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Letzte Reserven

100 Millionen Tonnen Rohöl verbraucht Deutschland pro Jahr. Nur drei Prozent davon kommen aus heimischer Produktion. 1970 waren es noch acht Prozent. Danach wurden viele Bohrungen aufgegeben, zu Zeiten des billigen Öls waren sie schlicht nicht rentabel. Aber jetzt – bei Barrelpreisen von über 100 Dollar – wird die Ölquelle Deutschland wieder interessant. Mit neuen Bohr- und Fördermethoden wollen die Konzerne alte Ölfelder reaktivieren – es locken Milliardengeschäfte.

Von Frank Grotelüschen | 13.11.2011
    "Wir haben hier eine Transportpumpe. Das Erdöl aus dem Erdölfeld Wietze wurde von hier aus zum Bahnhof gepumpt, weil dort die großen Tankanlagen waren."

    Wietze, ein Dorf in der Lüneburger Heide. Vor 100 Jahren stand hier ein Ölbohrturm neben dem anderen. Klein-Texas in der Heide – so nannte man Wietze damals. Zwar fördern die Pumpen und Bohrtürme schon lange nichts mehr. Doch einige von ihnen stehen noch – als Hauptattraktion des Deutschen Erdölmuseums. Dessen Direktor Martin Salesch geht zu einer Kuhle am Rand des Geländes, gesichert durch ein Absperrband. In der Kuhle: Matsch, schwarz, zäh und klumpig.
    "Sie riechen schon den aromatischen Duft des Erdöls. Wir sind hier an einer Stelle, an der das Erdöl an die Oberfläche kommt. Heute passiert das dort, wo alte Bohrlöcher waren. Durch diese Hohlräume kann das Erdöl nach oben steigen."

    Die Lagerstätte ist noch gar nicht ausgeschöpft. Es gibt noch Öl in Wietze. Jede Menge Öl. Salesch:

    "Nach den Berechnungen müsste noch eine Million Tonnen unter unseren Füßen liegen. Bei entsprechender Wirtschaftlichkeit könnte ich mir durchaus vorstellen, dass hier auch wieder gefördert wird."

    Rund 100 Millionen Tonnen Rohöl verbraucht Deutschland pro Jahr. Nur drei Prozent davon kommen heute aus heimischer Produktion – 1970 waren es noch acht Prozent. In den 80er- und 90er-Jahren, als das Öl billig war, wurden viele Bohrungen aufgegeben. Lohnt es sich nun, sie wieder zu reaktivieren – bei Barrelpreisen von über 100 Dollar? Und können neue Bohrverfahren und Fördermethoden dafür sorgen, deutlich mehr aus dem Boden zu quetschen als bislang?

    Mühsam kämpft die "Sara Maatje" gegen die Wellen an. Vor anderthalb Stunden war das Boot aus Cuxhaven ausgelaufen. Nun versucht der Kapitän, an einem stählernen Monstrum mitten in der Nordsee anzulegen. Es ist Mittelplate, Deutschlands einzige Ölbohrinsel. Endlich, nach mehreren Anläufen, ist das Manöver geschafft. Betriebsleiter Thomas Kainer stapft den Anleger hoch. Der Österreicher arbeitet bei RWE Dea, dem Betreiber von Mittelplate.

    "Die ist ungefähr 90 × 70 Meter groß, also ungefähr Fußballfeld-Größe. Bis zu 90 Menschen können hier übernachten. Wir haben hier eine Bohranlage stehen und unsere Fördereinrichtungen."

    1985 begann der Bau, zwei Jahre später floss das erste Öl. Und das mitten im Nationalpark Wattenmeer, einem Weltnaturerbe der Unesco. Kainer und seine Leute müssen akribisch darauf achten, dass kein Öl ins Meer gelangt. Deshalb steht Mittelplate nicht auf Stelzen wie andere Bohrinseln.

