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Letzter Vorhang für die NYCO

Mit der MET und der New York City Opera verfügt die Großregion New York mit ihren 23 Millionen Einwohnern gerade einmal über zwei Opernhäuser. Noch. Denn nach fast 70 Jahren muss die New York City Opera nun Bankrott anmelden und den Betrieb einstellen.

Von Simone Hamm |
    Die tragische Heldin ist tot. Als sich der Vorhang sich senkt, herrscht für einen Moment betretenes Schweigen in der Brooklyn Academie of Music. Dann bricht frenetischer Jubel los. Die Aufführung von "Anna Nicole" der New York City Opera (NYCO) hat die Zuschauer gepackt. Doch Schweigen und anschließender Jubel haben nicht nur der Musik von Mark - Anthony Turnage, der Inszenierung von Richard Jones und der traurigen Geschichte des Models Anna Nicole Smith gegolten. Obwohl die wahre Geschichte der kleinen Serviererin, die in einem halbseidenen Club einen uralten Milliardär kennenlernt, der sich in sie verliebt, mit Diamanten überschüttet und schließlich heiratet, ein veritabler Stoff für eine Oper ist.

    Der Millionär stirbt und kaum ist er unter der Erde, bricht ein schmutziger Krieg ums Erbe aus. Anna Nicole wird das Opfer eines gierigen Anwalts, der jeden ihrer Schritte an Journalisten verkauft. Als ihr Sohn stirbt, ist kein Lebenswille mehr in ihr. Anna Nicole ist die Violetta, die Manon des 21. Jahrhunderts. Sie ist das Mädchen mit dem amerikanischen Traum, das brutal in der Realität angekommen ist.

    Realität ist auch, dass sich am vergangenen Samstag der Vorhang für die New York City Opera zum letzten Mal gesenkt hat. "Anna Nicole" war die letzte Vorstellung.

    "Fakt ist, wir haben kein Guthaben, wir haben kein Betriebskapital."

    ...sagt George Steel, der künstlerische Direktor der New York City Opera. Gestern hat die New York City Opera Konkurs angemeldet. Und so wird es nur noch eine einzige Oper geben in New York City, wo über acht Millionen Menschen leben. Vor siebzig Jahren wurde die New York City Opera gegründet, sie hatte den Anspruch, die Oper der kleinen Leute zu sein - im Gegensatz zur glamourösen Metropolitan Oper. Tickets - zumindest auf den hinteren Rängen - waren und sind erschwinglich. Hier erhielten junge Künstler eine Plattform. Hier begannen Sänger wie Placido Domingo ihre Karriere. Domingo bezeichnete die Schließung der Oper als große Tragödie.

    Verzweifelt hatten die Freunde der Oper versucht, sieben Millionen Dollar aufzutreiben, um weitermachen zu können. Doch es kamen nur zwei Millionen zusammen. Von Spenden aber lebt die Oper. 2011 hatte die Oper Einnahmen von 26, 6 Millionen Dollar, davon sechzehn Millionen Spenden. Die Ausgaben aber, die: Kosten für neue Inszenierungen, Musiker und Sänger betrugen 31, 1 Millionen. Die Zahlen aus dem Jahr 2012 sind noch nicht veröffentlicht worden.
    George Steel hatte die Leitung der Oper 2009 von Gerard Mortier übernommen. Schon damals befand sie sich in einer schweren Krise. Zu modern waren die aufgeführten Stücke, zu avantgardistisch die Inszenierungen. In einem Land, in dem es keine Subventionen für die Oper gibt, ist man mit einem Don Giovanni auf der sicheren Seite. Steel versuchte den Spagat von Bekanntem, frisch Inszeniertem und Modernem, Gewagten.

    Dann traf er eine folgenschwere Entscheidung. Jahrelang war die New York City Opera im Lincoln Center untergebracht, keine 60 Meter von der Metropolitan Oper entfernt. Er zog aus dem Lincoln Center aus und spielte fortan an diversen Spielstätten. Der wichtigste Musikkritiker der New York Times, Anthony Tommasini erkannte Chance und Risiko sofort:

    "Die Idee einer "Nomadencompanie" hatte schon etwas Faszinierendes. Es war ein interessantes Konzept, aber auch voller Probleme und Herausforderungen. Es würde keine Identität mehr geben. "

    Intendant George Steel hält dagegen:

    "Dass wir das Lincoln Center verlassen haben, machte es viel schwerer, Spenden einzutreiben. Anderseits aber hat uns der Auszug zunächst gerettet. Wir haben so wahrscheinlich fünf oder sechs Millionen Dollar gespart."

    Zum einen war das nicht genug, zum anderen gab es deutlich weniger Aufführungen. Letztlich konnte der Auszug die Oper lauch nicht retten. Die Sänger und Musiker, die von den finanziellen Problemen der Oper per E-Mail unterrichtet wurden, sind wütend. Wütend wie Gail Kruvand. 22 Jahre lang hat sie im Orchester der New York City Oper Kontrabaß gespielt:

    "Wir sind schockiert und wütend und traurig. Jetzt haben wir es also erlebt, dass das nachhaltige Modell der New York City Opera so nachhaltig nicht ist. Wenn wir diese Saison betrachten, da hatten wir 22 Vorstellungen. Im Lincoln Center hatten wir 122."

    Auf der Bühne erleidet der verliebte Milliardär auf einer ausgelassenen Party einen Herzanfall und bleibt regungslos liegen. Als die Gäste ihn schon betrauern wollen, erhebt er sich und singt "I'm not yet dead." Diese Worte, so sagte der Tenor Robert Brubaker auf der anschließenden, eher stillen Abschlussfeier, widme er der New York City Opera. Vergebens.