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Lesbos
Flüchtlingspolitik unter dem Druck der Pandemie

Mehr als 40.000 Menschen harren in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aus. Schutz vor dem Coronavirus gibt es nicht, die Menschen haben kaum Zugang zu sanitären Einrichtungen. Die EU ringt um Pläne für schnelle Hilfe – und gleichzeitig um Grundsatzfragen in der Flüchtlingspolitik.

Von Paul Vorreiter | 28.03.2020
Ein Kind spielt in einem provisorischen Zeltlager in der Nähe des Camps für Migranten in Moria.
Im Flüchtlingslager auf Lesbos ist Abstand halten kaum möglich (dpa)
Weltweit wird "Social Distancing" – also Abstand voneinander zu halten, um dem Coronavirus fern zu bleiben, zum Gebot erklärt, doch wie lässt sich das Gebot einhalten, wenn sich 1300 Menschen einen Wasserhahn teilen müssen? Klar, die Rede ist von den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln, mehr als 40.000 Menschen leben in den Lagern, die eigentlich nur für rund ein Sechstel von ihnen ausgelegt sind. Im EU-Parlament war diese Woche deshalb folgende Forderung zu hören.
Die Flüchtlingslager sollten geräumt werden, fordert die Grünen-Fraktionsvorsitzende Ska Keller. Ihr Parteifreund, Erik Marquardt warnt vor einer Katastrophe, sollten die Lager nicht evakuiert werden. Zuerst die Risikogruppen von den griechischen Lagern wegzubringen, hält er für eine richtige Prioritätensetzung.
Zusagen aus Brüssel
Lange Zeit wirkte es, als würde die EU-Kommission in der Coronakrise selbst andere Prioritäten setzen, diesem Eindruck stellte sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Deutschlandfunk-Interview vor einigen Tagen entgegen: "dass wir alles tun um die Verhältnisse auf den Inseln zu entlasten zu verbessern und vor allem Vorsorge zu bereiten, falls das Coronavirus dort ankommt und wir wissen aus Erfahrung."
Es ist also ein Kampf gegen die Zeit. Die EU-Kommission versicherte, dass sie an einem Notfallplan mit der griechischen Regierung zusammenarbeitet. Brüssel versicherte, den Einsatz von Medizinern mitzufinanzieren und bei schnelleren Transfers auf das Festland zu helfen. Auch wollten die griechischen Behörden gesonderte Bereiche in den Lagern für Verdachtsfälle schaffen. Die EU-Innenkommissarin Ylva Johannson empfahl unterdessen, ältere und kranke Migranten auf andere Teile der Inseln zu verlegen. Und sie stellte Fortschritte in einem weiteren Bereich in Aussicht: Kommende Woche könnte mit der Umverteilung von 1600 Kindern, Jugendlichen und anderen besonders Schutzbedürftigen Migranten begonnen werden. Dazu hatten sich Anfang des Monats mehrere EU-Länder bekannt, unter anderem Luxemburg und auch Deutschland. Das Bundesinnenministerium bekräftigte, es stehe zu seiner Zusage auch in der Coronakrise. Nach Deutschland könnten auf diese Weise einige hundert Kinder und Jugendliche gebracht werden.
Grundsatzfragen in der Krise
Parallel zur Diskussion um die Umverteilung von besonders Schutzbedürftigen will eine Gruppe von EU-Abgeordneten auch Grundsatzfragen der EU-Flüchtlingspolitik in den Vordergrund rücken:
"Die Kommission hat argumentiert uns wörtlich gegenüber, man wolle mehr Flexibilität, weil wir doch in einer Krise sind in Bezug auf den Umgang mit dem Asylrecht und das ist wirklich ein Skandal", sagt Cornelia Ernst, Abgeordnete der Linkspartei, die sich mit mehr als 120 anderen Abgeordneten von Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen in einem Brief an die EU-Kommission wendet.
Darin fordern die Parlamentsmitglieder, dass Migranten der Zugang zu einem Asylverfahren ermöglicht werden muss, Griechenland hatte eine einmonatige Aussetzung der Verfahren verkündet. Außerdem fordern sie ein Ende der Gewalt an der türkisch-griechischen Grenze, bessere finanzielle Unterstützung für Griechenland und Schutz für freiwillige Helfer und Journalisten. Auch sind die Abgeordneten besorgt, die europäische Grenzschutzagentur Frontex könnte sich an Grundrechtsverstößen beteiligen. Und: "Wir verlangen, dass die Geflüchteten weggebracht werden von den Inseln entweder auf das Festland oder in andere Mitgliedsstaaten, das ist ein wichtiges Ziel", sagte Cornelia Ernst.
Allerdings ist die Frage der Verteilung der Flüchtlinge schon seit Jahren der Spaltpilz unter den EU-Staaten in der Migrationspolitik. Die Kommission hatte zudem mitgeteilt, dass vorübergehend alle Umsiedlungsprogramme der EU wegen der Coronakrise gestoppt seien. Wenn die zum Erliegen kommen, stehen auch neue Probleme bevor, warnt der SPD-Europaabgeordnete Dietmar Köster:
"Wenn keine Relocation mehr stattfindet, dann wird es für die Seenotrettungsorganisationen immer schwieriger, mit Geretteten an Bord einen sicheren Hafen zugewiesen zu bekommen. Weil alle Staaten, die am Verteilmechanismus teilnehmen, sich weigern werden, aus Seenot Gerettete aufzunehmen."
Und so schafft die Coronakrise auch einen Rattenschwanz an neuen Schwierigkeiten in der EU-Migrationspolitik. Einen neuen Ansatz für die Asylpolitik hatte die EU-Kommission ursprünglich für dieses Frühjahr angekündigt, was jedoch wegen der Coronakrise in weite Ferne gerückt sein dürfte.