    "Wir haben hier eine Stahlbeton-Wanne, die fest mit dem Wattboden verankert ist. Drumherum haben wir eine Spundwand. Die ist elf Meter hoch, um uns gegen die Nordsee zu schützen."

    Umgekehrt soll die Wand verhindern, dass Öl ins Wattenmeer läuft. 25 Millionen Tonnen hat Mittelplatte bislang gefördert. Und dabei soll es nicht bleiben.

    "Es schafft Arbeitsplätze. Insofern ist jeder Tropfen Öl, der im eigenen Land gefördert wird, natürlich gut."

    Ein Hochhaus am Rand von Hannover, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Hier hat der Erdölgeologe Jürgen Meßner sein Büro.

    "Wir unterscheiden zwischen Reserven. Das sind die nachgewiesenen Mengen an Erdöl. Da haben wir etwa 36 Millionen Tonnen. Und daneben gibt's die Ressourcen. Das sind die vermuteten Mengen, die noch in Deutschland zu finden sind. Die liegen bei 20 Millionen Tonnen."

    Eine konservative Schätzung. Andere Experten glauben, dass sich in Deutschland sogar bis zu 100 Millionen Tonnen fördern ließen. Global gesehen nicht sehr viel, dennoch kann sich die Ausbeutung lohnen. Denn die alten, aufgelassenen Ölfelder in Deutschland sind im Schnitt nur zu einem Drittel leergepumpt. Die restlichen zwei Drittel stecken noch im Boden. Meßner:

    "Da liegt ein großes Potenzial. Wenn man überlegt, dass ein Prozent mehr Ausbeute, die im Schnitt etwa 35 Prozent beträgt in Deutschland, bereits mehrere Jahresförderungen ausmacht."

    Die Quelle Deutschland ist für die Ölkonzerne so interessant wie seit Jahrzehnten nicht mehr, sagt Meßner.

    "Es werden wieder verstärkt Anträge gestellt, aufgelassene Lagerstätten neu zu erschließen, sodass ich davon ausgehe, dass bei hoch bleibendem Ölpreis in den nächsten Jahren einiges zu erwarten sein wird."

    Am Oberrhein und im Alpenvorland will das Unternehmen Rhein Petroleum die Förderung aufnehmen. Hier wurden vor ein paar Jahren neue Vorkommen entdeckt. Andere setzen auf altbekannte Ölfelder: Im Emsland investiert die BASF-Tochter Wintershall. In Mecklenburg-Vorpommern versucht die Firma Central European Petroleum DDR-Ölfelder zu reanimieren. In der Nordsee treibt RWE Dea immer neue Löcher in den Grund. Und auch an deutschen Universitäten wird das Thema Öl wieder interessant.

    "Wir messen, bei welchem Druck dieses Rohr nachgibt. Dieser Kollaps-Test gibt uns Informationen, wie stark ein solches Rohr ist."

    Clausthal-Zellerfeld, ein Labor an der Technischen Universität. Der Ingenieur Catalin Teodoriu steht vor einer wuchtigen Tonne aus Metall, fast komplett in den Hallenboden eingelassen. Es ist ein Autoklav, ein riesiger Druckstempel.

    "Das ist ein Stahlfass mit einer Wanddicke von 300 mm, einer Länge von sechs Metern und einem Innendurchmesser von einem halben Meter. Ein kleiner Mitarbeiter passt ohne Probleme da rein."

    Das Stahlfass ist eine Folterbank für jene Rohre, mit denen die Ölkonzerne ihre Bohrlöcher auskleiden. Im Auftrag der Industrie testet Uniforscher Teodoriu, ob diese Rohre stabil genug sind für den Einsatz. Seine Auftragsbücher sind voll, der Laden brummt, und immer mehr Studierende aus aller Welt drängen nach Clausthal, um hier "Petroleum Engineering" zu studieren. Einer der Gründe für den Boom: Deutschland will verstärkt nach Öl bohren, sagt Institutschef Professor Kurt Reinicke.

