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Lettland
Exil für russische Journalisten

Weil sie im eigenen Land nicht unabhängig arbeiten können, zieht es manche russische Journalisten ins Ausland. Einige wie Galina Timtschenko haben eine neue Heimat in Lettland gefunden. Sie wollen der russischen Minderheit dort eine unzensierte Alternative zu Putins Staatssendern geben.

Von Birgit Johannsmeier | 12.11.2014
    Galina Timtschenko an einem Tisch mit Mikrofon
    Die Journalistin Galina Timtschenko bei einer Podiumsdiskussion im März 2013 in Moskau. (picture alliance / dpa / Vladimir Pesnya)
    Galina Timtschenko sitzt vor ihrem Computer und mustert die Aufmacher ihrer neuen Internetzeitung "Meduza.io". "Überleben etwa nur die Reichen?", fragt die Herausgeberin provokativ in einem Artikel und berichtet ausführlich über die ersten sozialen Proteste in Moskau seit 2005.
    "Die Kreml-Propaganda berichtet täglich viermal über die Ukraine, zweimal über Wladimir Putin und einmal über Kultur. Wir wollen den Leuten aber erzählen, was wirklich wichtig ist. Dass der russische Rentenfonds eingefroren wurde und allein in Moskau jedes zweite Krankenhaus dicht gemacht wird. Lettland hat eine liberale Gesetzgebung, das Internet ist hoch entwickelt und es leben viele Leute hier, die russischer Herkunft sind. Wir als Journalisten können mit ihnen russisch sprechen und verstehen, was um uns herum passiert."
    Russischer Herkunft ist auch die Journalistin Olga Dragilieva. Sie hat mit Galina Timtschenko gleich nach ihrer Ankunft im lettischen Fernsehen ein Interview geführt. Die Journalistin schätzt das neue Nachrichtenportal "Meduza.io" mit unzensierten Informationen über Russland. Vor allem aber ist Olga Dragilieva froh darüber, dass sich die Moskauer Redakteure für ein Exil in Lettland entschieden haben.
    "Wir sind daran gewöhnt, dass Opposition und Andersdenkende in andere Länder gehen. Litauen gewährt Dissidenten aus Weißrussland Asyl, Estland nimmt hin und wieder Leute aus Russland auf - ich empfand es als beschämend, dass Lettland bisher kein Ziel gewesen ist. Endlich haben Menschen wie Galina Timtschenko uns entdeckt, das hatte ich nicht erwartet. Sie hat Riga sogar Berlin vorgezogen, das finde ich einfach toll."
    Ausstrahlung des russischen Staatsfernsehens verboten
    Der Umzug von Galina Timtschenko nach Riga sei gerade für die russische Minderheit ein deutliches Signal, dass Lettland ein demokratischer Rechtsstaat ist, sagt Ainars Dimants vom Rundfunkrat. Er überwacht die lettische Medienlandschaft und hat drei Monate lang die Ausstrahlung des russischen Staatsfernsehens verboten. Wegen Kriegshetze, die im Staatsfernsehen läuft, seitdem klar ist, dass auch Russen im Osten der Ukraine kämpfen, sagt Ainars Dimants. Das russische Militär sollte angeblich die Russen in der Ukraine schützen. Eine Propaganda, die sich leicht auf die russische Minderheit in Lettland übertragen ließe und das Land destabilisieren könne. Ainars Dimants:
    "Wir müssen die Kreml-Propaganda neutralisieren. Das kann man durch ein Verbot, besser jedoch ist eine alternative Informationsquelle zu den russischen Staatsmedien. Außerdem sehen unsere lettischen Russen, dass es in Russland nicht nur die Anhänger Putins gibt, sondern auch Journalisten, die anderer Meinung sind und sogar von Lettland aus berichten wollen."
    Auch Olga Procevska gehört zur russischen Minderheit und liest täglich im neuen Nachrichtenportal "Meduza.io". Die Umsiedlung der Redaktion von Moskau nach Riga könne sogar mit den Vorurteilen der lettischen Nationalisten aufräumen, sagt sie. Für die Nationalisten seien nämlich Russen, die nach Lettland umsiedeln, allesamt Agenten Putins. Auf der Höhe seiner Wirtschaftskrise hat Lettland jedem Investor, der mehr als 250.000 Euro in eine Immobilie investiert, ein Schengenvisum angeboten, mit dem er sich frei in der gesamten Europäischen Union bewegen kann. Jenes Gesetz, das gegen den Willen der Nationalisten verabschiedet worden ist, kam jetzt auch der Journalistin Galina Timtschenko zugute. Bis heute wurden dadurch mehr als 1.000 Russen an die lettische Ostseeküste gelockt, sagt Olga Procevska.
    "Galina Timtschenko könnte das Ansehen der russischen Investoren verbessern, die bei uns ein Schengenvisum erhalten. Viele ziehen aus denselben Gründen wie Galina nach Lettland, sie wollen einfach nicht mehr in Putins Russland leben."
    Vielleicht wird es "Meduza.io" tatsächlich gelingen, nicht nur unzensierte Nachrichten aus Russland im Netz zu verbreiten, sondern auch Vorurteile zwischen Letten und russischer Minderheit in Lettland abzubauen.