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Lettische Präsidentin nimmt an den Feiern in Moskau teil

Durak: Wo steht Lettland politisch, näher bei Russland oder näher bei den westlichen Staaten? Das ist eine Frage, die sich Beobachtern von außen stellt, wenn sie hören, dass Lettland, als bisher einziger baltischer Staat, die Einladung des russischen Präsidenten zu einer gemeinsamen Feier anlässlich des 60. Jahrestages der deutschen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg angenommen hat. Polens Präsident Kwasniewski nimmt ebenfalls teil. Nun also will die lettische Staatspräsidentin, Frau Vaira Vike-Freiberga zum 9. Mai nach Moskau reisen. Ich darf sie am Telefon begrüßen. Schönen guten Tag.

    Vike-Freiberga: Schönen guten Tag.

    Durak: Frau Vike-Freiberga, weshalb haben Sie denn diese Einladung von Wladimir Putin angenommen?

    Vike-Freiberga: Ich habe es im Geiste der Zukunft Europas getan, um zusammen zu sein mit allen meinen anderen Kollegen, nur nicht mit meinen Nachbarn, den Präsidenten Estlands und Litauens. Aber alle anderen, glaube ich, werden nach Moskau reisen. Und eben wenn es ein Datum für Lettland ist, das uns natürlich an die Okkupation erinnert von der Sowjetunion über Lettland, wo wir unsere Freiheit verloren haben. Doch es ist auch das Datum, wo der Zweite Weltkrieg zum Ende kam und darum glauben wir, dass man zusammen mit den anderen dieses Datum von dieser Seite aus feiert. Aber ich habe auch eine Deklaration gemacht, um alle zu erinnern, dass es für uns nicht die Freiheit war in '45.

    Durak: Die Sowjetunion, Sie haben es angedeutet, hat Deutschland ja als Besatzer abgelöst, hat das lettische Volk fast vernichtet, und erst mit dem Untergang der Sowjetunion hat dies ein Ende gegeben. Ist dieser Besuch von Ihnen dort auch so etwas wie eine Geste des Verzeihens?

    Vike-Freiberga: Man könnte das schon so sagen, weil das Moskau, nach wo ich reise, ist ja jetzt die Hauptstadt von Russland und nicht der Sowjetunion. Gott sei dank, ist es jetzt 60 Jahre später und gerade deshalb glaube ich, kann ich es mir leisten, als Präsidentin Lettlands da zu sein. Ich glaube, wenn Stalin es wüsste, würde er wirklich sich umdrehen, wo er ist in der Hölle, weil Lettland jetzt nicht okkupiert aber ein Freistaat ist.

    Durak: Und gegenüber Russland hat Lettland ein neues Selbstbewusstsein gewonnen, gegenüber der Zeit aus der Sowjetunion. Stehen da alle Letten hinter Ihnen?

    Vike-Freiberga: Es ist ja eine peinliche Sache. Da sind ja viele, die es selbst erlebt haben, die in den Gulag geschickt wurden. Da sind wenige Familien in Lettland, wo jemand nicht getötet oder verschleppt war oder etwas anderes Furchtbares erlebt hat. Aber ich glaube, da habe ich die Unterstützung der Regierung, des Bundesrates und auch von der Bevölkerung, von den meisten von ihnen, natürlich nicht 100 Prozent aber sehr viele haben mir gesagt, dass ich Recht habe, das zu tun.

    Durak: Weshalb braucht Lettland Russland?

    Vike-Freiberga: Als Nachbar möchten wir natürlich eine gute Nachbarschaft und Partnerschaft mit Russland haben, ebenso wie die anderen Länder von der Europäischen Union. Wir sind ja schon jetzt Handelspartner, wir könnten es in der Zukunft auch sein. Besonders, wenn man diese Leute in seiner Nachbarschaft hat, dann ist es für uns wirklich sehr wichtig, gute Beziehungen zu haben, aber wie die Engländer sagen, "It takes two to Tangle".

    Durak: Sie haben es schon angedeutet, Estland und Litauen, die Präsidenten dieser beiden baltischen Staaten, lehnen die Teilnahme an der Siegesfeier ab. Aber Sie, als Staatspräsidentin von Lettland, tun es. Was unterscheidet Lettland von den anderen beiden baltischen Staaten in den Beziehungen zu Russland?

    Vike-Freiberga: Nicht so ganz viel. Vielleicht könnte man sagen, dass es Litauen besser geht, weil sie ein Grenzenverständnis mit den Russen haben, und das ist wegen Kaliningrad geschehen. Aber sonst ist da nicht so viel Unterschied. Ich glaube, der Unterschied war in der Meinung der Präsidenten, wie das Volk es verstehen würde. Und wie gesagt, ich glaube, das Volk in Lettland unterstützt meine Entscheidung.

    Durak: Gibt es besonderen Grund zu besonderer Vorsicht gegenüber der starken russischen Macht des Präsidenten Putin?

    Vike-Freiberga: Ich glaube, dass eine Macht, die nicht demokratisch ist, immer etwas ist, gegenüber dem man vorsichtig sein muss. Die ganze Frage steckt darin, wie demokratisch Russland ist und wie demokratisch es sein wird.

    Durak: Verstehen Sie sich, Frau Vike-Freiberga, möglicherweise auch als Brückenbauerin zwischen Russland, den anderen baltischen Staaten und den westlichen europäischen Staaten?

    Vike-Freiberga: Es wäre ja schön, wenn es so wäre. Ich weiß nicht, ob schon jetzt der Tag ist.

    Durak: Eine vielleicht persönliche Frage, wenn Sie erlauben. Es heißt, Sie verständigten sich mit Wladimir Putin auf Deutsch, weil es die einzige gemeinsame Sprache zwischen Ihnen beiden ist, und Sie lernten jetzt russisch. Wie kommt das?

    Vike-Freiberga: Nicht genug, um mit ihm russisch zu sprechen.

    Durak: Ist es ein merkwürdiges Gefühl, sich in der Sprache der einstigen Gegner zu unterhalten?

    Vike-Freiberga: Wissen Sie, ich habe immer gedacht, dass es jetzt eine andere Welt ist. Das ist für mich das wichtigste.

    Durak: Das hört man in Deutschland sicherlich sehr gern. Frau Vaira Vike-Freiberga, die lettische Staatspräsidentin, hier bei uns im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank, Frau Präsidentin.
    Lettische Haupstadt Riga
    Lettische Haupstadt Riga (AP)