    "Man muss wissen, dass der übliche Ausbeutegrad bei ungefähr 35 Prozent liegt. Das heißt, 65 Prozent sind noch im Untergrund. Und jetzt kommt es darauf an, ob der höhere Ölpreis es lohnt, die Felder wieder aufzumachen und aus diesen 35 Prozent Ausbeute vielleicht 40 oder 50 Prozent zu machen."

    Neues Leben für alte Erdölfelder, so nennt sich Reinickes Projekt. Konkret wollen er und seine Leute das Feld Suderbruch nordwestlich von Hannover reanimieren. Acht Millionen Tonnen dürften hier noch lagern, in einer Tiefe von bis zu 2000 Metern.

    "Das sind in etwa fünf Kilometer in der Länge und drei Kilometer in der Breite."

    Reinickes Kollege Professor Leonhard Ganzer hat die Lagerstätte simuliert. In einem spartanisch eingerichteten Rechnerraum holt der Österreicher ein 3D-Bild von Suderbruch auf den Bildschirm. Deutlich zu erkennen sind die Bohrlöcher, durch die einst das Öl gefördert wurde.

    "Etwa drei Dutzend Bohrungen. Es wurden auch Messdaten innerhalb dieser Bohrungen aufgenommen. Daraus können wir heute ein 3D-Modell erstellen. Die Leute damals konnten das nicht. Wir können heute bestimmte geologische Störungen erkennen."

    Ein Mausklick, und der Rechner zeichnet bunte Schichten in die Lagerstätte ein.

    "Die stehen für verschiedene Gesteinsarten, die über die geologischen Zeiträume hinweg abgelagert worden sind."

    Informationen, die Hinweise darauf geben, wo man eine neue Bohrung am besten ansetzt. Mit Hilfe des Rechners können die Experten also viel zielgerichteter bohren als früher. Ginge es nach Kurt Reinicke, würden den Computersimulationen schon bald Taten folgen. Im Gespräch ist eine Probebohrung, finanziert vom Ölkonzern ExxonMobil.

    "Es sollte schon möglich sein, durch die Anwendung der richtigen Techniken zehn Prozent mehr rauszuholen."

    45 Prozent statt 35 Prozent wie bisher - würden alle deutschen Ölfelder ihre Ausbeute so weit steigern, käme einiges zusammen. Reinicke:

    "Wenn wir zehn Prozent mehr rausholen, sind das 100 Millionen Tonnen. Das ist der Verbrauch von Deutschland in einem Jahr. Das lohnt dann schon."

    Der Gegenwert beim heutigen Ölpreis: rund 50 Milliarden Euro. Eine verlockende Summe.

    "Das Bohrloch geht gerade runter. Dann haben wir abgelenkt in circa 2800 Meter und haben das Loch 6000 Meter lang gebohrt."

    Auf der Förderplattform Mittelplate steht Bernd Kummert an seinem Arbeitsplatz, dem Bohrturm. Kummert ist Bohrmeister, und seine Leute arbeiten unter Hochdruck. Gerade zieht der Kran das Bohrgestänge hoch – fünf Kilometer lang, bestehend aus 200 Stangen. Alle 30 Meter stoppt der Kran, die Arbeiter setzen den Hydraulikschraubenzieher an. Er schraubt die Stange ab, ein Greifer packt sie und legt sie auf einen Stapel. So geht es immer weiter, Stange für Stange. Ein Geduldsakt.

    "Das dauert 10 bis 12 Stunden, einmal ausgebaut, und dann sind wir damit fertig."

