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Lettland im Winter

Manch einer flieht um diese Jahreszeit aus unseren Breiten und sucht die Sonne- andere steigen hoch hinauf, per Skilift und brettern die Berge hinunter. Vom Pauschaltourismus vollkommen links liegen gelassen und für neugierige Reisende eine Entdeckung ist da das Lettland - erst recht im Winter.

Von Ulrike Burgwinkel |
    Liga Raituma arbeitet seit 16 Jahren am Goethe-Institut in Riga an der Torna Iela.

    "Kurz übersetzt heißt das: Herzlich willkommen in Riga in einem echt schönen lettischen Winter, alles ist verschneit, bis zu der Nase und auch der Frost ist so, dass die Nase ein bisschen zufriert."

    Ich fühle mich absolut willkommen. Auch wenn ich sie nicht verstehe, klingt die lettische Sprache wunderschön in meinen Ohren.

    "Die Sprache ist musikalisch, nicht so musikalisch wie italienisch, das ist wahrscheinlich die musikalischste Sprache der Welt, aber sehr, sehr musikalisch. Nicht umsonst singen Letten sehr viel und sehr oft."

    "In Lettland singen alle. Singen, das ist normal, Singen ist auch eine Art, sich auszudrücken."

    Beim großen Sängerfest, das alle vier Jahre stattfindet, stehen nicht nur 1500 Sänger auf der Bühne, das Publikum, ungefähr noch einmal doppelt so viele Menschen, singt auch mit bei den "Dainas", traditionellen Gedichten. Außer Lettisch höre ich - gut zu unterscheiden- viel russisch auf der Straße, die Muttersprache eines Drittels der Bevölkerung. Englisch, Deutsch, Französisch - Fehlanzeige, keine West-Touristen in Sicht- oder Hörweite um diese Jahreszeit. Vermutlich wissen sie nicht, was man im Winter im Baltikum erleben kann. Liga Raituma.

    "Ja, das wissen sie nicht? Die Exportware Nummer eins im Winter, in Lettland: Skilaufen. Wir haben jede Menge Skipisten, Skiorte, und da kommen massenweise Litauer zu uns, die Letten auch am Wochenende, am Feierabend, fahren hin und sind einfach in der frischen Luft und so."

    Sogar mitten in Riga, direkt neben der Nationaloper, im Park, wird gerodelt, werden Langlaufski geputzt und Schneemänner gebaut. Das ist schön zum Zuschauen. Die weiß behütete Altstadt- ein Muss- erwandere ich in sicherem Abstand zu den mit Riesen-Eiszapfen bewehrten Dächern. Zum Aufwärmen und Ruhe finden setze ich mich in den größten Sakralbau Lettlands, den Rigaer Dom.

    Um die Mittagszeit gibt es dort ein kleines Orgel-Konzert zu hören. Die berühmte Walckerorgel aus den Ludwigsburger Werkstätten von 1883 braust gewaltig durch das große Kirchenschiff - ein erhebendes Gefühl für Herz und Ohren.

    Aber eigentlich suche ich Meerluft, Dünen, Strand. Mit dem Zug in knapp einer halben Stunde bin ich in Jurmala.

    Statt Sand: Schnee, statt Meeresrauschen eine in Eis erstarrte Ostsee. Nur ein paar unerschrockene Angler auf den zugefrorenen Flüssen Daugava und Lielupe sitzen mit ihren Handbohrern und Angeln an ihren Eislöchern. Stille, Einsamkeit. Unendliche Ruhe. Touristen? Ich fühle mich wie die einzige Unerschrockene.

    "Im Winter kommen die meisten Gäste, um sich zu erholen, ihrer Gesundheit etwas Gutes zu tun. Da gibt es Wellness und Spa Treatments, zum Beispiel Schlammpackungen, Bäder und Schwimmkuren, Massagen, ärztliche Konsultationen, Mineralwasseranwendungen für innen und außen. Konferenzen und Seminare werden gebucht. Jetzt dominiert der lokale Tourismus. Denn man muss ja einfach mal rauskommen, sogar in der derzeitigen finanziellen Krisensituation, damit man am Montag wieder mit frischem Kopf zur Arbeit gehen kann, sich wohlfühlt, auch mit der Familie und den Kindern."

    Solveiga Freiberga leitet das kleine Touristeninformationsbüro auf der Jomas Iela, der Flaniermeile in Majori, dem Zentrum von Jurmala. Viele "Pardod"-, "Zu verkaufen"-Schilder an den Häusern zeigen, dass die Krise in Jurmala angekommen ist. Der junge Mann ein Haus weiter auf der Jomas Iela, in der Konditoreja "life style" ist ausgebildeter Tänzer, derzeit ohne Engagement und verdient sich als Kellner sein Geld.

    "In unserer Konditorei mögen die Leute am liebsten heiße Getränke, immer häufiger trinken sie Tee, deswegen haben wir neun Varianten; selbstverständlich Kaffee, Kuchen und gute Musik. Im Winter wollen sich die Leute hier einfach nur aufwärmen. Manchmal kann ich auch Tipps geben, was man sich anschauen kann hier in Jurmala."

    Anschauen will ich mir auf jeden Fall Kemeri und Tukums, beide Städtchen an einer Bahnstrecke, beide am Rande des Kemeri-Nationalparks gelegen. Im Park stecken die weißstämmigen Birken, die Kiefern und die Moorheidelandschaft unter einer dichten Schneedecke. Derzeit nur Langlauf oder Schneeschuhwanderung möglich. In Kemeri finde ich noch nicht einmal ein geöffnetes Café- also weiter nach Tukums. Touristisch gut aufgestellt präsentiert sich die Region, ist auf deutsche Reisende eingestellt: Ökotourismus, Ferien auf dem Bio-Bauernhof, Naturerleben, allein drei erwanderbare Schlösser und Exkursionen mit dem Fahrrad.

    Kälte, Schnee, Eis und keine Chance zum Radfahren. Aber es gibt wirklich keinen Grund, dem Winterblues anheimzufallen, sondern mindestens einen guten Grund, Blues zu hören: Der bekannteste Jazzclub in Riga, der Bites Bluz Club, feiert sein zehnjähriges Bestehen.

    "Das Blues-Gefühl ist ganz wichtig bei dieser Musik. Bei den meisten dieser Songs geht es um den Verlust der großen Liebe, um Geld, das fehlt. Dass man keinen Platz auf dieser Welt hat, viel zu viel Whiskey trinkt, sein Heim verlassen muss. Einfach all die Dinge, die man durchstehen muss, alles, was man verlieren kann."

    Rolands Saulietis. Verloren hat die "Latvian Blues Band" nicht Hof und Heim. Im Gegenteil: Die fünf Jungs aus Riga haben die Baltic Blues Challenge gewonnen, ihren Club in zehn Jahren zu einem anerkannten Treff gemacht und ihren ganz eigenen Stil gefunden, sagt Janis "Bux" Bukovskis, Frontmann der Latvian Blues Band.