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Lettland vor der Wahl

Am Samstag wählen die Letten ein neues Parlament. Offen ist, ob dies auch eine Wende im politischen Machtkampf in Riga ist. Jedenfalls war die Chance, korrupte Seilschaften von der Macht in Lettland zu verdrängen und Transparenz in die Politik zu bringen noch nie so groß.

Von Albrecht Breitschuh | 16.09.2011
    Im August feierte Lettland den 20. Jahrestag seit Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit. Wie sehr sich die ehemalige Sowjetrepublik in dieser Zeit verändert hat, haben vor allem die Menschen in Ventspils erfahren. In den 80er-Jahren war Ventspils noch eine kleine Hafenstadt mit reichlich sowjetischem Militär, keiner wollte hier freiwillig wohnen. Heute ist die Stadt an der Ostsee nicht nur ein beliebter Wohn-, sondern auch Touristenort.

    Postkartenmotive gibt es reichlich: Die restaurierte Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen und den Holzhäusern aus dem 19. Jahrhundert, als Ventspils noch Windau hieß. Es gibt viele hübsche Parks und Grünflächen, die Straßen sind in einem guten Zustand, außerhalb der Altstadt wirkt es fast schon ein wenig steril. 40.000 überwiegend zufriedene Menschen leben heute in der Hafenstadt:

    "Schauen Sie, was für eine Uhr aus Blumen wir da haben, Blumen gibt es überall, in der ganzen Stadt. Alle Behörden arbeiten sehr gut. Die Stadt ist einfach schön, das sagen auch die Besucher. Die sind alle begeistert."

    "Angenehm ist es hier, wir haben viele Freizeitmöglichkeiten. Um uns herum gibt es viel Natur, hier in der Stadt Schwimmbäder, da sind wir oft mit unseren Kindern. Ventspils ist zwar eine kleine Stadt, aber das Angebot ist groß."

    Und die Leute sind sich auch ziemlich sicher, wem sie das alles zu verdanken haben: Aivars Lembergs. Seit über 20 Jahren ist er Bürgermeister von Ventspils, unter ihm hat die Stadt einen erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwung genommen: Es gibt eine Hochschule, ein mit EU-Geldern gefördertes Technologie- und Innovationszentrum, die Hafenwirtschaft floriert und auch dank kommunaler Beschäftigung liegt die Arbeitslosigkeit unter dem Landesdurchschnitt. Eine Entwicklung, die ohne den Bürgermeister Aivars Lembergs kaum möglich gewesen wäre, so die fast einhellige Meinung:

    "Ich sage Ihnen ganz direkt - mir ist der Mann sympathisch. Er ist ein Mann des Volkes, kauft hier bei uns auf dem Markt oder drüben in der Fleischhalle. Und wenn man ihn anspricht, weist er keinen ab."

    "Man sollte aufhören, Dummheiten über Lembergs zu erzählen. Er ist ein Mensch der arbeitet. Wenn alle so arbeiten würden wie Lembergs, ginge es dem Land besser."

    "Ich mag ihn. Er ist wie ein Vater, kümmert sich um seine Stadt. Dass man ihn einen Oligarchen nennt, ist nicht so wichtig. Hauptsache, dass die Menschen leben, arbeiten und verdienen können."

    Aivars Lembergs ist einer der reichsten Männer Lettlands. Wie viel Geld er hat, an welchen Firmen er in welchem Umfang beteiligt ist oder sie ganz besitzt, wissen auch die Gerichte nicht so genau. Die haben sich schon häufiger mit ihm beschäftigt: Wegen Korruption, Geldwäsche und Machtmissbrauch war er angeklagt, aber ein Gefängnis von innen hat er nie gesehen, sieht man einmal von ein paar Tagen Untersuchungshaft ab.