    Ist der neue Bohrkopf eingesetzt, läuft die ganze Prozedur rückwärts. Stück für Stück wird das Gestänge wieder zusammengeschraubt und ins Bohrloch geschoben. Das Öl liegt 2800 Meter tief, in einer Trägerschicht, die nur ein paar Meter dick ist. Um an diese Schicht heranzukommen, bohren die Experten zuerst senkrecht in den Grund. Dann lassen sie ihren Bohrer schräg abbiegen, um ihn in 2800 Metern Tiefe waagerecht durchs Gestein zu führen – mitten durch die Trägerschicht. Kummert:

    "Wenn wir senkrecht durch irgendwelche Formationen gehen, und da sind die Träger eingeschlossen, haben wir vielleicht eine Mächtigkeit von fünf bis sechs Metern. Und wenn wir horizontal durch den Träger durchbohren, haben wir eine Förderstrecke, wo wir auf 1000 Metern Länge Öl fördern können."

    Horizontalbohren, so heißt die Methode. Doch die Ingenieure sind schon einen Schritt weiter: Im letzten Jahr haben sie auf Mittelplate ein raffiniertes Bohrverfahren auf die Spitze getrieben, die Multilateral-Bohrung.

    "Das ist in Deutschland eine Neuerung. Hier sind wir weltweit technologisch ganz vorne mit dabei."

    2800 Meter tief im Boden haben Thomas Kainer und seine Leute die Bohrung verzweigt, haben – um noch mehr Öl zu fördern – einen zweiten Ast gebohrt.

    "Die Bohrung ist, weil sie stark geneigt und horizontal ist, 6000 Meter lang. Und wir haben bei ungefähr 4000 Meter diese Multilateral-Abzweigung. Von dort aus geht der zweite Ast 1000 Meter raus."

    Zunächst mussten die Experten das erste, sechs Kilometer lange Loch bohren, das Mutterloch. Die Abzweigung war bei Kilometer 4 geplant.

    "Von da an wird ein Fenster gefräst. Dieses Fenster ist sechs Meter lang. Von dort aus bohren Sie den zweiten Ast bis zum Ende, stecken dann die Rohre rein und verriegeln das mechanisch. Im Prinzip ist es dann der entscheidende Punkt, dass Sie diese Abdichtung hinbekommen."

    Spezielle Gummipfropfen dichten die Abzweigung so gut ab, dass sie einen Druck von 500 bar aushält – ein weltweiter Spitzenwert. Die extreme Druckbeständigkeit ist nötig, weil die Experten später Wasser in die Lagerstätte pressen wollen. Kainer:

    "Der Hauptvorteil der Multilateral-Bohrung liegt darin, dass Sie die Strecke bis zum Reservoir, das sind hier ungefähr 4100 Meter, nur einmal bohren müssen. Damit haben Sie natürlich einen enormen Kosten- und Zeitvorteil."

    Auf konventionelle Art hätten die Experten 14 Kilometer bohren müssen, um das gleiche Gebiet zu erschließen. Mit der Verzweigung waren es nur gute sieben Kilometer. Seit Oktober 2010 sprudelt das Öl aus der verzweigten Bohrung, 20.000 Liter pro Stunde. Ein Erfolg, weshalb das Verfahren nun regelmäßig zum Einsatz kommen soll.

    "Die Multilateral-Technik ist die zukünftige Technik auf der Mittelplate. Wir haben noch mehrere Ziele, die wir mit einzelnen Bohrungen nicht erreichen können."

    "So, hier kommen wir jetzt in unser Labor, wo wir ganz gezielt diese neuen Verfahren zur Steigerung der Ölförderung untersuchen. Es ist ein neuer, vor einem Jahr fertig gestellter Raum, der jetzt auch fast eingerichtet ist."

    Der Chemiker Kai Schulze zeigt einen nagelneuen Raum im Labor von RWE Dea. Es liegt in Wietze, ganz in der Nähe des Deutschen Erdölmuseums. Schulze geht zu einem Gerät, das unter einer Abzugshaube steht und schaltet es ein.

    "Das funktioniert ähnlich wie ein Shaker. Was wir hier rauskriegen, ist allerdings kein Bananen-Shake."

