Mittwoch, 17. April 2024

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Lernen in der Grundschule wird erforscht

Wie lernen Kinder im Vor- und Grundschulalter? Welche Rolle spielen dabei Kindergarten und Schule, welche das Elternhaus? Auf welcher Grundlage werden Entscheidungen über Schuleintritt und die Wahl der weiterführenden Schule gefällt? Mit der empirischen Untersuchung dieser Fragen befasst sich ab kommenden Wintersemester die in Bamberg angesiedelte Forschergruppe "Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Formation von Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter".

30.08.2004
    Eine besondere Stärke der Forschergruppe soll deren Interdisziplinarität werden:
    Erstmals – von einer kurzen Veröffentlichung zur Qualität von Kindergärten 1998 abgesehen - werden sich ab Oktober sechs Professoren der Uni Bamberg in den Bereichen Psychologie, Soziologie, Grundschulpädagogik und Elementar- und Familienpädagogik zusammensetzen, um in fünf Teilprojekten zu ergründen, wovon die Kompetenzentwicklung, sprich: das Lernen an deutschen Grundschulen abhängt.

    Damit wird auch ein erster Schritt in Richtung eines "Interdisziplinären Zentrums für Empirische Bildungsforschung im Vor- und Grundschulalter" (IZEB) getan, das in Bamberg künftig mit dem Staatsinstitut für Familienforschung (ifb) zusammenarbeiten könnte. Bildungsforschung soll dadurch dauerhaft zu einem Profilschwerpunkt an der Universität Bamberg werden.

    Hans-Günther Rossbach ist noch immer glücklich, dass sein Antrag auf Einrichtung einer DFG-Forschungsgruppe zu dem sperrig klingenden Thema "Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Formation von Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter" angenommen wurde. Es ist erst die zweite genehmigte Forschergruppe zur lang vernachlässigten empirischen Bildungsforschung in Deutschland und sie ist hoch motiviert.

    Der erste Schritt ist die Realisierung von zwei Längsschnittstudien, also zwei mit unterschiedlichen Kindern über mehrere Jahre hinweg dauernde Studien, die dann aus verschiedenen wissenschaftlichen Blickwinkeln heraus interdisziplinär ausgewertet werden

    In der ersten Längsschnittstudie von dem vierten bis zum achten Lebensjahr werden wir etwa 100 Kindergartengruppen aus 100 Kindergärten voraussichtlich aus Bayern und aus Hessen untersuchen, und zwar werden wir dort in diesen Kindergartengruppen alle vierjährigen Kinder in die Untersuchung mit einbeziehen, so dass wir ungefähr so etwas um die 500 Kinder in der Untersuchung drin haben werden, einschließlich deren Familien.

    Die Beobachtung der familiären Situation ist ein Kernpunkt in Rossbachs Untersuchungen, denn vergleichbare Studien seiner Kollegen in Oxford ließen das Elternhaus noch außen vor. Dabei sind sich die Bamberger Forscher sicher, dass der Einfluss der Familie auch in der Grundschule ein viel zu wenig beachteter Faktor ist.
    Warum, so fragt sich Rossbach , besuchen zum Beispiel Kinder aus sozial schwächeren Schichten bei gleicher Qualifikation nicht das Gymnasium, wie ihre Klassenkameraden mit anderem sozialen Hintergrund:

    Unsere Hypothese ist, dass diese Entscheidungen, dass diese Entscheidungen von Eltern sich über einen längeren Zeitraum entwickeln. Das heißt, die entwickeln sich nicht nur in den letzten zwei Jahren der Grundschule, sondern sie beginnen schon viel früher, z.B. im Kindergarten. Erwartungen von Eltern zusammen mit den kindlichen Kompetenzen führen dazu, dass familiäre oder Förderungen im Kindergarten unterbleiben oder forciert werden.

    Rossbach und seine Kollegen wollen deshalb verstärkt die Entwicklung der elterlichen Bildungswünsche und Bildungsentscheidungen untersuchen im Zusammenhang mit der kindlichen Entwicklung. Denn, wie derzeit oft vorgeschlagen, die Vorschule in Kindergärten zu verstärken, ist kein Allheilmittel, so Rossbach.

    Die Auswahl der Schulen und Kindergärten richtet sich in dem ersten Schritt nach der demografischen Zusammensetzung der Landkreise. Kriterien sind neben dem Ausländeranteil und dem sozialen Hintergrund auch die Bevölkerungsdichte. Rossbach will zwar keine für ganz Deutschland repräsentative Studie erstellen, die ausgewählten Gebiete müssen aber signifikante Unterschiede bieten. Wie beeinflusst z.B. die Bevölkerungsdichte die Einrichtung der unterschiedlichen Schulformen, hat die Wahl der Schule in ländlichen Gebieten nicht eher einen praktischen als einen sozialen Hintergrund? Und wie beeinflusst Kinder aus ländlichen Gegenden die tägliche Anfahrt zur Schule?

    In einem zweiten Schritt werden in den ausgewählten Landkreisen Listen von Kindergärten erstellt bzw. auch von Grundschulen, die dann angeschrieben werden und - hoffentlich – zur Zusammenarbeit bereit sind.

    Wir entwickeln Beobachtungsverfahren, wir entwickeln Fragebögen für Interviews mit den Eltern und den Erzieherinnen oder später den Grundschullehrerinnen. Wir trainieren hier in Bamberg und voraussichtlich an einem zweiten Standort in Hessen dafür, diese Beobachtungen durchzuführen und die Interviews duchzuführen.

    Die zweite Längsschnittstudie beschäftigt sich laut Rossbach mit den Altersstufen 8-14, d.h. Während des neuralgischen Überganges von der Grundschule zur Sekundarstufe:

    Wir werden ungefähr 80 dritte Grundschulklassen untersuchen und die Schüler dieser Klassen von der dritten bis zum Ende der sechsten Klasse in der Sekundarstufe verfolgen.

    Ungefähr 50 Helfer hat Rossbach für die zahlreichen Interviews eingeplant, dazu sieben ständige studentische Hilfskräfte sowie neun Mitarbeiter, denen in der Forschungsgruppe gleich die Möglichkeit der Promotion gegeben wird.

    Drei Jahre läuft die Förderung des Projektes an der Uni Bamberg durch die DFG, danach könnten die sechs Professoren noch auf eine Verlängerung auf acht Jahre hoffen, was den beiden Studien nur zugute käme. Dass er nicht genügend Eltern, Kindergärten und Schulen finden könnte, die bereit sind, als Probanden mitzumachen, glaubt Rossbach nicht. Er ist sehr optimistisch.