    Als er die abgesessen hatte und wieder rauskam, wurde Lembergs von einigen Rentnerinnen mit riesigen Blumensträußen empfangen. Gemeinsam mit Andris Skele und Aivars Slesers zählt Lembergs zu den drei sogenannten Oligarchen Lettlands. Ein schwerreiches Trio von Geschäftsleuten, das sein Geld vor allem durch Privatisierung vormals staatlicher Betriebe gemacht hat und die Politik nach ihrer Pfeife tanzen lässt, wenn es denn sein muss, so der Publizist Aivars Ozolins:

    "Bis Ende der 90er-Jahre war die Monopolstellung von Lembergs erdrückend. Die Fraktionsvorsitzenden der Regierungskoalition sind von Riga nach Ventspils gefahren, um hier Anweisungen entgegenzunehmen. Dann kam Andris Skele in die Politik, wollte Lembergs bekämpfen. Eigentlich etwas Positives, doch die beiden einigten sich schnell, privatisierten eine Reederei. Noch ein riesiges Unternehmen, das sie billig vom Staat bekommen haben und dann aufteilten.

    Dann kam Ainars Slesers. Auch der wollte die Oligarchen bekämpfen, erzählte überall, wie korrupt Skele und Lembergs seien. Doch er hat schnell von ihnen gelernt, wie man den Staat für seine Zwecke missbraucht. Die beiden anderen haben ihn als würdigen Mitspieler akzeptiert, und als er seinen Anteil bekommen hatte, war der Kampf gegen die Oligarchen zu Ende. Das ist kurz gesagt die Oligarchen-Geschichte in Lettland."

    Einer hat diesen Kampf jedoch wieder aufgenommen, der frühere Staatspräsident Valters Zatlers. Dass in Lettland am kommenden Samstag gerade mal ein Jahr nach den letzten regulären Parlamentswahlen erneut gewählt wird, haben die Letten ihrem früheren Staatsoberhaupt zu verdanken. Im Mai - Zatlers war damals noch in Amt und Würden - hatte er das Parlament in Riga aufgelöst und damit durch ein im Juli folgendes Referendum Neuwahlen ermöglicht.

    Die Abgeordneten hatten sich zuvor mehrheitlich geweigert, einer polizeilichen Durchsuchung von Liegenschaften zuzustimmen, die Ainars Slesers gehören, also einem jener Oligarchen. Damit, so Zatlers, hätte das Parlament gezeigt, dass es mehr am Wohlergehen einer kleinen Gruppe als am Wohlergehen des Staates interessiert sei:

    "In Lettland sind die Grenzen zwischen Politik und Geschäft zugunsten des Geschäfts aufgehoben. Was wir Politik nennen, ist Polit-Business, mit Käuflichkeit und Korruption auf allen Ebenen. Vor uns liegen große Aufgaben, aber am wichtigsten ist, die Schattenwirtschaft und die Schattenpolitik zu einem Ende zu bringen. Wir brauchen junge Leute mit einem klaren Verstand, klaren Zielen und dem Willen, das Land besser zu regieren, als es für uns möglich gewesen ist."

    Die Reaktionen, die Zatlers beim Volk auslöste, waren eindeutig. Als sich der Staatspräsident an jenem Abend im Mai vor seinem Amtssitz zeigte, schien der Jubel des Volkes kein Ende nehmen zu wollen:

    "Vielen Dank für ihr Verständnis, für ihre Unterstützung. Ich brauche ihre Hilfe, damit wir Lettland wirklich in einen ehrlichen Staat verwandeln. Nochmals vielen Dank, lassen sie uns jetzt positiv in die Zukunft schauen."

    Vor allem junge Menschen applaudierten. Eine Generation, die für die lettische Politik fast schon verloren schien, fühlte sich von Zatlers angesprochen und macht mit originellen Aktionen auf sich aufmerksam, zum Beispiel einem "Friedhofsfest für Oligarchen", das von Tausenden besucht wurde. Junge, erfolgreiche Menschen, so der Publizist Ozolins, die nicht darauf warteten, dass jemand auf dem weißen Pferd komme, um dem Volk zu zeigen, wo es lang geht.

