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Letzte Linie der Selbstverteidigung

Biologie. - Eine Pflanze lebt gefährlich - schließlich kann sie vor Angreifern nicht einfach davon laufen. Gerade deshalb haben Pflanzen wohl im Laufe der Evolution Abwehrstrategien entwickelt, die auch ohne Flucht funktionieren und die Parasiten dennoch effektiv abhalten. Bei dem so genannten programmierten Zelltod opfern die Pflanzen zwecks Schädlingsbekämpfung sogar freiwillig einen Teil von sich. Biotechnologen wollen sich diesen Mechanismus nutzbar machen, um Nutzpflanzen resistenter zu machen.

    Von Verena von Keitz

    Programmierter Zelltod, Selbstmord von Zellen: Was nach Verderben klingt, dient vor allem der Gesundheit eines Organismus. So können Tiere mit dem gezielten Zelltod zum Beispiel Zellen frühzeitig ausschalten, bevor sie entarten und Krebs auslösen. Auch in der Entwicklung eines Lebewesens spielt der programmierte Zelltod eine wichtige Rolle, um die Vielzahl der verschiedenen heranwachsenden Gewebe unter Kontrolle zu halten. Pflanzen setzen den Selbstmord ihrer Zellen vor allem ein, um Angreifer auszuschalten, weiß der Phytopathologe Karl-Heinz Kogel von der Universität Gießen.

    Programmierter Zelltod, den wir hypersensitive Reaktion nennen, ist der effektivste Abwehrmechanismus bei Pflanzen, den wir kennen. Es ist ein Mechanismus, der induziert wird durch den Befall der Pflanzen mit Pathogenen wie Pilzen, Viren, Bakterien. Die Pflanzen versuchen, das Eindringen der Pathogene, etwa in Blätter oder Wurzeln zu verhindern, indem einzelne Zellen im Zellverband absterben und so einen mechanischen Pfropfen setzen, um den weiteren Befall der Pflanze zu verhindern.

    Dadurch können Schädlinge, die von gesundem Zellgewebe leben, nicht weiterwachsen und die Infektion bleibt auf die wenigen abgestorbenen Zellen begrenzt. Wie alle Vorgänge in lebenden Organismen wird aber auch der Zelltod genau kontrolliert. Die Gießener Forscher untersuchten einen dieser Kontrollfaktoren.

    Was wir gefunden haben, ist der so genannte BAX-Inhibitor. Das ist ein Gen, das sowohl bei Tieren als auch bei Pflanzen existiert und in der Regel dafür sorgt, dass der Zelltod in einer gewissen Weise reguliert wird in der Pflanze. Wenn das Gen sehr stark exprimiert ist, also sehr stark abgelesen wird, dann kommt es zu einer Hemmung des Zelltods, die Pflanzen und die Zellen überleben länger. Wenn man das Gen ausknockt, also herunter reguliert, dann kommt es schneller zu einem Zelltod.

    Die Forscher wollen die Rate des Zelltods biotechnologisch lenken, um die Widerstandskraft von Pflanzen gegen Schädlinge zu erhöhen.

    Es gibt die so genannten biotrophen Pathogene. Das sind Pathogene, die darauf angewiesen sind, dass die pflanzlichen Zellen am Leben bleiben bei der Infektion – die saugen die lebenden Zellen quasi aus, also stören gar nicht so stark den Zellstoffwechsel und machen auch gar keine starken Befallssymptome. Hier könnte man eingreifen und die Zelltod-Inhibitoren herunter regulieren. Das würde dazu führen, dass es schneller zum Zelltod kommt und dadurch der Pilz abgestoppt wird, dadurch dass der Zelltod sehr schnell und sehr effektiv eintritt, und so die anderen Gewebebereiche geschützt werden.

    Der Ansatz, den Zellselbstmord zu verstärken, hilft allerdings nur bei dieser Sorte von Pilzen. Weitaus gefürchteter in der Landwirtschaft sind aber die so genannten nekrotrophen Pilze, die sich von totem Pflanzenmaterial ernähren. Ihnen käme eine erhöhte Zelltodrate gerade Recht. Hier müssten die Phytopathologen den umgekehrten Weg beschreiten und den Selbstmord von Zellen unterbinden.

    Es gibt das Problem der Ambivalenz, der Resistenzvorgänge gegenüber biotrophen und nekrotrophen Vorgängen: wenn wir die eine Resistenz verstärken, kann es gut sein, dass wir die andere schwächen. Das ist unser größtes Problem.

    Aus der Medizin ist bekannt, wie schwierig ein Eingriff in das ausgeklügelte System des programmierten Zelltods ist. Bei Pflanzen ist das beliebige Rauf- und Runterregulieren der Zelltod-Gene auch aus anderen Gründen schwierig: Die Gießener Forscher stellten nämlich fest, dass die entsprechenden Gene der Pflanzen nicht nur für den Zelltod verantwortlich sind: Sie sind viel komplexer mit dem gesamten pflanzlichen Abwehrsystem verwoben und beeinflussen weitere wichtige Abwehrmechanismen - etwa die Bildung einer dickeren äußeren Zellwand, die die Schädlinge schon an der Tür abweist.