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Lessing meets Salsa

Vielleicht ist es nicht das wichtigste, sicher aber das größte Theatertreffen der Welt - und das findet in diesem Jahr immerhin zum vierten Mal statt. in Bogotá, der sieben Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt des gebeutelten Kolumbien. 45 Ensemble aus 33 Ländern präsentieren zwei Wochen lang mehr als 600 Aufführungen. Aus Deutschland wurden das Hamburger Thalia-Theater mit Andreas Kriegenburgs Inszenierung "Bernada Albas Haus" und die gefeierte "Emilia Galotti" eingeladen, die Michael Thalheimer am Deutschen Theater Berlin herausbrachte.

Von Andrea Gerk |
    Wir sind das größte Festival der Welt – Danke an unser Land, an unsere Regierung – und natürlich an Sie, liebes Publikum – es lebe die Leidenschaft, es lebe das Fest, es lebe das Theater!

    Fanny Mickey ist die Seele dieses gigantischen Theaterfestivals und die Impressaria lässt es sich nicht nehmen, das Publikum vor jeder Vorstellung – zumindest per Band – überschwänglich willkommen zu heißen. Die 73-jährige Schauspielerin mit den feuerroten Locken, kennt in Kolumbien jeder und es ist wohl allein ihr zu verdanken, dass sich seit 1988 die Theater-Welt in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota einfindet. Trotz der Gefahren in dem zwischen Guerilla, Paramilitärs und Drogenmafia aufgeriebenen Land, sind diesmal 45 Ensembles aus 33 Ländern in die 7-Millionen-Einwohner-Stadt gereist, um in knapp zwei Wochen über 600 Vorstellungen über die Bühne zu bringen. Fanny Mickeys exzellente Kontakte und die Ausdauer, mit der die geborene Argentinierin immer wieder kunstsinnige Geldgeber auftreibt, sind eine Art Geschenk an ihre Wahlheimat:

    Ich bin vor vielen Jahren aus Liebe hier her gekommen – als die in die Brüche ging, habe ich mich eben einfach in Kolumbien verliebt. Ich glaube, dass ich hier nützlich sein kann – nicht nur als Schauspielerin, sondern um z.B. auch so ein Festival zu organisieren. Außerdem ist das kolumbianische Publikum einfach wunderbar und die Stimmung ist großartig - die Polizei hat uns z.B. mitgeteilt, dass während des Festivals auch tatsächlich weniger Gewalttaten in der Stadt passieren.

    Die Kolumbianer sind sehr bemüht, den ausländischen Gästen ein anderes Bild ihres Landes zu zeigen. Und tatsächlich ist ganz Bogota zwei Wochen lang vor allem im kollektiven Theaterfieber: gespielt wird auf fast allen Bühnen, sogar in der Stierkampfarena und in sämtlichen Parks. Wenn eines der zahlreichen Straßentheater – wie diese brasilianische Truppe – mitten in der Stadt auftritt, bleiben schnell mal bis zu zehntausend Menschen stehen - und staunen. Für viele die einzige Möglichkeit, Kultur zu erleben, wie dieser junge Kolumbianer erklärt:

    Viele Leute hier verdienen extrem wenig Geld und die müssen sich entscheiden, ob sie ein Buch kaufen oder etwas zu essen für ihre Familien – natürlich kaufen sie das Essen, sie haben keine Wahl. Aber die Leute, die nicht das Geld haben ins Theater zu gehen, sollten trotzdem auch etwas von diesem großen Ereignis haben – deshalb ist Straßentheater so wichtig.

    Die Stadt Bogota, die den 3 Millionen Dollar Etat des Festivals zu einem Drittel finanziert, hat ihre Unterstützung an kostenlose Veranstaltungen wie diese geknüpft. Ein weiteres Drittel holt Fanny Mickey über Sponsoren rein und der Rest wird über den Kartenverkauf finanziert. Was kein Problem ist, da so gut wie jede Vorstellung ausverkauft ist. Die Theater-Begeisterung der Bogotaner ist legendär und überrumpelt die eingeladenen Deutschen, wie Regisseur Andreas Kriegenburg, dessen Hamburger Inszenierung von Garcia Lorcas "Bernarda Albas Haus" zum krönenden Abschluss sogar von der größten Tageszeitung des Landes "El Tiempo" auf Hitlistenplatz Eins gewählt wird.

    Wie bei jeder großen Veranstaltung gibt es aber auch kritische Stimmen. Eine der traditionsreichsten freien Gruppen Kolumbiens, das Kollektiv "teatro la candelaria", hat ein Alternativfestival auf die Beine gestellt. Der Initiator und Regisseur Santiago Garcia erklärt, weshalb:

    Die Auswahlkriterien bei diesem Festival sind rein formalistisch, und kommerziell – man lädt lauter Sachen ein, die eingängig und technisch spektakulär sind, aber es gibt keinerlei Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Dramaturgie und Dramatik.

    Als Gegenprogramm zeigt Santiago Garcia ein sehr bewegendes Stück Improvisationstheater über die buchstäblich gewaltige kolumbianische Geschichte und ihre kollektiven Mythen. Aber echte Gegnerschaft oder gar Feindschaft scheint zwischen den beiden Festivals nicht zu bestehen – dazu sind die Kolumbianer irgendwie auch viel zu höflich und lebenslustig. Statt ästhetischen oder gar ideologischen Streitereien nachzugehen, lädt man die ausländischen Gäste lieber auf das zur Theaterstadt umfunktionierte, riesige Messegelände ein – zur "rumba corrida", wie das endlose Feiern hier heißt. Manchmal taucht dann auch Fanny Mickey noch auf und schwingt das noch immer schöne Tanzbein. Dann freuen sich die Kolumbianer, weil die Gäste von ihrem Land wirklich ein anderes Bild mitnehmen, als das was Bürgerkrieg und Drogenmafia vorgeben.