Freitag, 19. April 2024

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Letzte Essays von Mark Fisher
Die Geister und Gespenster der Gesellschaft

Der verstorbene Kulturtheoretiker Mark Fisher hat in seinen letzten Essays flüchtige Momente festgehalten: "Das Seltsame und das Gespenstische", heißt die Sammlung. Fisher habe versucht, Phänomene im Moment ihres Verschwindens greifbar zu machen, sagte der Übersetzer und Philosoph Robert Zwarg im Dlf.

Robert Zwarg im Corsogespräch mit Sigrid Fischer | 12.09.2017
    Buchenwald an der Ostseeküste im Nebel
    "Gespenstisch ist also, wo etwas nicht ist, wo eigentlich etwas sein sollte", erklärt Robert Zwarg (imago / blickwinkel)
    Sigrid Fischer: "Merkwürdig, dass ich so lange gebraucht habe, um mich dem Seltsamen und dem Gespenstischen zu widmen", das schrieb Mark Fisher im Vorwort zu diesem Buch. Er hat sich ja auch in anderen Veröffentlichungen schon zumindest mit dem Gespenstischen beschäftigt, "Ghosts of My Life" zum Beispiel, und da gehörten auch die Depressionen immer dazu. Also könnte man sagen, Herr Zwarg, vielleicht gar nicht so ein überraschender Abschluss seines Werks, sondern ergänzend, fügt sich ein?
    Robert Zwarg: In gewisser Weise ja, wobei man sagen muss, dass die Depression in diesem Buch nicht so eine explizite Rolle spielt wie beispielsweise in dem bereits erwähnten "Gespenster meines Lebens". Also was man dazu wissen muss, ist, dass Mark Fisher seine Depression – oder Depression als Phänomen – immer als ein zugleich individuelles und gesellschaftspolitisches Phänomen verstanden hat und so auch in seinen Texten thematisiert hat. Und in "Das Seltsame und das Gespenstische" spielt sie so keine explizite Rolle, allerdings vielleicht implizit, durch den Blick, den er auf die Phänomene wirft. Und dieser Blick ist nicht selten etwas melancholisch - oder versucht gewissermaßen, sehr flüchtige Momente festzuhalten, oder die Phänomene oder Symptome im Moment ihres Verschwindens greifbar zu machen. Also in diesem Falle kann man durchaus sagen, dass "Das Seltsame und das Gespenstische" das Werk von Mark Fisher ergänzt.
    "Es geht um Kontakt mit dem wirklich Unvertrauten"
    Fischer: Ergänzt, ja. Warum überhaupt diese beiden Begriffe? Wie gesagt, das Gespenstische, ja, hat er schon woanders. Aber warum auf dieses Begriffspaar, das ja für ihn zwei Affekte sind, die er dann auch so in der Popkultur festmacht, ne?
    Zwarg: Ja, er schreibt in der Einleitung, dass ihn das Gespenstische und das Seltsame schon sehr lange beschäftigt hat. Und seltsam und gespenstisch - also im Englischen ist ja von "Weird" einerseits und von "Eerie" andererseits die Rede - das sind für Fisher einerseits ästhetische Kategorien. Während es beim Unheimlichen, wie das Wort es auch schon sagt, sozusagen um das Fremde, das Unvertraute im Vertrauten geht - also in dem Heimlichen, dem Heimeligen -, geht es beim Seltsamen und dem Gespenstischen um Kontakt mit dem wirklich Unvertrauten, mit dem Fremden. Also um Situationen, in denen Dinge nicht stimmen und sich auch nicht so schnell auflösen lassen, beispielsweise wenn man sie bezieht auf etwas Bekanntes.
    Fischer: Er sagt ja zum Beispiel, das kann die Begegnung einfach mit etwas Neuem sein, ne? Mit experimenteller Kunst zum Beispiel, für die man noch so gar kein Bezugssystem hat als Betrachter. Dann wäre das zum Beispiel gegeben, ne? Dieses Seltsame.
    Zwarg: Genau. Das Seltsame ist genau dieser Begriff. Das Seltsame, schreibt Fisher an anderer Stelle, das entsteht immer dann, wenn etwas nicht zusammenpasst. Oder wenn beispielsweise, wie in der Technik der Montage, Dinge kombiniert werden, die nicht zusammengehören. Und gespenstisch ist sozusagen das Gegenstück, also wo etwas nicht ist, wo eigentlich etwas sein sollte. Und die Beispiele, die er da bringt, das ist beispielsweise der "Eerie Cry", das ist eine im Englischen sehr gebräuchliche Formulierung, der gespenstische Schrei eines Tieres, wo man aber gar nicht weiß, wo das Tier ist, oder was es überhaupt für ein Wesen ist. Oder es ist beispielsweise die Abwesenheit von Gründen und Erklärungen oder Urhebern, also ein Beispiel: Ein Text in dem Buch dreht sich um Daphne Du Mauriers relativ berühmte Erzählung "Die Vögel", wo ja bis zum Schluss vollkommen unklar bleibt, warum die Vögel die Menschen eigentlich angreifen. Andere Beispiele von Fisher sind verlassene Landschaften, wie Ruinen oder mysteriöse Steinformationen wie Stonehenge, wo immer eine Präsenz ist von etwas …