    Ein Powermixer, der eine zähe Masse anrührt – eine Art Pudding, der eines Tages helfen könnte, mehr Öl aus einer Lagerstätte herauszuholen. Denn nur unmittelbar nach einer Bohrung ist der Druck so hoch, dass das Öl von selbst aus dem Boden sprudelt. Bald schon lässt der Druck nach, und Pumpen müssen nachhelfen. Reicht auch das Pumpen nicht mehr, pressen die Fachleute Wasser in die Lagerstätte, um das Öl nach oben zu treiben. Das alles zählt zur konventionellen Fördertechnik. Mit ihr lässt sich eine Lagerstätte im Schnitt nur zu einem Drittel ausbeuten. Der große Rest bleibt im Boden. Will man mehr fördern, muss man zu aufwendigeren Verfahren greifen, die bislang nur wenig verbreitet sind – oder zum Teil noch gar nicht richtig erforscht. Ihr Name: EOR-Verfahren.

    "Die Abkürzung EOR steht für 'Enhanced Oil Recovery'. Das sind Verfahren, die dazu dienen, mehr Erdöl aus einer Lagerstätte zu gewinnen, nachdem man schon verschiedene erste Schritte hinter sich gebracht hat","

    sagt Laborleiter Heiko Möller. Von diesen EOR-Verfahren gibt es einige Dutzend Varianten. Zum Beispiel die Gasinjektion.

    ""Bei der Gasinjektion bringe ich ein Gas ein. Dieses löst sich unter dem in der Lagerstätte herrschenden Druck ein und macht das Öl dadurch mobiler."

    Das Restöl in einer teilweise erschöpften Lagerstätte ist meist zäh, sagt Kai Schulze. Gase wie Stickstoff oder CO2 können helfen, es dünnflüssiger zu machen, sodass man es leichter fördern kann. Doch das mit den Gasen klappt nicht bei jedem Erdölfeld.

    "Risiken beim Gas sind, dass sich gewisse Ölkomponenten entlösen und als Feststoff die Poren in der Lagerstätte blockieren. Das ist ein sehr kritischer Punkt, der sehr genau geprüft werden muss."

    Bei manchen Lagerstätten versuchen es die Konzerne deshalb mit Hitze und leiten heißen Dampf in den Untergrund. Dieses Dampffluten funktioniert, kostet aber Energie und lohnt sich nicht bei jedem Feld. Bleibt die Alternative mit dem Pudding. Das Kalkül: Presst man ihn in den Boden, kann man das Öl regelrecht aus der Lagerstätte herausdrücken. Polymerfluten, so heißt die Methode – wobei das mit dem Pudding durchaus wörtlich zu nehmen ist.

    "Da nimmt man auch Lebensmittelprodukte, zum Beispiel Xanthane, wie sie auch im Pudding als Verdickungsmittel drin sind."

    Dass das Polymerfluten funktioniert, ist zwar bereits nachgewiesen. Doch die Methode birgt auch Risiken:

    "Nicht nur wir lieben Pudding. Unter Umständen lieben auch Mikroorganismen, die in der Lagerstätte vorhanden sind, diesen Pudding. Das wäre natürlich sehr nachteilhaft. Das würde mir mein Polymer zerstören. Es könnte auch sein, dass ich Mikroorganismen heranzüchte, die negative Wechselwirkungen haben können. Schwefelwasserstoff kann sich zum Beispiel bilden, ein sehr gefährliches Gas, das unsere Installationen durch Korrosion beeinträchtigen kann. Es ist aber auch ein giftiges Gas, das die Mitarbeiter gefährden würde."

    Andererseits, sagt Schulze, ließen sich Bakterien womöglich auch einspannen für die Ölförderung.

    "Ganz gezielt in die Lagerstätte Bakterien einzubringen, diese mit einer Zuckermolasse zu füttern, die dann das Öl anknabbern, leichter machen, mobiler machen, dass wir auch hier mehr Öl bekommen. Das sind relativ schwierige Verfahren, weil Bakterien nur gewisse Lebensräume besetzen können."

