" Ich bin 16 und heiße Jaqueline. Ich war seit zwei Jahren nicht mehr in der Schule. Ich hatte da voll viel Scheiße mit den Lehrern, mit den Schülern. Ich hab mich mit gar keinem verstanden. Dann war ich die zwei Jahre nur draußen mit Freun-den und zu Hause. 12´35 Ich bin die Jasmine. Ich bin 15. Und ich bin auch hier, weil ich Stress hatte. Ich bin mit den Leh-rern nicht gut klar gekommen. Weil die mich alle fertig ge-macht haben da. So anderthalb Jahre lang. Mit Freunden draußen und zu Hause und Scheiße gebaut so Sachen halt. 9´05 Das erste halbe Jahr bin ich in die Schule gegangen und das andere nicht mehr. Die Leute haben Scheiße gelabert. Und auch die Lehrer, die haben versucht mich zu provozieren, so was lass ich mir halt nicht gefallen und dann hatte ich keinen Bock mehr. "
Keinen Bock auf Schule, das kennen viele Kinder und Jugendli-che. Die meisten gehen trotzdem jeden Tag wieder hin. Aber es gibt auch Schüler, wie diese drei Mädchen, die steigen irgend-wann ganz aus. Der Rückzug beginnt oft lange vorher, als sie noch relativ regelmäßig in die Schule kamen. Statistiken be-legen, dass ungefähr 10 Prozent bundesweit täglich dem Unter-richt fern bleiben. Bei rund 9,7 Millionen Schülern, ein er-hebliches Problem, sagt Elke Schreiber vom Deutschen Jugendin-stitut.
" Das Fernbleiben von der Schule gibt es eigentlich seit es die Schulpflicht gibt. Was aber heute ganz wichtig ist, wir merken, dass das Wegbleiben von der Schule natürlich für diese Mädchen und Jungen gravierende Konsequenzen hat für ihren spä-teren Ausbildungs- und Lebensweg. Das heißt es sind solche In-stabilitäten und Brüche vorhanden, dass sie keinen Schulab-schluss haben. Und ohne Hauptschulabschluss kann ich in keinen weiteren Ausbildungsweg einsteigen. Insofern ist das eine ganz bedrohliche Tendenz, egal ob das 3, 5 oder 10 Prozent sind."
Betroffen sind vor allem Haupt- und Sonderschüler. Viele von ihnen kommen mit einem Rucksack voller Probleme in die Schule. Doch die Lehrer sind meist überfordert damit, neben dem Unter-richt auch noch individuelle Sozialarbeit zu leisten.
" Schulverweigerung kommt nicht über Nacht. Definitiv ist es so, dass sich die ersten Anzeichen schon in der Grundschule zeigen. Aber mit diesem Übergang, man muss auch sagen, mit dieser sozialen Auslese, die mit den Hauptschulen hier nun einmal gegeben ist, mit Klassenstärken von über 30 Schülern mit Konzentration von Problemen, wo es Sprachprobleme gibt, wo ganz viele Probleme zusammen kommen, wo dann eigentlich gar keine Zeit und Kraft vorhanden ist, um sich den Kindern über-haupt noch zu zuwenden. "
Die meisten Schulverweigerer sind zwischen 13 und 15 Jahre alt. Es gibt aber auch zunehmend jüngere Kinder, die morgens vor den Schultoren abbiegen. Den ersten Dämpfer bekommen sie oft schon in der Grundschule. Die Gründe für eine spätere Schulverweigerung sind vielfältig, wie die Kinder selbst. Ge-meinsam ist allen, dass sie aus problematischen Verhältnissen kommen und von ihrem Umfeld weder unterstützt noch aufgefangen werden.
Franziska, Jasmine und Jaqueline haben monatelang keine Schule mehr von innen gesehen. Jetzt tanzen sie gemeinsam mit fünf anderen Mädchen auf dem Dachboden einer Kölner Schule für Er-ziehungshilfe. Die drei Mädchen sind seit den Sommerferien im Projekt Kneifzange des Kölner Handwerkerinnenhauses. Das Tanz-projekt gehört zum Konzept des außerschulischen Lernens.
