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Lernen im Schlaf

Neurologie. - Schlaf mal drüber an diesem Ratschlag aus der Volkspsychologie ist mehr dran, als die meisten ahnen. Auch wenn wir es nicht mitbekommen, das Gehirn ist im Schlaf höchst aktiv. Es werden nicht nur die Speicher für wichtige Botenstoffe aufgefüllt das Gehirn überdenkt auch die Erfahrungen des Tages, wählt aus und speichert ab. Worauf dieses Lernen im Schlaf bei Maus und Mensch beruht ist ein wichtiges Thema auf der Tagung der deutschen Neurowissenschaftlichen Gesellschaft in Göttingen.

Von Volkart Wildermuth |
    Die Ratten im Labor von Professor Matthew Wilson am Massachusetts Institute of Technologie im amerikanischen Cambridge haben ein langweiliges Leben. Den ganzen Tag sind sie in ihren Käfig, können essen und trinken so viel sie wollen, haben aber sonst nichts zu tun. Aber irgendwann kommt ihre große Stunde. Die Nager dürfen in ein kleines Labyrinth, können überall herumstöbern und werden am Ende mit etwas Futter belohnt. Wenn sie dann schlafen, träumen sie von ihrem aufregenden Erlebnis, das glaubt Matthew Wilson nicht nur, das kann er wissenschaftlich belegen. In den Kopf der Tiere hat er hundert winzigen Elektroden eingesetzt, mit denen er die Gehirnaktivität der Ratten aufzeichnen kann. Und siehe da, im Traum wiederholen sich die Muster des Tages, allerdings mit einigen Verzerrungen:

    Ein Erlebnis des Tieres, das einige Minuten dauerte, wird in einem Bruchteil der Zeit wiedergegeben. Die Erfahrung ist in kleine Segmente zerstückelt, die sozusagen zu einer MTV Version des Tages zusammengesetzt werden, Folgen von zwei bis drei Sekunden langen Schnipsel, dadurch wiederholt das Gehirn eine Riesenmenge Information in kurzer Zeit. Das könnte einen großen Einfluss auf das Lernen und das Gedächtnis haben.

    Von Versuchen bei Menschen ist bekannt, dass Gedächtnisinhalte im Schlaf verfestigt werden. Matthew Wilson ist aber davon überzeugt, dass die nächtliche Gehirnaktivität noch mehr kann. Am Tage muss ein Mensch oder ein Tier vor allem auf die Umwelt reagieren, in der Nacht kann er die Erfahrungen beliebig neu kombinieren und dabei vielleicht verborgene Muster erkennen. Deshalb lässt Matthew Wilson seine Ratten inzwischen durch zwei Labyrinthe laufen, die nach einem ähnlichen Plan aufgebaut sind.

    Unsere neuesten Experimente zeigen, dass die Ratten diese unterschiedlichen Erfahrungen in der Nacht kombinieren. Ob es ihnen so gelingt, im Schlaf die verborgene Gemeinsamkeit zu entdecken, das versuchen wir jetzt herauszufinden. Wir glauben, auf diesem Weg die Rolle des Schlafes für das Gedächtnis genauer begreifen zu können. Ob es nur darum geht, die Erfahrungen besser abzuspeichern oder auch darum, sie zu verstehen.

    Um das herauszufinden, versucht Matthew Wilson die Träume seiner Ratten über die Elektroden zu kontrollieren, so dass sie im Schlaf nur das eine Labyrinth aber nicht das andere durchlaufen. In der Nacht gibt es nicht nur besondere Erregungsmuster der Nervenzellen, die ganze Hirnchemie ist verändert. Ein besonders wichtiger Botenstoff ist das Acetylcholin. Seine Menge sinkt im Schlaf ab und das erlaubt den Gedächtniszentren aus eignem Antrieb heraus aktiv zu werden. Wie wichtig dieses nächtliche Absinken des Botenstoffs auch für das menschliche Lernen ist, hat Steffen Gais an der Universität Lübeck untersucht. Er hat Freiwilligen nachts ein Medikament gegeben, das den Acetylcholinspiegel künstlich erhöht:

    Wenn die Probanden während der Nacht diese Substanz genommen haben, dann wurde die verbessernde Wirkung des Schlafes auf das Gedächtnis zerstört. Die Probanden waren weder während des Lernens noch während des Abrufens unter dem Einfluss dieser Substanz, sondern nur im Schlaf und dadurch konnten wir zeigen, dass Acetylcholin einen ganz bestimmten Einfluss auf die Gedächtnisbildung hat.

    Aus seinen Forschungen zieht Steffen Gais auch ganz praktische Konsequenzen. Es lohnt nicht, vor einer Prüfung, die ganze Nacht durchzulernen, besser ist es Schluss zu machen, und die Informationen im Schlaf zu verarbeiten. Gais:

    Also eine Sache, die wir auch mal ganz konkret an Schülern ausprobiert haben ist, dass zum Beispiel so eine sehr praktische Aufgabe wie das Vokabellernen besser passiert, wenn man danach schläft. Ob das jetzt ein Mittagsschlaf oder ein Schlaf in der Nacht ist, ist vielleicht nicht so relevant, aber es hat sich eindeutig gezeigt, dass Vokabel besser gelernt werden können, wenn die Schüler abends gelernt hatten, im Gegensatz zu morgens. Und dieser Effekt blieb auch stabil über mehrere Tage.

    Wenn Lehrer sehen, wie ein Schüler wegdöst, sollten sie ihn nicht aufwecken. Wahrscheinlich prägt er sich gerade den Lernstoff besonders intensiv ein.