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Lesen ohne Berührung

Archäologie. - 1947 machten Beduinen in Qumran am Toten Meer einen sensationellen Fund: Sie entdeckten in elf Höhlen Schriftrollen und Fragmente aus Pergament und Leder. Den äußerst vorsichtigen Umgang mit den wichtigen Dokumenten erleichtert ein Verfahren, dass sich Berliner Forscher einfallen ließen.

Von Mirko Smiljanic |
    Qumran-Texte im Original zu untersuchen - für viele Altertumswissenschaftler bleibt das ein unerfüllter Traum. Nicht so für ein Team Berliner Physiker und Chemiker. Sie analysieren zur Zeit Pergamentfragmente, die zwischen dem dritten Jahrhundert vor Christus und dem Jahr 68 nach Christus von Mitgliedern der Essener, einer kleinen Sekte am Toten Meer, geschrieben worden sind. Das Werkzeug der Forscher heißt BESSY, der Berliner Elektronenspeicherring für Synchrotronstrahlung; ihre Methode 3D-Röntgenfluoreszensanalyse. Dabei erzeugt der Synchrotonring zunächst energiereiche Röntgenstrahlung,

    "die mit Hilfe von speziellen Röntgenoptiken fokussiert wird auf dieses Fragment, und mithilfe eines speziellen Detektors, vor dem noch eine zweite Röntgenoptik sitzt, wird die spezifische Strahlung der Elemente, die in diesem Fragment vorhanden sind, detektiert,"

    erläutert Birgit Kanngießer, Physikerin und Leiterin der Arbeitsgruppe Analytische Röntgenspektroskopie an der Technischen Universität Berlin. Röntgenstrahlen tasten die chemischen Bestandteile ab, die wiederum antworten mit einer je nach Element unterschiedlichen Fluoreszenzstrahlung. Für die Forscher interessant sind Konzentration und Verteilung der Elemente unmittelbar unterhalb der Pergament-Oberfläche. Die Stoffe dort verraten nämlich, mit welchem Wasser der Pergament seinerzeit hergestellt worden ist. Untersuchungen zeigen,

    "dass es ein spezielles Verhältnis von dem chemischen Element Brom zu Chlor in der Umgebung des Toten Meeres gibt. Und da haben wir besonders Glück, weil dieses Verhältnis sonst nirgendwo in diesem Land gefunden werden kann, "

    Hat ein Fragment das gesuchte Brom-Chlor-Verhältnis, ist es am Toten Meer produziert worden, stimmt das Verhältnis nicht, liegt der Verdacht nahe,...

    "...dass das Pergament erst einmal auch woanders hergestellt worden ist. Man kann sich jetzt verschiedene Szenarien ausdenken, dass das Pergament woanders hergestellt worden ist, die Essener haben das Pergament sozusagen bezogen und dann beschrieben, oder es das Pergament ist komplett in der Siedlung Qumran hergestellt worden und dann auch beschrieben worden."

    Vergleichbare Analysen machen die Berliner Forscher mit der vor 2.000 Jahren benutzten Tusche aus Ruß und dem Bindemitte Gummi arabicum. Erste Untersuchungen am BESSY zeigen, dass die Tusche einiger Fragmente gut erhalten ist, während andere unter dem bei Altertumsforscher gefürchteten Kupferfraß leiden. Die Frage ist nun: Wie gelangt Kupfer in die Tusche? Als Verunreinigung antwortet Oliver Hahn von der BAM, der Bundesanstalt für Materialforschung in Berlin. Und diese Verunreinigung kann Auskunft geben, wo die Tusche hergestellt worden ist.

    "Also normalerweise werden organische Materialien verbrannt, die müssen natürlich in irgendwelchen Gefäßen verbrannt oder aufbewahrt werden, dass durch den Herstellungsprozess des Rußes eben diese Kupferspuren in den Ruß hineingelangt sein können, das wäre die eine These, eine andere These hat auch wieder etwas mit der Provenienz zu tun, es gab zu der Zeit des heutigen Israel Kupferabbau, sodass man davon ausgehen kann, dass bestimmte Wässer benutzt worden sind, die einen relativ hohen Anteil von Kupfer enthalten haben können."

    Chemische Verunreinigungen können aber noch ein weiteres Problem lösen. Jahrzehnte standen die Forscher ratlos vor vielen Tausend kleinen bis kleinsten Fragmenten. Mit der 3D-Röntgenfluoreszens-analyse sind nun Aussagen möglich, welcher Schnipsel zu welcher Rolle gehört. Das spätere Zusammenfügen der Puzzle-Teile werde so deutlich vereinfacht, sagt Birgit Kanngießer.

    "Da kann man dann wirklich mit bloßem Auge schauen, ob die Stückchen zusammenpassen oder nicht."