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Lesefreude

Es gibt Ergebnisse in jüngster Vergangenheit, die lassen uns schamrot den Kopf senken. Zuerst wird dann ganz wenig, dann aber doch nachhaltig und ganz viel darüber diskutiert. Wir sprechen jetzt nicht vom Fußballspiel Deutschland gegen Ungarn, auch nicht von dem gegen Rumänien. Was uns da noch blüht, sehen wir am Dienstag. Heute und diesmal geht es um: Pisa. Ja, diese Diskussion über die Studie zur europäischen Lesekompetenz hält weiter an. Wir erinnern uns noch einmal schmerzhaft des Schockerlebnisses: nix Dichter und Denker, die deutschen Schüler belegen Platz 21 und landen abgeschlagen im letzten Drittel. Negativ gekrönt wird das Ergebnis noch von der Aussage, dass 42 Prozent aller Schüler nicht mit und aus Vergnügen liest. Die Finnen sind die Meister im Lesen. Sie lesen gern und viel und zeigen sich medienkompetent. Also, heißt die Devise: Von den Finnen lernen. In Anlehnung an dortige Praktiken zur Leseförderung haben die Stiftung Lesen und die Stiftung Presse-Grosso das Projekt "Zeitschriften in die Schulen" initiiert und einen Monat lang Zeitschriften in weiterführende Schulen kostenlos geliefert. In Düsseldorf diskutierten Schüler jetzt mit den Organisatoren über ihre Erfahrungen. Zwischenbilanz: Mehr lesen mit Bravo

Von Cordula Diehm |
    Düsseldorf, Haus der Verlagsgruppe Handelsblatt, kurz nach zehn Uhr morgens. Die Fotoapparate klicken, Journalisten schreiben mit. Es ist wohl der erste Presse- und Fototermin der rund 80 Real- und Gymnasialschüler. Stellvertretend für rund 300tausend Schüler bundesweit geben sie erste Eindrücke wieder zum soeben abgeschlossenen Projekt "Zeitschriften in die Schulen".
    (Junge) Ich lese jetzt viel mehr, weil ich mir die vorher nur bei Gelegenheit geholt habe. Jetzt hole ich mir die auch regelmäßig, weil das mehr Spaß macht.

    (Junge) Ich finde, man sollte das öfter machen als Schulprojekt. Weil es das einzige Thema war, das mich interessiert hat.

    (Mädchen) Da konnte man auch mal lernen, in einer Gruppe zusammen zu arbeiten. Sonst streiten wir sehr viel.

    (Junge) So, eigentlich gar nichts. Ich habe immer schon viel gelesen, sehr viel und gern. Es hat mir nichts gebracht.

    (Mädchen) Textverständnis ist besser geworden. Aber mehr auch nicht.

    An bundesweit rund 3000 weiterführenden Schulen wurden einen Monat lang wöchentlich je 30 verschiedene Zeitschriftentitel in 13tausend Klassen geliefert, ausgewertet, verglichen, in Collagen und Plakaten verarbeitet, durch eigene Artikel ergänzt. Bodo Franzmann ist Leseforscher bei der Stiftung Lesen, welche mit dem Projekt das Lesen fördern will. Die ersten Ergebnisse sind:

    Dass die Jungen am liebsten Bravo lesen. Das ist der absolute Marktführer seit Jahrzehnten kann man sagen. Aber dann kommt eine sehr interessante Mischung zutage: Die älteren Schüler nehmen genauso interessiert den Spiegel und den Stern, dann kommen Computerzeitschriften dazu. Bei den jüngeren sind es so ein paar Unterhaltungszeitschriften für Mädchen, Brigitte, Young Miss. Das sind so die Spitzenreiter.

    Wenn in diesen Blättern auch mal in jugendverständlicher Sprache über Politik berichtet würde, wären die Schüler noch zufriedener und würden sich ernst genommen fühlen. Das Zeitschriftenprojekt scheint zu funktionieren: Es wird auf jeden Fall mehr und interessierter gelesen und zwar bei Mädchen wie Jungen gleichermaßen, konstatiert das Lehrerkollegium.

    Vor allem bei einigen Schülern, die schlechter sind und weniger lesen als die anderen die sowieso schon Bücher lesen, von denen haben wir ja doch noch einige, da weiß ich aus Rückmeldungen von Eltern, dass sie ganz erstaunt darüber waren, dass ihr Sohn oder Tochter die Zeitschrift rausgekramt hätte und noch mal Artikel durchgegangen wäre oder versucht hätte, selbst zu schreiben.
    Es waren viele Schüler mehr interessiert als am normalen Unterricht. Ein Schüler hat in der Auswertung geschrieben, es war schön wir haben keinen Unterricht gemacht, obwohl große Plakate hergestellt wurden.


    Finanziert wurde das Ganze von der Stiftung Presse-Grosso, dem Großhandel des deutschen Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftenvertriebs sowie dem Bundesverband Deutscher Zeitschriftenverleger. Die Verlage stellten die wöchentlich rücklaufenden nichtverkauften Zeitschriften kostenfrei zur Verfügung, die Grossisten fuhren sie kostenlos direkt an die Schulen. Christina Weiss, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, ist vom Projekt begeistert und überzeugt:

    Ich unterstütze das Projekt im Moment ideell, indem ich gesagt habe, ich mache das auch zur kultur- und medienpolitischen Initiative der Bundesregierung. Es gibt im Moment noch keinen finanziellen Bedarf, aber ich denke, die Anregung ist wichtig und das Marketing, was wir durch unsere Teilnahme auf Bundesebene dafür leisten können. Denn keineswegs alle Schulen haben sich gemeldet, dass sie mitmachen wollen. Es ist immer noch ein kleiner Prozentsatz.

    Das ist das negative Ergebnis des sonst erfolgversprechenden Projekts: nur 10 Prozent aller Schulen in den neuen und 30 Prozent in den alten Bundesländern haben teilgenommen. Alle hoffen, dass im kommenden Jahr sich überall mehr Schulen anmelden werden. Die Zukunftsvorstellung: nach dem Vorbild der Finnen einen festen Zeitschriftenmonat an Schulen einrichten.
    Natürlich verfolgen Verlage und Grossisten auch wirtschaftliche Interessen. Seit Jahren kämpfen immer mehr Zeitschriftentitel um die Gunst der Leser, bei den Jüngeren vor allem in wachsender Konkurrenz zu Fernsehen und Internet. Je jünger die Schüler, desto größer der Erfolg, zeigt die erste Umfrage:

    (Junge) Die meisten bezahlen meine Eltern und Großeltern, weil die das fördern wollen, dass ich lese.

    (Junge) Ich kriege extra ein bisschen mehr Geld, damit ich mir so was kaufen kann.

    (Mädchen) Nur die Zeitschriften sind manchmal ziemlich teuer und deswegen lohnt es sich auch nicht. Weil eine Zeitschrift genauso teuer ist wie ein Buch. Da lohnt sich ein Buch einfach mehr.

    (Junge) Vor allem gibt es ja dazu Sendungen im Fernsehen, die man gucken kann. Muss man sich keine teuere Zeitschrift leisten.

    Übrigens, die Laden- bzw. Klassenhüter waren Kunst- und Kochzeitschriften. Die wollte keiner mit nach Hause nehmen, obwohl sie umsonst waren.