Von Zwei minus auf Fünf, wie ist so ein Absturz möglich? Warum sind unsere Neuntklässler, die Pisa Schüler, so schlecht, und die Viertklässler zwar nicht Weltspitze, aber doch ganz passabel?
Mit dieser Frage steht nun der deutsche Sonderweg in der Bildung auf der Tagesordnung. Man wird weniger über die Grundschule reden müssen, als über die Zeit, die auf sie folgt, diese so viel Unsicherheit und Angst, vor allem Gleichgültigkeit, ja Verwahrlosung verbreitende deutsche Art Schule zu machen
Erst mal zur Grundschulstudie. Was untersucht sie? In 35 Ländern wurde die Lesefähigkeit von 147.000 Viertklässlern getestet. Lesen ist die grundlegende Kulturtechnik. Alles weitere baut auf ihr auf. Dabei geht es nicht etwa um das phonetische Lesen, sondern um das sinnverstehende, also um das Erfassen und Interpretieren von Texten. Nicht lesen von Buchstaben, sondern entziffern der Welt. Dazu gehört, sich für sie zu interessieren, ja sie zu mögen.
Gefragt wurden die Kinder auch, ob sie gern lesen. Die deutschen Grundschüler lesen allen Unkenrufen über Fernsehkindheit und Computersucht zum Trotz überwiegend gern, ja mit Freude. Aber fünf Jahre später – wir werden diesen Vergleich nicht mehr los – haben mehr als 50 Prozent die Lust am Lesen verloren. Es ist nicht die Pubertät, denn die deutsche Lese-Unlust verzeichnete bei den 15jährigen international den heftigsten Ausschlag auf der Pisaskala. Lernen überhaupt wird bei uns im Laufe der Schulzeit immer weniger attraktiv. Das ist ein Skandal.
Weitere Resultate: Die so genannte Spreizung zwischen leistungsstarken und schwachen Kindern ist in der Grundschule noch gering. Bei den Neuntklässlern wird sie dann größer sein als in allen anderen Ländern, nicht weil wir so viele Starke haben, sondern so viele Schache. Aber, sagen die Iglu-Forscher, diese Schere tut sich bereits in der Grundschule auf. Man muss gegensteuern, um den Absturz fast eines Viertels des Jahrgangs bis Klasse neun zu verhindern. In der Grundschule gehören zu den bedenklich Schwachen 5 Prozent, auch das sind zu viele und sie wären vermeidbar, zu den Gefährdeten gehören etwa 10 Prozent. Auch die Gruppe der Leistungsstarken ist allerdings in der Grundschule im internationalen Vergleich eher schmal. In Deutschland werden die schwachen Schüler schlecht gefördert und die Starken werden zu wenig gefordert. Anders gesagt: Unseren Schülern wird zu wenig zugetraut. Die randständige Position von Kindern der Zuwanderer ist in der Grundschule geringer ausgeprägt als in den weiterführenden Schulen. Man sollte ja meinen, solche Nachteile würden von der Schule im Lauf der Jahre ausgeglichen, zumindest gemindert. In Deutschland nicht, das zeigt der so interessante Iglu-Pisa-Vergleich.
Das Neue seit der heutigen Veröffentlichung ist: Mit Pisa und Iglu vergleichen wir uns nicht nur mit anderen Ländern, sondern mit uns selbst. Der Selbstreflexion kann jetzt niemand mehr ausweichen.
Dabei hilft der Blick auf andere Länder, und zwar nicht der chauvinistische oder bei uns zuweilen auch masochistische, sondern ein Blick, der den Horizont weitet. Im internationalen Ranking belegen unsere Grundschüler Platz 11 von 35 Ländern. Aber die Platzierung täuscht. Nur zu drei Ländern an der Spitze ist der Abstand sehr groß, das sind Schweden als Nummer eins – Finnland hat diesmal nicht mitgemacht – dann folgen England und Holland. Auch der Abstand zum vierten, Bulgarien, ist noch signifikant. Dann folgen nahe beieinander liegende Länder des oberen Mittelfelder, z. B: USA, Kanada, Italien und eben auch Deutschland.
Interessant ist, was machen Schweden, England und Holland anders? Eines vereint Schulen in diesen erfolgreichen und auch sonst etwas glücklicheren Länder: Sie haben mehr Gelassenheit. Im zweitplazierten England fängt die Schule um neun Uhr an. Bei den Spitzenreitern, den Schweden, gibt es bis Klasse acht keine Noten. Und beim dicht folgenden Drittplazierten, Holland, beginnt die Schule, wenn die Eltern es wollen, schon für Vierjährige. Die Schule ist dort spielerischer und ernsthafter zugleich, als die deutsche Schule. In Neuseeland, bei Pisa war es sehr gut, in Neuseeland werden Kinder an ihrem fünften Geburtstag eingeschult und das ist ein Fest. Es bekommt der Klasse, dass immer Neue hinzu kommen und die Jahrgänge nicht eingeschult werden wie die Rekruten. Unterschiede in den Gruppe steigern die Intelligenz.
Das neue Schlagwort der Bildungsforscher heißt "Heterogenität". In Deutschland werden schon am Schulanfang viele Kinder als nicht "schulreif" abgewiesen. Das deutsche Problem, das in der Grundschulzeit eher unterbrochen ist, wird in den folgenden Schuljahren immer wieder heißen, gehörst du eigentlich hierher? Bist du für dieses Gymnasium geeignet? In anderen Ländern fragt man, ob die Schule für Kinder geeignet ist. Viele deutsche Kinder sind dann in ihrer Schule nicht mehr zu Hause. Das ist nicht nur ein Effekt des dreigliedrigen, selektiven Systems, sondern auch eines Unterrichts, in dem zumal im Gymnasium immer noch eher Fächer als Kinder oder Jugendliche unterrichtet werden.