    Fischer: …was da war, ne?
    Zwarg: …was da war, genau.
    "Es geht auch um positiv aufgeladene Gefühle"
    Fischer: Und das hat dann gleichzeitig Beunruhigendes und Faszinierendes, ne? Also in der Beunruhigung liegt auch eine Faszination, glaube ich, für ihn.
    Zwarg: Genau. Es geht im ganz explizit gar nicht darum, dass diese Phänomene Angst einflößen oder Furcht einflößen - obwohl viele Beispiele, wie Lovecraft, aus der Tradition der Geistergeschichten und des Horrors kommen - geht es, genau wie Sie das gesagt haben, geht es um Faszination und auch um eine gewisse Form der Beunruhigung, die manchmal sozusagen fast schon romantisch oder utopisch aufgeladen ist. Ein sehr schöner Text beschäftigt sich mit der Geschichte von H.G. Wells, der "Tür in der Mauer", wo also an einer völlig zufälligen Stelle an einer Mauer eine Tür ist, die in so eine Art zauberhaften Garten führt, in dem sich eine geheimnisvolle Welt verbirgt. Und der Protagonist der Geschichte schafft es dann, sein ganzes Leben - obwohl er die ganze Zeit von dieser Erfahrung zehrt -, nie wieder diese Tür zu betreten, obwohl er sie ständig sieht. Das heißt, es geht durchaus auch um positive oder sozusagen sehnsuchtsvoll aufgeladene Gefühle beim Gespenstischen und dem Seltsamen.
    Fischer: Ja, weil sie einen ja auch so aus diesem ganz, so diesem Alltäglichen, Routinierten was man kennt, was einen sicher macht, mal rausführt und das ist beunruhigend und faszinierend, ne?
    Zwarg: Genau.
    "Das Kapital ist ein gespenstisch' Ding"
    Fischer: Ich glaube, das ist dieses, ja, Sich-Da-Hin-Wagen mal. Jetzt bleiben aber diese Betrachtungen gar nicht innerhalb der Literatur oder des Fiktionalen, sondern eben haben ja auch einen Wirklichkeitsbezug. Mark Fisher wird ja dann auch irgendwann politisch, wenn er zum Beispiel sagt: "Das Kapital ist ein gespenstisch' Ding." Also da ist irgendwie Kapitalismuskritik auch immer involviert, ne?
    Zwarg: Genau. In dieser Form ist das Seltsame und das Gespenstische durchaus eine Fortsetzung von dem, was er in dem letzten Buch "Hauntology" genannt hat, also vom englischen "Haunted", geplagt oder verfolgt werden von etwas. Und eben gleichzeitig gibt es die Konnotation von Geistern und Gespenstern. Also eine gewisse Form der sozusagen linken Gespensterkunde, wo es darum geht, das aufzuspüren, was sozusagen uns als Gesellschaft und als Subjekte verfolgt oder plagt, das, was zugleich anwesend, aber nicht sichtbar ist - wie beispielsweise die Kräfte des Marktes, die Kräfte der Konkurrenz -, aber auch nicht eingelöste Hoffnungen der Vergangenheit oder der sozusagen düstere, gespenstische Vorschein auf eine Zukunft, die uns vielleicht ereilt.
    Fischer: Das heißt, Mark Fisher war in jedem Fall ein politischer Mensch auch, ne?
    Zwarg: Mark Fisher war auf jeden Fall ein politischer Mensch, er hat sich Zeit seines Lebens in der politischen Linken verortet und das auch in "Kapitalistischer Realismus", wo es sozusagen um das Verschwinden von utopischer Fantasie eigentlich geht - also um die völlige Alternativlosigkeit, vor allem im Neoliberalismus in Großbritannien - da kommt sozusagen sehr die politische Seite noch sehr viel expliziter zum Ausdruck als das beispielsweise in diesem Buch der Fall ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Mark Fisher: "Das Seltsame und das Gespenstische"
    Verlag Klaus Bittermann, 2017. 176 Seiten, 18 Euro.