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Lernende 2. Klasse

Der Countdown läuft: Noch drei Jahre haben die Hochschulen Zeit, um den Bolognaprozess umzusetzen. Nach den jüngsten Zahlen der Hochschulrektorenkonferenz sind bereits 61 Prozent aller Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt. Nicht ohne Folgen für die Studierenden, die noch Diplom und Magister als Abschluss anstreben. Sie fühlen sich häufig benachteiligt.

Von Anja Braun |
    Wir sind nur noch Studierende zweiter Klasse konstatiert der Giessener Philosophiestudent Alexander Vasil. Er betreut eine Homepage mit dem deutlichen Namen: Seminarrauswurf.de, auf der viele Magister-und Diplomstudierende ihrem Ärger Luft machen.

    " Es sind halt fast alle Seminare umgestellt auf Bachelor und Master und die Altstudenten stören, sie sind jetzt ein Sandkorn im Getriebe und merken das in voller Härte. Es ist halt einfach die Regel dass Leute in ein Seminar reinkommen, dass es dann heißt nur Bachelor und Master bzw nur Modul und der Rest soll gehen. "

    Eigentlich- so versichert Bildungsexperte Ludwig Vögelin vom Centrum für Hochschulentwicklung, dürfte es zu dieser Benachteiligung gar nicht kommen, denn:

    "Iim Prinzip ist es so wie zwei Röhren: die eine läuft leer und die andere läuft voll. Wenn sie von diesem Modell ausgehen, dann passen die Bachelor-Veranstaltungen gar nicht in das zu absolvierende Curriculum der Diplomstudierenden. "

    Doch für getrennte Studienangebote fehlt vielen Hochschulen schlicht das Geld. So bleibt es meist doch bei begrenzten Seminarplätzen, um die nun Bachelor -wie auch Magister bzw Diplomstudierende konkurrieren. Sonja Röhm ist im dritten Semester des Bachelor-Studienganges Social Science an der Universität Gießen und gehört damit zu den privilegierten First-Class-Studierenden ihres Fachbereichs. Sie hat schon häufig erlebt, wie Magisterstudierenden die Teilnahme an Seminaren verweigert wurde:

    " Mit der Begründung, dass Bachelor-Leute Vorrang haben, weil ja die Bachelor bestimmte Module ableisten müssten, sonst kommen sie ja nicht ins nächste Semester , die Module bauen ja immer aufeinander, das heißt auf allein aus dem Grund haben die Bachelor-Leute immer Vorrang. Und wenn dann das Argument von den Magisterstudierenden alter Studiengänge kam, dass sie jetzt gerade im vorletzten Semester sind und gerne ihre zwei Scheine machen, um mit der Magisterarbeit beginnen zu können, das zählt nicht."

    Sie werden immer weiter vertröstet und bekommen nur selten zusätzliche Seminare angeboten, erklärt Röhm, die im Asta der Universität Gießen die Benachteiligten berät. Zu diesen zählt sich auch der Philosophiestudent Vasil, der im 13. Semester auf Magister studiert:

    " Es ist ein Problem, dass eine ganze Generation zu einem Experiment gemacht worden ist. das die ganze Generation von Studierenden, die jetzt an der Universität ist, die diese Probleme erdulden muss, das passiert mal hier schlimmer, mal da schlimmer, aber es ist ein grundsätzliches Problem. "

    Die Hochschulrektorenkonferenz hatte schon früh gewarnt, dass der Bolognaprozess nicht kostenneutral vollzogen werden könne. Präsidentin Margret Wintermantel forderte mindestens 15 bis 20 Prozent mehr Geld für die Hochschulen, um die Umstellung einigermaßen problemlos durchzuführen. Geflossen ist kein Cent. CHE-Bildungsforscher Vogelin weist darauf hin:

    " Dass es Übergangsprobleme geben wird, war klar und die verschärfen sich natürlich bei der notorischen Unterfinanzierung der Hochschulen. "

    Es sei deshalb durchaus ökonomisch nachvollziehbar, findet Student Vasil, wenn die chronisch klammen Hochschulen sich auf die neu akkreditierten Studiengänge konzentrierten:

    " Die anderen Studierenden sind jetzt nicht mehr systemkonform - sie waren mal im system und sind es jetzt nicht mehr- und deswegen kommen sie in ein bürokratisches Problem nach dem anderen und tendieren mittlerweile alle dann zum Langzeitstudium."

    Das kann Bachelorstudentin Röhm nur bestätigen. Gerade in ihrem Fachbereich und dort speziell bei den Politikwissenschaften würden für Magister-Studierende im Hauptstudium gerade mal 5 Hauptseminare angeboten:

    " Und ich schätze mal, dass wir noch um die 200 Magister Politikwissenschaftler da haben, für die reichen die Hauptseminare natürlich gar nicht und die dürfen auch nicht mit uns zusammen Seminaren besuchen und wenn sie das tun, werden sie natürlich rausgeschmissen. "

    Die Universitäten müssen jedoch sicherstellen, dass diejenigen, die noch auf einen Magister- und Diplomabschluss hin studieren, ihr Studium ordentlich zuende bringen können. Um das in endlicher Zeit zu schaffen, rät die Giessener Asta-Frau den Betroffenen:

    " Dass sie auf jeden Fall in den Seminaren drin bleiben sollen. Das ist das Wichtigste. Auch wenn sie sich einfach reinsetzen. Es kann sie keiner rausschmeißen. Also wenn Studis sich in den Hörsaal setzen dürfen sie auch drin bleiben, weil sie an dieser Universität studieren und auch immatrikuliert sind."