    Ozolins: "Das ist das Wunderbare: wir haben gesehen, dass die junge Generation mehr Interesse an der Politik hat als erwartet. Es wird jetzt sehr wichtig sein, dass wir die zentrale Frage nicht aus den Augen verlieren: Worum geht es bei diesen Wahlen? Die Oligarchen werden natürlich versuchen, soziale Probleme in den Vordergrund zu stellen, um sich dann als Wohltäter aufzuspielen.

    Uns muss es gelingen, die zentrale Botschaft zu transportieren, weshalb Zatlers das Parlament aufgelöst hat: Wir sind für Rechtsstaatlichkeit, für eine wahrhafte Demokratie und wir müssen uns von der korrupten politischen Kultur befreien, die die Oligarchen Lembergs, Skele und Slesers vertreten und verkörpern."

    Doch es gibt berechtigte Zweifel daran, dass dieser Enthusiasmus von Dauer ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Letten nach einer Phase der Begeisterung wieder zur Tagesordnung übergehen würden, sagt der Baltikum-Experte Andreas Klein, der für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Riga arbeitet. Darüber hinaus, so Klein, sei die Abhängigkeit der politischen Parteien – und damit vieler Abgeordneter - von den Oligarchen struktureller Natur.

    Ein System, das der staatlichen Parteienfinanzierung in Deutschland ähnelt, ist zwar geplant, existiert aber noch nicht. Vielmehr werden Parteien auch gegründet, um den Interessen ihrer Geldgeber zu dienen. Ihre Bedeutung bei der politischen Willensbildung ist demgegenüber nachrangig.

    "Wie eben ein Herr Lembergs nicht Mitglied der Grünen und Bauern ist, aber diese Partei in höchstem Maße finanziert. Oder ein Herr Skele, der in die Politik gegangen ist, Ministerpräsident war und dann erst eine Partei gründet, die Volkspartei, die er finanziert. Er ist Vorsitzender, Ministerpräsident und Finanzier dieser Partei, die ihn trägt.

    Er braucht die Partei, um Fraktionsstatus zu erreichen, Wahlen zu gewinnen, Mehrheiten bilden zu können, aber er finanziert die Partei. Genau wie im Prinzip Ainars Slesers eine Partei übernommen hat, finanziert, auf sich zugeschnitten hat und da wagt natürlich auch niemand innerhalb der Partei Widerspruch einzulegen. Widerspruch bedeutet möglicherweise, dass sich der Finanzier zurückzieht und die Partei den Bach runtergeht."

    Dass Abgeordnete von sich aus ihr Mandat niederlegen, kommt nur selten vor. Klavs Olsteins etwa warf die Brocken hin, nachdem sich das Parlament bei der turnusgemäßen Wahl des Staatspräsidenten im Juni gegen Valters Zatlers und für Andris Berzins entschieden hatte. Letzterer gilt bei seinen Kritikern als Mann Lembergs und auch der 28 Jahre alte Klavs Olsteins glaubt, dass die Oligarchen bei der Wahl ihre Finger im Spiel hatten. Wie so oft in Lettland:

    "Da gibt es viele Beispiele. Nehmen wir nur Andris Skele, ihm gehört der Wind-Energie-Park in Liepaja. Da wurde eine einmalige Erlaubnis ausgestellt, dass dieser Park staatliche Subventionen erhalten kann. Diese Gelder flossen nur bei Skele, sonst bei keinem. Dann hat er noch ein Bus-Unternehmen in Liepaja, das hat auch staatliche Gelder erhalten. Ebenso seine Firma, die für Müllabfuhr zuständig ist. Solche Beispiele gibt es auch bei Lembergs und Slesers, die ebenfalls Subventionen erhalten haben. Da liegt der Verdacht schon nahe, dass eine politische Lobby dahinter steht oder ein anderer Einfluss."

