg der irischen EU-Präsidentschaft verbreitet eine rosige Stimmung, die neuen EU-Länder werden vorläufig nicht als Bedrohung empfunden, zumal der weltweit größte Computerchip-Hersteller INTEL gerade erst ankündigte, dass auch die nächste Technologiegeneration in Irland hergestellt werden soll. Jill Donoghue vom Europainstitut ist natürlich voreingenommen, aber ihr Optimismus widerspricht den objektiven Befunden eigentlich nicht.

    Die Iren interessieren sich, glaube ich, jetzt für die EU. Die Tatsache, dass Pat Cox, ein Ire, Präsident des Europaparlamentes war, bedeutet, dass diese Institution eigentlich stärker in der irischen Psyche ist als andere Institutionen, obwohl wir eigentlich ständig die Rolle der Kommission aufgespielt haben. Pat Cox, ist ein sehr kluger Mann und sehr artikuliert, auch die Botschaften von Europa sind sehr gut und sehr klar, und ich glaube, dass das auch einen Einfluss auf die Wähler haben wird.