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Letzte Hoffnung vor der Grenze

Das Volk der Karen fordert seit Jahrzehnten die Unabhängigkeit von Burma und wird dabei von einer Rebellenarmee unterstützt. Die Zivilbevölkerung gerät oft in die Schusslinie. Viele Menschen fliehen über die nahe Grenze nach Thailand. Die Mae-Tao-Klink kann einen Teil ihrer Not lindern.

Von Dieter Jandt |
    1962 riss das Militär in Burma mit einem Putsch die Macht an sich, fast 30 Jahre lang war das asiatische Land dann völlig abgeschlossen vom Ausland. Die Regierung schlug einen wie sie es nannte burmesischen Weg zum Sozialismus ein. Die burmesische Diktatur steht in dem Ruf eines der totalitärsten und brutalsten Regime der Welt zu sein. Die Bevölkerung wird terrorisiert willkürlich vertrieben. Tausende Kinder wurden zu Soldaten.

    Mae Sot, eine thailändische Provinzstadt an der Grenze zu Burma. Am Ortsausgang weist ein kleines Schild auf eine unscheinbare Anlage hin: die Mae Tao-Klinik. Etwa 10 Flachbauten aus Stein sind über das Gelände verteilt. Jeden Tag drängen sich Menschen vor der Aufnahmestation.

    Cynthia Maung, die Leiterin der Klinik:

    "Wir behandeln vor allem Infektionskrankheiten wie Malaria und Diarrhoe. Aber zunehmend haben wir Kinder hier, die unterernährt sind. Ebenso viele noch sehr junge Frauen, bei denen Komplikationen in der Schwangerschaft aufgetreten sind, oder sie haben sich in ihren Heimatdörfern einer riskanten Abtreibung unterzogen."

    Die meisten Ankömmlinge sind Karen, ein Volk von mehr als vier Millionen Menschen. Ihr Siedlungsgebiet liegt im Osten Burmas. Seit Jahrzehnten fordern die Karen das Selbstbestimmungsrecht. Doch die Militärjunta antwortet mit Willkür und Gewalt. Viele Menschen fliehen, allein auf thailändischer Seite gibt es 50.000 Heimatlose, die Hab und Gut verloren haben. Auch hier unter den Wartenden sind einige, die soeben erst über die Grenze gekommen sind.

    "1989, ein Jahr nach dem Militärcoup in Burma, wurde uns klar, dass man etwas für die Flüchtlinge tun musste. Mehr als 10.000 Studenten waren über die Grenze geflohen, darunter auch einige Ärzte, Medizinstudenten und Krankenpfleger. Also eröffneten wir eine kleine Gesundheitsstation. Diese Klinik ist dann immer größer geworden, zumal auch Arbeitsmigranten hier medizinische Hilfe suchten. Dazu kamen Menschen, die aus ihren Heimatdörfern vertrieben worden waren. Viele arbeiten illegal, sie haben keinerlei Papiere. Sie sprechen kein Thai und haben Angst, das örtliche Hospital aufzusuchen, wenn sie krank werden."

    Cynthia Maung ist selbst eine Karen. Unlängst bekam sie für ihr Engagement von Ex-US-Präsident Jimmy Carter den Magsaysay-Preis. Er gilt gemeinhin als der asiatische Friedensnobelpreis.

    Die medizinische Behandlung ist frei. Die Klinik selbst finanziert sich aus Spenden internationaler Organisationen. Es gibt eine Reihe von Ärzten, Hebammen und Pflegern aus aller Welt, die turnusmäßig für Monate hierher kommen, um zu helfen. Viele Patienten treffen erst ein, wenn ihre Krankheit schon in einem fortgeschrittenen Stadium ist. Das erklärt die hohe Sterberate in den ersten 48 Stunden nach der Aufnahme.

    Vor dem Eingang der Kinderstation hockt ein etwa 5-jähriger, dürrer Junge am Boden. Er hält den Kopf gesenkt und hustet ständig. Zwei Pflegerinnen ziehen ihn an den Armen hoch. Nun steht er da, zitternd, der Kopf bleibt gesenkt.

    "Hier sind unterernährte Kinder, ja. Er zum Beispiel hat keine Eltern. Er kommt aus Burma. Seine Mutter hat ihn hergebracht. Sie ist aber gleich darauf wieder verschwunden. Wir vermuten, dass sie mittlerweile an AIDS gestorben ist. Und wir pflegen den Jungen und behalten ihn erstmal hier."