    Kein abwegiger Gedanke, immerhin war es ja auch das Parlament, das Ermittlungen gegen den der Korruption verdächtigten Ainars Slesers verhinderte. Ob Slesers, Skele oder Lembergs – alle drei haben schon Erfahrungen mit der Justiz gemacht. Zu einer Verurteilung hat es trotzdem nie gereicht. Die Gründe dafür liegen zumindest im Falle des Bürgermeisters von Ventspils, Andris Lembergs, auf der Hand, so Andreas Klein von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Allein - die Beweise fehlen:

    "Man hört, dass etliche Richter, Juristen, führende Ermittler auf seinem Gehaltszettel, auf seiner payroll stehen. Das weiß ich nicht, dass sind Gerüchte, die man eben so hört. Aber insofern hat der schon ein System an Abhängigkeiten in Lettland aufgebaut über die vergangenen 20 Jahre. Und das nützt ihm sicherlich auch immer, den Hals aus der Schlinge zu ziehen.

    Und was ihm sicherlich auch nutzt und zugute kommt, ist das unglaubliche Ansehen, die unglaubliche Popularität in seiner eigenen Gemeinde. Das ist für ihn immer ein Hafen, in den er sich auch zurückziehen kann und wo er aufgefangen wird. Dort ist er unantastbar, das kann man schon so sagen, weil er eben aus der Stadt Ventspils das gemacht hat, was man heute so sieht."

    Und diese Popularität spielt Lembergs aus. Pressekonferenzen mit ihm sind äußerst launige Veranstaltungen, in denen er sich über Politiker und die Justiz lustig macht. Er wusste im Voraus, dass die Antikorruptionsbehörde bei ihm zu Hause ermitteln würde, die Öffnung seines Sicherheitsschrankes durch die Ermittler geriet zur Lachnummer. Nach ein paar Stunden war der Schrank schließlich offen, drinnen lag nur Lembergs Hochschuldiplom. Eine Farce, die auf YouTube festgehalten ist:

    "Wirklich, der Panzerschrank wurde vier Jahre nicht verwendet. Es gab auch nichts, was ich da hätte aufbewahren sollen. Ich wusste nicht einmal mehr den Zahlencode. Ich dachte, ich hätte ihn im Kopf, aber dann stellte sich heraus, nein, doch nicht. Dann habe ich gesagt, holt euch ein paar starke Männer, tragt das Ding runter und weg damit. Ist sowieso nichts drin."

    Dass die bevorstehenden Wahlen so etwas wie eine Volksabstimmung gegen die Macht der Oligarchen werden, wäre wohl eine übertriebene Hoffnung. Ein Sieg des Parteienbündnisses unter dem jetzigen Ministerpräsidenten Valdis Dombrovskis, den Zalters übrigens unterstützt, gilt als wahrscheinlich. Der 41-Jährige ist seit Februar 2009 im Amt, für lettische Verhältnisse fast schon eine Ewigkeit.

    Seine Politik besteht im Wesentlichen aus Sparen und Kürzen. Folge der schweren Finanzkrise, als Lettland sich Geld vom Internationalen Währungsfond leihen musste und damit auch seine politische Souveränität teilweise aufgab. Die Popularität von Valters Zatlers ist dagegen möglicherweise nur von kurzer Dauer. Dass er den Kampf gegen die Oligarchen auch nutzt, um selbst im politischen Geschäft zu bleiben, ist ein immer wieder gehörter Vorwurf. Und da sei etwas dran, sagt Andreas Klein von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Riga:

    "Also man muss sich das auch mal vor Augen führen: Da ist ein Präsident, dessen Wiederwahl durch das Parlament schon sehr in Frage stand. Der löst eine Woche vor der Präsidentenwahl, bei der es einen Gegenkandidat gab, das Parlament auf. Er wird nicht wiedergewählt und gründet kurz darauf eine Partei, die seinen Namen trägt, um bei der Parlamentswahl kandidieren zu können. Er hätte wirklich für eine Stärkung des bürgerlichen Lagers sorgen können, in dem er seine Popularität für die gemeinsame Sache genutzt hätte."

    Jüngste Umfragen sehen seine Partei bei neun Prozent. Vor ein paar Wochen waren es mal fast 30. Es gibt aber auch für Zatlers freundlichere Umfragen. Ein weiterer Beleg dafür, dass die politischen Verhältnisse in Lettland nicht gerade stabil sind.