Auf die Frage nach den Möglichkeiten der Ungegenständlichkeit hält "Pneuma", was Luft, aber auch Hauch, oder Seele bedeutet, überraschende Antworten bereit: Ein abstraktes Bühnenbild, in dem sich plötzlich alle Türen zum Drama hin öffnen lassen, Kostüme, deren phantastisch-orientalische Männerröcke und sachlich-strenge Frauenkleider Rollenzuordnungen jenseits von Klischees erlauben, eine Musik, die Hitze erzeugt, obwohl sie Gefühl als das Ergebnis von Kompositionsverfahren darstellt, eine Choreographie, in der sich Technik und ästhetische Tradition mit Eigenwilligkeit verbinden, und nicht zuletzt eine geheimnisvolle Künstlerfigur im Zentrum.
"Pneuma" ist eines jener Stücke geworden, die gleichzeitig nach dem Wie und dem Warum des Tanzes fragen. Damit steht Johan Inger in der besten Tradition. Das Nederlands Dans Theater, dessen Hauptcompagnie NDT I das Stück jetzt uraufgeführt hat, ist berühmt für seine hintergründigen Werke. Nie waren Jirí Kyliáns oder Hans van Manens Tänze allein von einer choreographischen Idee bestimmt oder rein auf der erzählerischen Ebene zu verstehen. Ihre Erfindungskraft und Musikalität haben Inger während zwölf Jahren als Tänzer geprägt. Seit 1995 hat Kylián ihm regelmäßig Gelegenheit gegeben, für das NDT zu choreographieren. Ob das Nederlands Dans Theater weiß, was es in ihm verliert, wenn Inger im nächsten Monat nach Stockholm geht, um dort seine Stelle als Direktor des Cullberg Balletts anzutreten?
Viele der größeren Ballettensembles sind in derselben Lage wie das Nederlands Dans Theater. Sie suchen in der ganzen Welt nach jungen Choreographen. Die wiederum lassen sich Zeit und erproben sich lieber in kleineren Formationen, als sich dem Erwartungsdruck bei Premieren an großen Häusern auszusetzen. Vielen von ihnen ist Tanz als Kunst ohnehin etwas aus dem Blickfeld geraten. Sie ziehen es vor, Theaterexperimente nachzustellen, die in den sechziger Jahren modern waren. Viele junge Choreographen sind mit Konzepten beschäftigt und reden lieber vom Körper, als ihn tanzen zu lassen. Johan Inger ist einer der wenigen, die den Tanz so lieben, dass sie ihn aus der Tradition weiterentwickeln können.
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