    Die Regierungen in Thailand und Burma versuchen das Schicksal der Karen zu ignorieren. Gelegentlich greift die thailändische Armee Flüchtlinge auf und schickt sie zurück über die Grenze. Dann ziehen sie oft in den abgelegenen Bergregionen umher und bleiben sich selbst überlassen. Aber auch in den Heimatdörfern der Karen gibt es kein funktionierendes Gesundheitssystem.

    Cynthia Maung bildet junge Karen als so genannte Rucksackärzte aus. Sou Chuey zum Beispiel. Er gehört einer Hilfsorganisation an; 70 Gruppen aus drei bis vier Medizinern, die auf burmesischer Seite etwa 150.000 Menschen betreuen.

    "Ja, wir gehen über die Grenze und versuchen unser Netzwerk aufrechtzuerhalten. Die meisten Menschen, denen wir helfen, sind Flüchtlinge, die innerhalb Burmas umherziehen. Natürlich ist das manchmal gefährlich."

    Immer wieder suchen die Rucksackärzte mit medizinischer Ausrüstung im Gepäck abgelegene Dörfer und provisorisch eingerichtete Lager auf. Dabei laufen sie Gefahr, von der burmesischen Armee aufgegriffen zu werden oder im Dschungel auf eine Landmine zu treten.

    In einem weiten, Licht durchfluteten Raum steht eine Gruppe von Karen beisammen. In ihrer Mitte liegt auf einem Sockel eine Beinprothese. Eine englische Ärztin unterrichtet. Im Nebenraum ist die Prothesenwerkstatt. Dort sitzt ein junger, kräftiger Mann im Rollstuhl. Er hat vor fünf Jahren den linken Unterschenkel verloren.

    Ein Pfleger:

    "Er wird hier in der Prothesenwerkstatt ausgebildet. Damals ist er beim Überqueren der Grenze im Dschungel auf eine Mine getreten. Glücklicherweise hat man ihn gefunden und hierhergebracht."

    Die Hilfe der Klinik geht weit über den medizinischen Bereich hinaus. Sie ist auch Hilfe zur Selbsthilfe. Immer wieder versucht man, vor allem den Müttern etwas über Familienplanung und Gesundheitsvorsorge beizubringen oder sie in der Klinik selbst einzusetzen. Mittlerweile hat man angefangen, die Kinder zu unterrichten. Manche Familien suchen einfach nur Asyl. Im Haus neben der Aufnahmestation hat sich hinter einer Stoffplane eine 5-köpfige Familie ein Lager eingerichtet. Ein Pfleger holt den Vater soeben zur Untersuchung:

    "Er will sich wegen einer Infektion im Rachenraum behandeln lassen. Er ist ein Bauer aus dem Bergland jenseits der Grenze. Vor einigen Tagen ist er mit seiner Familie illegal herüber gekommen. Zwar gibt es auch in der Provinzstadt in Burma eine Klinik, aber er sagt: Das kostet zu viel Geld. Das kann er nicht bezahlen."

    Also bleibt er nun mit seiner Familie für die Zeit der Behandlung hier. Und vielleicht auch etwas länger.

    Dr. Cynthia Maung:

    "Die Situation hat sich in den letzten 16 Jahren nicht verbessert. Das Leiden der Bevölkerung nimmt zu. Die Gesundheitsversorgung, Bildung und Erziehung, das alles wird immer schlechter. Auch, was die Ernährung betrifft. Die Menschen haben keine Arbeit. Die Kinder verlassen immer früher die Schule."

    Viele Kinder müssen frühzeitig zum Lebensunterhalt beitragen. Die Familienväter suchen weitab von ihren Dörfern nach Arbeit, die meisten versuchen ihr Glück in Thailand.

    Dr. Cynthia Maung:

    "Dadurch werden die Strukturen in den Familien und in den Dörfern zerstört. Es gibt kein funktionierendes Gemeinwesen mehr. Wir arbeiten landesweit mit den verschiedenen ethnischen Gruppen und demokratischen Organisationen zusammen, sowohl mit jungen Menschen als auch mit der älteren Generation, um das Land wieder aufzubauen und unser Volk zu unterstützen."

    Cynthia Maung hofft, dass der politische Zustand in Burma sich möglichst bald ändern wird. Bis es soweit ist, wird sie diese Klinik weiter betreiben.