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Letzte Hoffnung: Kurzwelle

Die japanischen Behörden vermuten, dass während der vergangenen drei Jahrzehnte mehr als einhundert Japaner in den koreanischen Norden verschleppt wurden - um detaillierte Angaben aus Nordkorea hat das Land bislang vergeblich gebeten. Seit einigen Monaten nun sendet ein japanischer Kurzwellensender täglich Richtung Nordkorea. Das Ziel der Radio-Macher: die japanischen Entführten in Nordkorea zu erreichen.

Von Silke Ballweg |
    Der Radiosender Shiokase, zu deutsch Meeresbrise, sitzt in einem ganz normalen Wohnhaus in der Tokyoter Innenstadt. In die kleine Wohnung haben die Betreiber ein winziges Studio aus Sperrholz- und Plexiglasscheiben gezimmert. Vor der Studio-Scheibe ein Computer und ein Schaltpult.

    Die 35-jährige Miuki Takano kommt regelmäßig aus Yokohama zu dem Sender. Dann stellt sie sich vors Mikrofon und nimmt eine Botschaft an ihren Bruder Kiofumi auf. Ob sich Kiofumi in Nordkorea aufhält, ob er überhaupt noch lebt, das weiß jedoch weder sie noch ihre Familie.

    "Ich weiß nicht, ob er die Sendung jemals hören wird, die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, aber ich frage mich immer, ob er noch lebt, und wenn er noch lebt, dann will ich alles dafür tun, ihn eines Tages wieder zu sehen."

    Vor 30 Jahren, im Alter von 19 Jahren verschwand der Bruder während eines Urlaubs mit Freunden. Ohne eine einzige Spur zu hinterlassen war er plötzlich weg. Die Familie suchte jahrelang nach ihm, anfangs mithilfe der Polizei, doch die stellte irgendwann die Ermittlungen ein. Nach zehn Jahren vergeblichen Bemühens gab schließlich auch die Familie auf, arrangierte für Kiofumi eine Begräbniszeremonie und setzte ihm ein Grab.
    Das erste Gipfeltreffen zwischen Japan und Nordkorea im September 2002 brachte jedoch neue Bewegung in die Angelegenheit. Denn bei dem Treffen gab Pjöngjang zu, in der Vergangenheit Japaner nach Nordkorea entführt zu haben. Der Nordkorea-Experte Kasuhiro Araki

    "Die Japaner sollten die Nordkoreaner zu Spionen auszubilden. Sie sollten den Nordkoreanern die japanische Sprache beibringen und sie in die Sitten und Gebräuche des Landes einführen, damit die Nordkoreaner anschließend nach Japan eingeschleust werden konnten."
    Kurz nach dem Gipfeltreffen gründete Araki in Japan eine Organisation für Familien wie jene von Miuki, in denen während der vergangenen Jahrzehnte ein Mitglied verschwunden war. Denn viele Japaner schöpften plötzlich Hoffnung, dass auch ihr Kind oder Ehepartner Opfer einer Entführung nach Nordkorea sein könnte.

    Seit November vergangenen Jahres strahlt die Organisation schließlich einmal täglich ein 30-minütiges Kurzwellenprogramm nach Nordkorea aus. Kasuhiro Araki hatte auch dazu die Idee:

    "Unsere Sendung hat zwei Teile: Im ersten Teil lesen wir auf Japanisch Informationen über Japaner vor, von denen wir glauben, dass sie in Nordkorea sein könnten. Wir nennen den Namen, das Geburtsdatum, den Ort, an dem sie verschwunden sind sowie das Alter zum Zeitpunkt der Entführungen. Den zweiten Teil senden wir auf Japanisch, Englisch, Koreanisch und Chinesisch. Da bringen wir neueste Nachrichten über die Entführungsfälle, erläutern etwa die jüngsten Schritte der japanischen Regierung. Wir wollen die Menschen in Nordkorea darüber informieren, dass sich die Regierungen bemühen, die Angelegenheit zu lösen und sie freizubekommen."
    Araki weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, in Nordkorea von den Entführten gehört zu werden, eher unwahrscheinlich ist. Denn internationale Radiosender zu hören ist in dem abgeschotteten Land verboten. Weil es aber auch ermunternde Beispiele gebe will Araki jede Möglichkeit nutzen.

    " Ein Nordkoreaner hat einmal ein Foto von einer Entführten aus Nordkorea herausbringen und nach Japan schicken lassen. Ein anderer Japaner lernte in Nordkorea einen Polen kennen und gab ihm heimlich eine kleine Botschaft an die Familie in Japan mit, so wissen die Eltern heute wenigstens, dass ihr Sohn in Nordkorea lebt. Es sind kleine Schritte, aber sie können durchaus möglich sein."
    Auch Miuki Takano wartet sehnsüchtig auf den Tag, an dem sie von ihrem Bruder hört. Deswegen kommt sie immer wieder ins Studio. Die Hoffnung, dass das Lied, das sie dann für ihren Bruder singt auch in Nordkorea aus einem Lautsprecher knarzen könnte, gibt ihr Kraft. Kraft, weiter nach Kiofumi zu suchen, auch wenn sie nicht weiß, ob er überhaupt noch lebt.