    Weshalb das Bakterienverfahren noch im Forschungsstadium steckt. Ebenso wie eine EOR-Methode, die Fachleute von Siemens in Niederbayern entwickeln, in der Nähe von Deggendorf.

    Dort stapft der Ingenieur Dirk Diehl über das vom Regen aufgeweichte Testfeld – eine planierte Sandfläche, knapp so groß wie ein Fußballplatz.

    "Das Wichtigste sieht man nicht, das ist unterirdisch. Das sind die beiden Teile dieses Induktionskabels."

    Was Diehl hier testet, ist eine Art Bodenheizung. Sie soll schweres, zähflüssiges Öl aus dem Boden holen, sagt Diehls Chef Bernd Wacker.

    "Schweröl ist nicht flüssig, sondern fest. Und deshalb muss man versuchen, das aufzuheizen. Mit diesem Aufheizprozess wird das Öl fluide und kann dann gefördert werden."

    Bislang setzen die Ölkonzerne dabei auf das Dampffluten: Sie leiten heißen Wasserdampf ins Erdreich.

    "Der Nachteil des Verfahrens ist, dass viel Wasser in Dampf umgeformt werden muss, was viel Energie benötigt. Wir sprechen von Dampftemperaturen von 200 bis 250 Grad."

    Um ein Barrel Schweröl zu fördern, müssen drei Barrel Wasser verdampft werden. Zu aufwendig und zu teuer, meint Wacker – und versucht es deshalb jetzt mit elektrischem Strom. Dazu hat er im Deggendorfer Testfeld ein Kabel im Erdboden verlegt, 100 Meter lang und 900 Kilogramm schwer. Unter Strom gesetzt wird das Kabel in einem Container am Rand des Testfelds. Dirk Diehl geht zu einem der Schaltschränke.

    "Ich lege jetzt den großen Schalter des Umrichters um."

    Der Umrichter wandelt den Netzstrom um. Es liegt Hochspannung an: bis zu 1200 Volt.

    "Dieser hohe Strom induziert im umliegenden Erdreich eine Spannung, die wiederum zu Wirbelströmen führt. Was dann zur Erwärmung des Bodens führt. Das ist eine Art Bodenheizung."

    Wochenlang haben die Forscher den Boden geheizt. Um fünf Grad ist er dabei wärmer geworden. Genug, um zu beweisen, dass das Prinzip funktioniert, sagt Wacker. Doch die Nagelprobe steht noch aus.

    "Wir müssen nachweisen, dass das in einer realen Ölsand-Formation dieselbe Wirkung zeigt, wie wir es in unserem Testfeld in Deggendorf zeigen konnten."

    Nächstes Jahr wollen die Forscher ihre Methode in einem Ölsandgebiet in Kanada testen, mit deutlich mehr Leistung. Um 100 statt um fünf Grad wollen sie den Boden dort erhitzen und dabei nur halb soviel Energie verbrauchen wie beim Dampffluten. Auch in Deutschland gibt es Schwerölvorräte. Doch ob die Bodenheizung hier jemals zum Einsatz kommt, ist längst nicht geklärt. Denn für sie gilt das gleiche wie für all die anderen EOR-Verfahren auch: Der Einsatz kann heikel sein. Nicht jede EOR-Methode, sagt Kai Schulze von RWE Dea, taugt für jedes Ölfeld.

    "Man muss sehr genau gucken: Ist eine Lagerstätte geeignet? Es kann sein, dass sich das Wasser anders zusammensetzt von den Salzen. Dass die Öle anders sind. Wenn man dort das falsche Verfahren einsetzt, kann man die Lagerstätte auch kaputtmachen."

    An manchen der EOR-Methoden wurde schon in den 70er- und 80er-Jahren gearbeitet, als Folge der ersten Ölschocks. Doch dann, sagt Heiko Möller, war der Boom vorbei.

    "Wir hatten den starken Ölpreiseinbruch Ende der 80er-Jahre. Das war der Tod der EOR-Verfahren nahezu weltweit – auch in Deutschland."

