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Letztes Geleit für OS/2

Inthronisiert als IBMs Antwort auf Windows, sorgte das Operating System 2 - kurz OS/2 - seinerzeit zwar für Schlagzeilen, doch der Durchbruch auf breiter Front blieb dem unter Anhängern heiß geliebten Betriebssystem verwehrt. Größere Verbreitung fand OS/2 aber bei Banken und Sparkassen, bei denen es noch heute eingesetzt wird. Über Linux als favorisierten Nachfolger hält sich daher die Freude in Grenzen.

05.03.2005
    Es ist nicht IBMs erster Versuch, sich vom ungeliebten Zögling zu verabschieden. Allerdings dürfte allem Ach und Weh zum Trotz diesmal kein Weg daran vorbei führen. Selbst einen Erben haben die Strategen von Big Blue bereits auserkoren: Arbeitsplatzrechner, die bislang unter OS/2 betrieben wurden, sollen laut ihren Empfehlungen mit Linux bestens bedient sein, und auch bei Servern sehen die Experten in einer Samba-Umgebung unter Linux eine gute Wahl. Alternativ könne aber auch Microsoft Windows mit Active Directory eingesetzt werden. Aber eine Entscheidung für die eine oder die andere Lösung scheint unumgänglich: eine kostenpflichtige Unterstützung für OS/2-Betreiber werde es nur noch bis Ende 2006 geben. Weil auch neue Hardware nicht mehr in das Betriebssystem eingepflegt wird, schlagen IBM-Fachleute überdies vor, bereits jetzt für ausreichend Ersatzhardware zu sorgen, die unterstützt wird.

    Damit dürfte denn auch der lange Abschied von der schon 1992 auf den Markt gekommenen Software unwiderruflich sein, zum Leidwesen des harten Kerns an Anwendern und Anhängern. Immerhin, so schätzen Experten, sind von dem Aus für OS/2 zwischen 300.000 und 500.000 professionelle sowie rund 100.000 private Installationen betroffen. Kummer wird vor allem bei den äußerst aktiven Fan-Gruppen aufkommen, die von Viren und Würmern weitgehend unbehelligt mit dem Opera-Webbrowser für OS/2 durch das Internet ziehen und sogar regelmäßige Treffen etwa zum Thema OS/2-Flash veranstalten. Noch härter betroffen sind indes die professionellen Benutzer. So arbeiten viele Geldautomaten vor allem von Sparkassen mit OS/2, und auch so genannte Business-Intelligence-Anwendungen zur Kundenbetreuung und Handelssysteme basieren auf dem IBM-Betriebssystem. Entsprechend besorgt äußerten sich bereits betroffene Systembetreuer, die kaum eine Chance sehen, die Umrüstung beispielsweise auf Linux noch rechtzeitig zum Auslaufen der Unterstützung zu bewerkstelligen. Doch auch in anderen Bereichen spielt OS/2 noch immer eine Rolle: so arbeiten im Groß- und Einzelhandel rund fünf Prozent der Kassensysteme unter dem Operating System 2, und auch im Maschinenbau wird die als sehr stabil geltende Software gerne zur Steuerung von Anlagen verwendet. Insgesamt bedeutet also der Ausstieg aus OS/2 für die betroffenen Unternehmen nicht nur einen technologischen, sondern auch einen nicht zu vernachlässigen finanziellen Aufwand.

    Ein Strohhalm, an den sich manche Anwender klammern, stellt dabei die so genannte eComStation dar. Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung von OS/2 vor allem für Server, die durch das US-Unternehmen Serenity-Systems gepflegt und daher auf einem zeitgemäßen Stand gehalten wird. Zwei Versicherungsunternehmen kündigten bereits an, diese Lösung zumindest zu prüfen. Attraktiv ist eComStation vor allem deshalb, weil sich seit dem Erscheinen von OS/2 dessen Schnittstellen nicht geändert haben und so die eComStation direkt darauf aufsetzen kann. Besonders für isolierte Umgebungen wie etwa bei Banken und Versicherungen könnte dies einen Ausweg bedeuten. Immer problematischer dürfte allerdings die Verwendung von neuer Hardware werden, für die nötige Zusatzprogramme und Treiber immer seltener werden dürften. Weniger davon betroffen sind indes die Geldautomaten, deren oft auf OS/2 abgestimmtes Design seltener verändert wird und für die eComStation daher interessant ist. Anlagenbauer zeigen sich wesentlich skeptischer - ihnen ist eComStation, so ist zu hören, nicht stabil und zuverlässig genug. Für diese Anwendergruppe dürfte vor allem Embedded-Linux - auch wegen guter Hardwareunterstützung - eher infrage kommen. Während also die OS/2-Anhängerschaft in Trauer liegt, wittern Linuxianer Morgenluft. Entwickler erhoffen sich hier neue Absatzmöglichkeiten, wenn der mitunter verspottete Software-Methusalem endgültig das Zeitliche segnet. Gelingt es Linux allerdings wirklich, hier neue Freunde zu erschließen, könnte die Gemeinde des freien Betriebssystems hierzulande in dem kommenden 18 Monaten sprunghaft zunehmen.

    [Quelle: Peter Welchering]