" Das ist ein außerschulischer Lernort mit Holzwerkstatt in einer Kooperation mit einer Schule für Erziehungshilfe. Die Mädchen haben einen Stundenplan wo Werkstatt und Unterricht sich abwechselt mit Gruppenaktivitäten. Das praktische Arbei-ten mit Holz bietet sich an, weil die ganz schnell Erfolgser-lebnisse haben. Auch wenn man noch wenig kann, kann man nach ein paar Stunden so ein Ikea-Regal, so ein Zickzack-Regal mit nach Hause nehmen."
Anke Zimmermann ist Sozialpädagogin im Handwerkerinnen-Haus. Seit 1998 arbeiten hier Sozialpädagoginnen, Sonderschullehrer und Handwerkerinnen mit Schulverweigerinnen. Bundesweit gibt es solche außerschulischen Lernorte, die Jugendhilfe und Schu-le miteinander verknüpfen. Die Aussteiger bekommen in einem Schonraum die Chance für einen Wiedereinstieg. Kneifzange wur-de vom DJI in das bundesweite Netzwerk aufgenommen. An diesem etwas anderen Lernort fühlen sich die Mädchen.
" Besser, viel besser. Das sind so viele Sachen. Die Lehrer provozieren nicht einen. Das ist komplett anders. Es macht mir viel mehr Spaß. Ich mach hier einen Schulabschluss. Das macht mir mehr Spaß, weil man hier in einer kleineren Gruppe ist, da kann man dann besser zurecht kommen. Und das ganze Lernen macht mehr Spaß. 14.10: Hier sind weniger Leute und wir sind nur Mädchen, das ist irgendwie anders. Viel lockerer hier."
" Besonders Spaß macht, wenn man sieht, wenn sie wieder Fuß fassen. Gerade mit dem Lernen, dass sie sagen, ich kann ja doch was. Die haben ja wirklich oft jahrelang in so einer Misserfolgsspirale gelebt. Schwierig ist, die sind ja doch zwischen 15 und 16 Jahren, den Mädchen genug Verantwortung zu geben. Denn wenn wir die immer nur puschen und die kommen nur wegen uns, das ist ja auch nicht der Sinn. Also immer abzuwä-gen, wann reicht es auch. Wir entlassen auch, wenn wir das Ge-fühl haben, die ist nicht so weit, dass wir mit ihr arbeiten können, auch wenn man die schwierigen Hintergründe verstehen kann. "
Projekte wie "Kneifzange" ziehen die Notbremse. Bestenfalls ermöglichen sie eine Rückkehr in die Schule und den Schulab-schluss. Aber auch eine persönliche Stabilisierung der Jugend-lichen kann schon viel bringen. Seit 2002 hat das Bundesminis-terium für Bildung und Forschung zusammen mit EU-Mitteln ein Projekt finanziert, das erstmals bundesweit 43 beispielhafte Projekte zusammenbringt. Man will voneinander lernen, sagt El-ke Schreiber vom DJI:
" Es geht darum Fachpolitik und Fachpraxis auch entsprechende Handlungsanleitungen zu vermitteln, wie man schulische Struk-turen aber auch Strukturen der Jugendhilfe verändern kann und vor allem, wie man an Schule auch pädagogische Konzepte verän-dern kann. "
Schon auf erste Anzeichen von Schulmüdigkeit kann in der Schu-le reagiert werden, sagt Elke Schreiber. Bis zur Schulverwei-gerung müsste es gar nicht erst kommen, wenn Jugendhilfe und Schule besser ineinander greifen.
" Wir haben beispielsweise Projekte in Berliner Schulen, die ihre Curricula definitiv umgestellt haben. Es geht ja darum Schule lebenspraktisch, lebensnah zu gestalten. Wenn ich nicht nachvollziehen kann, was mir das später nützt, dass ich dieses rechnen oder das schreiben muss, dann rutscht das Interesse ganz schnell weg. Und diesen Schulen gelingt es den Unterricht lebenspraktisch mit erlebnispädagogischen Elementen zu führen. Wenn ich einkaufen gehe, muss ich wissen, wie viel Geld hab ich, was kann ich dafür kaufen, wofür reicht es. Ich muss kal-kulieren, planen, ich muss mir einen Zettel schreiben. Und dann ist vor allem wichtig, sie haben Erfolgserlebnisse. Sie merken sie scheitern nicht dauernd, sondern sie begreifen das, sie haben wieder Freude am Lernen."
Wie nachhaltig die Erfolge der einzelnen Projekte sind, kann niemand sagen. Denn dafür gibt es weder Geld noch Personal.