    Denn: EOR-Verfahren sind teuer, ihre Anwendung lohnt sich nur bei einem hohen Ölpreis. Deshalb werden sie bislang weltweit erst bei drei Prozent aller Förderstätten eingesetzt. Doch nun ist Öl teuer, der Barrelpreis liegt stabil um die 100 US-Dollar und sogar darüber. Möller:

    "Wir fangen jetzt wieder an, uns dafür zu interessieren. Wir können leider nicht direkt aufbauen auf dem, was es schon mal alles gab. In der Zwischenzeit sind zum Beispiel viele der Chemikalien, die benötigt werden, gar nicht mehr am Markt verfügbar. Dafür gibt es neue, die erst wieder getestet werden müssen. Es bedarf jeder Menge neuer Anstrengungen, um diese Methoden wieder effektiv anwenden zu können."

    Die Folge: Überall auf der Welt haben die Ölkonzerne ihre Forschung verstärkt und arbeiten wieder an EOR, der verbesserten Ölförderung. Auch RWE Dea hat eine Studiengruppe eingesetzt. Die soll in den nächsten Jahren herausfinden, welches EOR-Verfahren sich am besten eignet, um künftig noch mehr Öl aus dem Nordseegrund herauszuholen – dem Boden unter Mittelplate.

    Auf Mittelplate macht Bohrmeister Bernd Kummert gerade ein Päuschen. Zu neunt sind sie in der Schicht und rackern am Bohrturm.

    "Zwei Schichten à zwölf Stunden. Da machen wir zwei Wochen durch hier, jeden Tag arbeiten, auch am Wochenende. Bei Sturm, bei Regen – jeden Tag 24 Stunden rund um die Uhr sind hier Leute draußen und arbeiten, egal bei welchem Wetter."

    Ein Knochenjob. Und die Freizeitmöglichkeiten sind begrenzt: Fitnessraum, Videos gucken, lesen. Das Leben auf der Ölplattform – nicht jeder hält es aus. Kummert:

    "Manche sind schon hier gewesen, die haben sich mal zwei Schichten angeguckt. Die sind dann wieder umgedreht und haben gesagt: Das ist nichts für sie!"

    Doch der Job hat auch sein Gutes, meint Kummert. Ordentliche Bezahlung, gutes Essen – und vor allem: Man hat viel Zeit. Zwei Wochen schuften auf Mittelplate, danach zwei Wochen frei. Und dazu kommt noch der Urlaub.

    "Wenn man bedenkt: Man nimmt zwei Wochen Urlaub und hat am Stück sechs Wochen frei – wer hat das schon? Die meisten, die hier sind, machen das schon Jahrzehnte. Man sagt: Wer einen Winter durchgemacht hat am Bohrturm, kommt immer wieder. Das ist so."

    Eines ist auffällig auf Mittelplate: Es riecht nach Maschinen, Stahl und Meer – aber nicht nach Öl. Zwar strömt es überall auf der Bohrinsel durch Rohre und Leitungen, wird in Maschinen von Wasser und Gas getrennt und per Pipeline an Land gepumpt. Aber alles ist gut abgedichtet und luftdicht verschlossen – bis auf eine Ausnahme.

    "Wenn Sie Öl sehen wollen, geht das nur hier, wo die Ölproben gezogen werden. Hier sieht man das einzige Öl auf der Insel!"

    Oberfördermeister Uwe Rudolphi ist in einen schmalen Gang geklettert, an den Wänden Rohrleitungen, Druckmesser und Ventile. Dann dreht er eines der Ventile auf und hält eine Plastikflasche drunter.

    "Ich ziehe jetzt mal eine Probe. In dem Öl ist auch Gas drin. Und das ist das Blubbern, das man hier gehört hat. Da entspannt sich das Gas. Muss man halt vorsichtig ziehen die Probe."

    Rudolphi öffnet die Flasche und wirft einen Blick auf den Inhalt.