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Mit dieser Frage steht nun der deutsche Sonderweg in der Bildung auf der Tagesordnung. Man wird weniger über die Grundschule reden müssen, als über die Zeit, die auf sie folgt, diese so viel Unsicherheit und Angst, vor allem Gleichgültigkeit, ja Verwahrlosung verbreitende deutsche Art Schule zu machen
Erst mal zur Grundschulstudie. Was untersucht sie? In 35 Ländern wurde die Lesefähigkeit von 147.000 Viertklässlern getestet. Lesen ist die grundlegende Kulturtechnik. Alles weitere baut auf ihr auf. Dabei geht es nicht etwa um das phonetische Lesen, sondern um das sinnverstehende, also um das Erfassen und Interpretieren von Texten. Nicht lesen von Buchstaben, sondern entziffern der Welt. Dazu gehört, sich für sie zu interessieren, ja sie zu mögen.
Gefragt wurden die Kinder auch, ob sie gern lesen. Die deutschen Grundschüler lesen allen Unkenrufen über Fernsehkindheit und Computersucht zum Trotz überwiegend gern, ja mit Freude. Aber fünf Jahre später – wir werden diesen Vergleich nicht mehr los – haben mehr als 50 Prozent die Lust am Lesen verloren. Es ist nicht die Pubertät, denn die deutsche Lese-Unlust verzeichnete bei den 15jährigen international den heftigsten Ausschlag auf der Pisaskala. Lernen überhaupt wird bei uns im Laufe der Schulzeit immer weniger attraktiv. Das ist ein Skandal.
Weitere Resultate: Die so genannte Spreizung zwischen leistungsstarken und schwachen Kindern ist in der Grundschule noch gering. Bei den Neuntklässlern wird sie dann größer sein als in allen anderen Ländern, nicht weil wir so viele Starke haben, sondern so viele Schache. Aber, sagen die Iglu-Forscher, diese Schere tut sich bereits in der Grundschule auf. Man muss gegensteuern, um den Absturz fast eines Viertels des Jahrgangs bis Klasse neun zu verhindern. In der Grundschule gehören zu den bedenklich Schwachen 5 Prozent, auch das sind zu viele und sie wären vermeidbar, zu den Gefährdeten gehören etwa 10 Prozent. Auch die Gruppe der Leistungsstarken ist allerdings in der Grundschule im internationalen Vergleich eher schmal. In Deutschland werden die schwachen Schüler schlecht gefördert und die Starken werden zu wenig gefordert. Anders gesagt: Unseren Schülern wird zu wenig zugetraut. Die randständige Position von Kindern der Zuwanderer ist in der Grundschule geringer ausgeprägt als in den weiterführenden Schulen. Man sollte ja meinen, solche Nachteile würden von der Schule im Lauf der Jahre ausgeglichen, zumindest gemindert. In Deutschland nicht, das zeigt der so interessante Iglu-Pisa-Vergleich.
Das Neue seit der heutigen Veröffentlichung ist: Mit Pisa und Iglu vergleichen wir uns nicht nur mit anderen Ländern, sondern mit uns selbst. Der Selbstreflexion kann jetzt niemand mehr ausweichen.
Dabei hilft der Blick auf andere Länder, und zwar nicht der chauvinistische oder bei uns zuweilen auch masochistische, sondern ein Blick, der den Horizont weitet. Im internationalen Ranking belegen unsere Grundschüler Platz 11 von 35 Ländern. Aber die Platzierung täuscht. Nur zu drei Ländern an der Spitze ist der Abstand sehr groß, das sind Schweden als Nummer eins – Finnland hat diesmal nicht mitgemacht – dann folgen England und Holland. Auch der Abstand zum vierten, Bulgarien, ist noch signifikant. Dann folgen nahe beieinander liegende Länder des oberen Mittelfelder, z. B: USA, Kanada, Italien und eben auch Deutschland.
Interessant ist, was machen Schweden, England und Holland anders? Eines vereint Schulen in diesen erfolgreichen und auch sonst etwas glücklicheren Länder: Sie haben mehr Gelassenheit. Im zweitplazierten England fängt die Schule um neun Uhr an. Bei den Spitzenreitern, den Schweden, gibt es bis Klasse acht keine Noten. Und beim dicht folgenden Drittplazierten, Holland, beginnt die Schule, wenn die Eltern es wollen, schon für Vierjährige. Die Schule ist dort spielerischer und ernsthafter zugleich, als die deutsche Schule. In Neuseeland, bei Pisa war es sehr gut, in Neuseeland werden Kinder an ihrem fünften Geburtstag eingeschult und das ist ein Fest. Es bekommt der Klasse, dass immer Neue hinzu kommen und die Jahrgänge nicht eingeschult werden wie die Rekruten. Unterschiede in den Gruppe steigern die Intelligenz.
Das neue Schlagwort der Bildungsforscher heißt "Heterogenität". In Deutschland werden schon am Schulanfang viele Kinder als nicht "schulreif" abgewiesen. Das deutsche Problem, das in der Grundschulzeit eher unterbrochen ist, wird in den folgenden Schuljahren immer wieder heißen, gehörst du eigentlich hierher? Bist du für dieses Gymnasium geeignet? In anderen Ländern fragt man, ob die Schule für Kinder geeignet ist. Viele deutsche Kinder sind dann in ihrer Schule nicht mehr zu Hause. Das ist nicht nur ein Effekt des dreigliedrigen, selektiven Systems, sondern auch eines Unterrichts, in dem zumal im Gymnasium immer noch eher Fächer als Kinder oder Jugendliche unterrichtet werden.
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