" Ich scheue mich jetzt zu sagen, die Vermittlungsrate ist 80 Prozent. Die Projekte haben ganz wenig Informationen darüber, wie nachhaltig die Maßnahme ist. Und das ist ein ganz großes Problem."
Ebenso im Dunkeln liegt, wie viele von den 10 Prozent Schul-verweigerern in einem Projekt aufgefangen werden. Die Warte-listen sind jedenfalls lang.
Keinen Bock auf Schule, das kennen viele Kinder und Jugendli-che. Die meisten gehen trotzdem jeden Tag wieder hin. Aber es gibt auch Schüler, wie diese drei Mädchen, die steigen irgend-wann ganz aus. Der Rückzug beginnt oft lange vorher, als sie noch relativ regelmäßig in die Schule kamen. Statistiken be-legen, dass ungefähr 10 Prozent bundesweit täglich dem Unter-richt fern bleiben. Bei rund 9,7 Millionen Schülern, ein er-hebliches Problem, sagt Elke Schreiber vom Deutschen Jugendin-stitut.
" Das Fernbleiben von der Schule gibt es eigentlich seit es die Schulpflicht gibt. Was aber heute ganz wichtig ist, wir merken, dass das Wegbleiben von der Schule natürlich für diese Mädchen und Jungen gravierende Konsequenzen hat für ihren spä-teren Ausbildungs- und Lebensweg. Das heißt es sind solche In-stabilitäten und Brüche vorhanden, dass sie keinen Schulab-schluss haben. Und ohne Hauptschulabschluss kann ich in keinen weiteren Ausbildungsweg einsteigen. Insofern ist das eine ganz bedrohliche Tendenz, egal ob das 3, 5 oder 10 Prozent sind."
Betroffen sind vor allem Haupt- und Sonderschüler. Viele von ihnen kommen mit einem Rucksack voller Probleme in die Schule. Doch die Lehrer sind meist überfordert damit, neben dem Unter-richt auch noch individuelle Sozialarbeit zu leisten.
" Schulverweigerung kommt nicht über Nacht. Definitiv ist es so, dass sich die ersten Anzeichen schon in der Grundschule zeigen. Aber mit diesem Übergang, man muss auch sagen, mit dieser sozialen Auslese, die mit den Hauptschulen hier nun einmal gegeben ist, mit Klassenstärken von über 30 Schülern mit Konzentration von Problemen, wo es Sprachprobleme gibt, wo ganz viele Probleme zusammen kommen, wo dann eigentlich gar keine Zeit und Kraft vorhanden ist, um sich den Kindern über-haupt noch zu zuwenden. "
Die meisten Schulverweigerer sind zwischen 13 und 15 Jahre alt. Es gibt aber auch zunehmend jüngere Kinder, die morgens vor den Schultoren abbiegen. Den ersten Dämpfer bekommen sie oft schon in der Grundschule. Die Gründe für eine spätere Schulverweigerung sind vielfältig, wie die Kinder selbst. Ge-meinsam ist allen, dass sie aus problematischen Verhältnissen kommen und von ihrem Umfeld weder unterstützt noch aufgefangen werden.
Franziska, Jasmine und Jaqueline haben monatelang keine Schule mehr von innen gesehen. Jetzt tanzen sie gemeinsam mit fünf anderen Mädchen auf dem Dachboden einer Kölner Schule für Er-ziehungshilfe. Die drei Mädchen sind seit den Sommerferien im Projekt Kneifzange des Kölner Handwerkerinnenhauses. Das Tanz-projekt gehört zum Konzept des außerschulischen Lernens.
" Das ist ein außerschulischer Lernort mit Holzwerkstatt in einer Kooperation mit einer Schule für Erziehungshilfe. Die Mädchen haben einen Stundenplan wo Werkstatt und Unterricht sich abwechselt mit Gruppenaktivitäten. Das praktische Arbei-ten mit Holz bietet sich an, weil die ganz schnell Erfolgser-lebnisse haben. Auch wenn man noch wenig kann, kann man nach ein paar Stunden so ein Ikea-Regal, so ein Zickzack-Regal mit nach Hause nehmen."
