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Letzte Inszenierung des Hausherrn am Gorki-Theater Berlin

Eine Frau steht im eleganten Abendkleid auf leerer Bühnenschräge, ausgestellt im öden Land, gespiegelt wie alles an diesem Abend im riesigen, schrägen Spiegel in der Bühnentiefe. Hinter den Spiegeln ist sie wie Lewis Carrolls Alice ganz allein. Sie beginnt zu atmen, dann zu leiden und zu jammern. Immer bekommen wir in dieser Inszenierung erzählt, dass die Seele des Menschen zwar ein weites, aber auch ein ödes, unzivilisiertes Land sei.

Von Hartmut Krug |
    So sehen wir der Menschwerdung vom Tiere her zu. Anfangs existieren, das wollen uns die direkten emotionalen Äußerungen der Menschen beweisen, Ehrlichkeit und Natürlichkeit. Doch dann folgt die Einordnung ins Gesellschaftsleben mit seiner Unehrlichkeit und seinen äußerlichen Zwängen. Albernes Flattern hochgereckter Hände und ausgiebiges, berührungsloses Küsschengetue sollen die Hohlheit und Zwanghaftigkeit bei Kontaktaufnahme und Kommunikation verdeutlichen. Und dann, ob im Salon, im Park oder im Hochgebirge, scheinen unter den Gesellschaftsbildern die existentiellen Urgründe als Urwaldszenerien auf, - und nicht nur dann jodeln, knurren, brummen oder schreien sich die Figuren ihre natürlichen Emotionen aus dem bedrängten Leib. Die Figuren dieser Inszenierung suchen, indem sie sich mitten im kommunikativen Gespräch mit tierischen Lauten in sich selber zurückziehen, stets aufs neue zu sich zu kommen. Zugleich forschen sie mit heftig bewegter Körperlichkeit nach ihrem Platz im gesellschaftlichen Gefüge, oder sie behaupten ihn mit expressiven Gesten und Haltungen. Das bedeutet: Wer seelisch am Boden ist, kauert auch dort. Wer den Aufschwung versucht, springt im Hüpfsprung umher und sucht den anderen, der ihm folgen soll, zu gleichem zu bewegen. Es gibt kein gesellschaftliches Milieu, sondern nur eine leere Bühne für ein konzeptionell allzu überdachtes und überfrachtetes Denkspiel. Freuds Bemerkung in einem Brief an Schnitzler, er finde in dessen Werken eine Art Doppelgängerschau seiner selbst, weil es um die Wahrheiten des Unbewussten, um die Triebnatur des Menschen und um die Zersetzung der konventionellen kulturellen Sicherheiten gehe, sie wird von Regisseur Volker Hesse in eine überzogene und szenisch veräußerlichte Bewegungschoreographie überführt, die sich in unfreiwilliger Komik verliert. Hier befindet sich jeder unentwegt in zappelnder Bewegung.

    Die Geschichte von Friedrich Hofreiter und seiner Frau Genia, die ihren gemeinsamen Weg zwischen Seitensprung und echter Liebe nicht finden, (wobei die weiteren Figuren des Spiels nur andere Facetten der Liebesprobleme als Lebensprobleme beisteuern), sie wirkt in Schnitzlers 1911 am Burgtheater uraufgeführtem Stück mit seinen ziehenden Herz-Schmerz-Gedanken und seiner trüben Melancholiererei heute wie parfümiert. Hesses Inszenierung und das Spiel seiner Darsteller erscheinen dagegen exaltiert. Alexander Lang schlurft den Hofreiter gebückt durch dessen seelische Unbehaustheit. Liebe ist ihm kein Ausweg aus seelischer Leere, sondern macht sie ihm bei jeder neuen Affäre nur noch kenntlicher. Dieser ältere Herr befindet sich bei all seinen Liebschaften mit jungen Frauen noch quasi im Ur-Chaos und windet sich im Bewusstseinskampf des eigenen Lebens hin und her, hinauf und hinab. Wenn er mit anderen spricht, fasst er diese sehr direkt an, fällt fast über sie her und zeigt dabei stets, das er sich im eigenen Körper fremd fühlt. Wenn dieser alternde Mann seine trotz eigener Unsicherheit herrisch vorgetragenen Lebensregeln anderen aufzwingen will, tut er dies mit gepresster, hochgesteilter Erregung.

    Der scheidende Intendant Volker Hesse setzt in seiner letzten eigenen Inszenierung am Maxim Gorki Theater hoch an und fällt dabei tief. Seine Art, den Drang der Menschen zur Natürlichkeit kräftig auszustellen, ergibt schlimme Künstlichkeit und alberne gestisch-mimische Kunststücklein. Schnitzlers Stück, das auf Dialoge und Pointen setzt, das Gefühle zu sezieren und Emotionen zu entfalten sucht, wirkt in dieser überkonzeptionalisierten Form mächtig angestrengt und anstrengend. Statt dass erst einmal Figuren entfaltet werden, stellen die Schauspieler diese sofort als Gefäße und Funktionsträger des Unbewussten aus. Ein wie hier ungekürzter und kaum bearbeiteter Schnitzler verträgt diese Art existentiell-expressiver Aufladung aber nicht. So langweilte sich das Publikum in mehr als drei langen Stunden sichtlich und zu Recht.