    "Das ist pechschwarz. Schäumt noch ein bisschen wegen dem Gas, wegen der Entspannung."

    Eines der nächsten Schiffe wird die Probe an Land bringen, ins Labor. Dort werden es die Experten genau unter die Lupe nehmen.

    "In Öl ist Gas drin und auch Lagerstättenwasser. Und dann wird auch geguckt: Ist da Sand mit drin, oder irgendwelche Feststoffe?"

    Ergebnisse, die relevant sind für Oberfördermeister Rudolphi. Sie weisen darauf hin, wie viel Öl noch zu holen ist aus den Tiefen von Mittelplate.

    "Das eine oder andere Barrel Öl können Sie aus der einen oder anderen angeblich leergelutschten Lagerstätte schon noch rauslocken."

    Wolfgang Blendinger, Professor für Erdölgeologie, TU Clausthal-Zellerfeld. Auch wenn sich mit Hilfe der neuen Bohr- und Förderverfahren noch einiges fördern lässt – Blendinger bleibt skeptisch. Er hält die neuen Verfahren – das Einbringen von Gas, Hitze, Polymeren oder Bakterien – schlicht für zu aufwändig.

    "Im großen Maßstab, dass wir sagen: Wir wenden das auf jede Lagerstätte an – da werden die meisten Lagerstätten schlichtweg nicht mehr kommerziell förderbar. Das ist einer der springenden Punkte: dass der Energieaufwand zu groß wird!"

    Und das selbst bei einem konstant hohen Ölpreis, meint Blendinger. Seine Prognose:

    "Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten eigentlich nie mehr als ein paar wenige Prozent des Eigenbedarfs selber gefördert. Da wird sich auch durch die vielleicht hier und da erfolgreiche Wiederbelebung von alten Lagerstätten überhaupt nichts ändern. Wir werden nach wie vor auf Gedeih und Verderb von Lieferungen aus dem Ausland abhängig sein."

    Wird das billige Öl aus Russland und dem nahen Osten irgendwann knapp, werden deutsche Quellen kaum einspringen können. Dennoch wollen sie die Konzerne nun stärker ausbeuten – und setzen dabei auf ausgefeilte Computersimulationen, raffinierte Bohrverfahren und neue Fördermethoden. Der einfache Grund: Es geht um Milliarden – um Profite für die Unternehmen, um Steuereinnahmen für den Staat und auch um Arbeitsplätze. Ein Geschäft, das man sich nicht entgehen lassen will.

    Die "Sara Maatje" hat wieder abgelegt von Mittelplate, sie fährt zurück nach Cuxhaven. RWE Dea Sprecher Derek Mösche lehnt an der Reling. 2005, erzählt er, hat Mittelplate das Fördermaximum erreicht, zwei Millionen Tonnen pro Jahr. Jetzt sind es nur noch 1,4 Millionen.

    "Der Peak ist überschritten. Aber dadurch, dass wir hier diese Hightech-Maßnahmen einsetzen, dass wir die Multilateral-Bohrung fertiggestellt haben, haben wir jetzt ein Niveau erreicht, dass wir den Rückgang erst mal aufhalten konnten. Und wir hoffen, dass wir jetzt durch weiteren Einsatz dieser Technik längerfristig auf diesem höheren Plateau bleiben können."

    25 Millionen Tonnen hat Mittelplate seit 1987 gefördert. Und es wird weitergehen auf Deutschlands einziger Bohrinsel.

    "Wir haben gerade die Verlängerung der Förderbewilligung bekommen. Die reicht bis Ende 2041. Wir gehen davon aus, dass wir diese Zeit auch benötigen, um das Ölfeld vernünftig auszufördern."

    Sein Ziel wird RWE Dea nur mit neuen Techniken erreichen können, mit Multilateral-Bohrungen und mit EOR, der verbesserten Ölförderung: Der Konzern will noch einmal 25 Millionen Tonnen aus dem Boden des Wattenmeers holen – mindestens.