Anke Zimmermann ist Sozialpädagogin im Handwerkerinnen-Haus. Seit 1998 arbeiten hier Sozialpädagoginnen, Sonderschullehrer und Handwerkerinnen mit Schulverweigerinnen. Bundesweit gibt es solche außerschulischen Lernorte, die Jugendhilfe und Schu-le miteinander verknüpfen. Die Aussteiger bekommen in einem Schonraum die Chance für einen Wiedereinstieg. Kneifzange wur-de vom DJI in das bundesweite Netzwerk aufgenommen. An diesem etwas anderen Lernort fühlen sich die Mädchen.
" Besser, viel besser. Das sind so viele Sachen. Die Lehrer provozieren nicht einen. Das ist komplett anders. Es macht mir viel mehr Spaß. Ich mach hier einen Schulabschluss. Das macht mir mehr Spaß, weil man hier in einer kleineren Gruppe ist, da kann man dann besser zurecht kommen. Und das ganze Lernen macht mehr Spaß. 14.10: Hier sind weniger Leute und wir sind nur Mädchen, das ist irgendwie anders. Viel lockerer hier."
" Besonders Spaß macht, wenn man sieht, wenn sie wieder Fuß fassen. Gerade mit dem Lernen, dass sie sagen, ich kann ja doch was. Die haben ja wirklich oft jahrelang in so einer Misserfolgsspirale gelebt. Schwierig ist, die sind ja doch zwischen 15 und 16 Jahren, den Mädchen genug Verantwortung zu geben. Denn wenn wir die immer nur puschen und die kommen nur wegen uns, das ist ja auch nicht der Sinn. Also immer abzuwä-gen, wann reicht es auch. Wir entlassen auch, wenn wir das Ge-fühl haben, die ist nicht so weit, dass wir mit ihr arbeiten können, auch wenn man die schwierigen Hintergründe verstehen kann. "
Projekte wie "Kneifzange" ziehen die Notbremse. Bestenfalls ermöglichen sie eine Rückkehr in die Schule und den Schulab-schluss. Aber auch eine persönliche Stabilisierung der Jugend-lichen kann schon viel bringen. Seit 2002 hat das Bundesminis-terium für Bildung und Forschung zusammen mit EU-Mitteln ein Projekt finanziert, das erstmals bundesweit 43 beispielhafte Projekte zusammenbringt. Man will voneinander lernen, sagt El-ke Schreiber vom DJI:
" Es geht darum Fachpolitik und Fachpraxis auch entsprechende Handlungsanleitungen zu vermitteln, wie man schulische Struk-turen aber auch Strukturen der Jugendhilfe verändern kann und vor allem, wie man an Schule auch pädagogische Konzepte verän-dern kann. "
Schon auf erste Anzeichen von Schulmüdigkeit kann in der Schu-le reagiert werden, sagt Elke Schreiber. Bis zur Schulverwei-gerung müsste es gar nicht erst kommen, wenn Jugendhilfe und Schule besser ineinander greifen.
" Wir haben beispielsweise Projekte in Berliner Schulen, die ihre Curricula definitiv umgestellt haben. Es geht ja darum Schule lebenspraktisch, lebensnah zu gestalten. Wenn ich nicht nachvollziehen kann, was mir das später nützt, dass ich dieses rechnen oder das schreiben muss, dann rutscht das Interesse ganz schnell weg. Und diesen Schulen gelingt es den Unterricht lebenspraktisch mit erlebnispädagogischen Elementen zu führen. Wenn ich einkaufen gehe, muss ich wissen, wie viel Geld hab ich, was kann ich dafür kaufen, wofür reicht es. Ich muss kal-kulieren, planen, ich muss mir einen Zettel schreiben. Und dann ist vor allem wichtig, sie haben Erfolgserlebnisse. Sie merken sie scheitern nicht dauernd, sondern sie begreifen das, sie haben wieder Freude am Lernen."
Wie nachhaltig die Erfolge der einzelnen Projekte sind, kann niemand sagen. Denn dafür gibt es weder Geld noch Personal.
" Ich scheue mich jetzt zu sagen, die Vermittlungsrate ist 80 Prozent. Die Projekte haben ganz wenig Informationen darüber, wie nachhaltig die Maßnahme ist. Und das ist ein ganz großes Problem."
Ebenso im Dunkeln liegt, wie viele von den 10 Prozent Schul-verweigerern in einem Projekt aufgefangen werden. Die Warte-listen sind jedenfalls lang.