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Letzte Zuflucht Gibraltar

Dass die Neandertaler ausgestorben sind, das ist unstrittig - die Frage ist wann? Nun sind die Wissenschaftler der Lösung dieses Rätsels einen Schritt näher gekommen. In einer Höhle in Gibraltar verraten Feuerstellen und Werkzeuge, dass die Neandertaler in diesem südeuropäischen Refugium ein paar tausend Jahre länger überlebt haben, als bislang gedacht. Dort war das Klima besonders mild.

    Heute umspült das Mittelmeer die Felsen von Gibraltar, und die Gorham’s Höhle öffnet sich direkt über dem Wasser. Während der Eiszeiten war das anders: Da lag der Meeresspiegel rund 100 Meter tiefer – und so war der Strand eine gute Gehstunde weit entfernt. Zwischen den Felsen und dem Wasser erstreckte sich eine Art mediterraner Serengeti: eine offene, locker mit Bäumen bestandene Landschaft, durch die Rothirsche, Bergziegen, Pferde und Wildrinder zogen. Die wurden von den vielleicht letzten Neandertaler gejagt. Tief im Inneren in der Gorham’s Höhle haben Wissenschaftler die Reste ihrer Lagerfeuer gefunden:

    "Als wir die Holzkohle, die von den Lagerfeuern der Neandertaler übrig blieb, mit Hilfe der C14-Methode datierten, erlebten wir eine Überraschung: Hier lebten auf jeden Fall noch vor 28.000 Jahren Neandertaler. Wir glauben, dass sie noch vor 24.000 Jahren hier waren, aber das ist unsicher. Gibraltar war wohl wegen seines milden Klimas, in dem selbst Olivenbäume wuchsen, ein Refugium."

    Clive Finlayson vom Gibraltar Museum. Bis zu diesen Datierungen schienen die letzten unsere Cousins vor 30.000 Jahren verschwunden zu sein. Im Inneren von Gorham’s Höhle haben sich über Jahrtausende 18 Meter Ablagerungen gebildet, die voll sind mit Zeugnissen von Menschen. In den tieferen Schichten liegen Werkzeuge, die als typisch für Neandertaler gelten. Und dazu kommen zahllose Knochen mit Schnittspuren – die Reste steinzeitlicher Mahlzeiten. Finlayson:

    "Die Höhle zeigt uns das Bild eines Neandertalers, der in einer reichen Mittelmeerlandschaft gelebt hat und auch viele Meerestiere wie Muscheln und Schnecken verspeiste. Sie kannten sich gut an der Küste aus."
    Die Neandertaler seien sehr intelligente Jäger und Sammler gewesen, betont der Paläoanthropologe:

    "Der zweite Aspekt unserer Arbeit ist, dass moderne Menschen diese Höhle erst vor 8500 Jahren besiedelt haben. Zwischen den letzten Neandertalern vor 24.000 Jahren und den ersten Menschen vor 8500 Jahren scheint sie ungenutzt gewesen zu sein. Das legt nahe, dass wenigsten hier die modernen Menschen nichts mit dem Aussterben der Neandertaler zu tun hatten."
    Dabei können sie sich durchaus begegnet sein, denn die ersten modernen Menschen haben Südspanien schon vor 32.000 Jahren erreicht. Finlayson:

    "In Südspanien scheint es eine kleine Population von Neandertalern auf dem Rückzug gegeben zu haben, und eine kleine Population von modernen Menschen, die als Pioniere das neue Gebiet besiedelten."
    Falls sie sich begegnet sind, blieb das seltsamerweise folgenlos. Finlayson:

    "”Wir finden in Südspanien keine Hinweise auf einen irgendwie gearteten kulturellen Austausch. Das ist anders als in Frankreich, wo die Neandertaler ihre Technologie veränderten. Einige Forscher glauben deshalb, dass sie die modernen Menschen kopierten. In Südspanien stellten die späten Neandertaler ihre Werkzeuge genauso her wie ihre Ahnen 100.000 Jahre zuvor. Das heißt nicht, dass es keinen Austausch gegeben hat, wir können ihn nur nicht nachweisen.""
    Katrina Harvati vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, die die Arbeit beurteilt, hält die Datierungen von rund 28.000 Jahren für zuverlässig. Aber sie betont:

    "”In der Zeit vor rund 100.000 Jahren finden wir im Nahen Osten und in Nordafrika Werkzeuge von frühen modernen Menschen, die genauso aussehen wie die von Neandertalern. Trotzdem lassen sich die Werkzeuge von Gibraltar mit den Neandertalern verbinden, denn in Europa haben nur sie sie angefertigt. Es wäre aber schön, noch Fossilien finden, die das belegen.""
    Sollten die Neandertaler sogar bis vor 24.000 Jahren überlebt haben, stelle sich zudem die Frage nach dem so genannten Kind von Lagar Velho neu, das in Portugal gefunden wurde. Es soll vor 24.500 Jahre gelebt haben. Weil das Kinderskelett Merkmale des modernen Menschen wie auch der Neandertaler zeigt, könnte es sich um einen Hybriden handeln. Bislang wurde das auch deshalb in Zweifel gezogen, weil die Neandertaler schon als viel zu lange ausgestorben galten. Die neuen Daten könnten nun ein neues Licht darauf werfen.