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Leuchtende Sterne und schwarze Löcher

Hier waren die Sieger zu Hause – auf Kasernenterrain in der altpreussischen Kapitale; "Russenhalle" wird heute eine der gesichtslosen, aber geschichtsschweren Baufälligkeiten ge-nannt, die die Soldaten der Roten Armee beinahe fünf Jahr-zehnte lang nutzten – Bilder von deren Abzug bald nach Vollendung der Einheit eröffnen die Ortsbegehung, die ih-rerseits im Theaterfoyer am Beginn dieser theatralischen Zeitreise steht. Da lassen schnellgeschnipselte Filmbilder aus der Werkstatt der Design-Studenten an der Potsdamer Fachhochschule die Zeit im Sauseschritt rückwärts rasen – vom "Lebe wohl, Deutschland!" der Potsdamer Rotarmisten 1993 über die dramatischen Jahrhundert-Daten 89, 68, 53, 45 und 1933 bis zu Lenin und der Revolution – und diese Ideen-Geschichte des Jahrhunderts destilliert Ulrich Zaum im fol-genden aus einigen der prägnantesten Biographien des Jahr-hunderts.

Von Michael Laages |
    Zunächst aber wandert das Publikum durch Kälte und Schnee hinüber zur "Russenhalle" – und wer das allfällige Premie-rengeplapper überhören mag unter Flutlichtscheinwerfern und den bedrohlichen Donner-Sounds des Musikers Serge Weber, der mag sich (mit viel Phantasie) den "Weg ins Lager" her-bei imaginieren, wie ihn mancher linke Parteisoldat in Sta-lins Knäste oder Hitlers KZ’s gegangen sein mag. Und als die Halle endlich erreicht ist und jeder Kartenabriss ein-zeln erfolgt, kommt manchem alten Potsdamer frierend das Warten auf den "Propusk" in den Sinn, auf den Durchlass-schein auf dem abgezäunten und ummauerten Terrain der sow-jetischen Besatzer. Das Ambiente jedenfalls, das die Pots-damer Theatermacher mit diesem geisterhaften Ort aufbieten können, hat es wirklich in sich.

    Zaums historisches Tableau aber auch. Als Aufgangspunkt der biographischen Verschränkungen hat er die Potsdamer Bür-gerstochter Margarete Thüring gewählt – als junge Sozialis-tin, zeitweilige Schwiegertochter des Religionsphilosophen Martin Buber und spätere Kampf- und Lebensgefährtin des Kommunisten Heinz Neumann, Moskaus Beauftragtem für die deutschen Genossen, muss sie Zuversicht und Verblendung im Kampf gegen den deutschen Faschismus hautnah erfahren; sie folgt Neumann noch ins Moskauer Hotel Lux, wo der 1937 hin-gerichtet wird – sie liefern Stalins Beamte an Hitlers Schergen aus; sie überlebt vier Jahre Haft im Konzentrati-onslager Ravensbrück und bleibt (bis zum Tode 1989) eine der prägenden publizistischen Stimmen der Nachkriegsrepu-blik/West. Den linken Pressezaren Willi Münzenberg setzt Zaum mit ins linke Tableau, eine der abenteuerlichsten Per-sönlichkeiten des Jahrhunderts – 1940, als er auch aus Frankreich vor den Nazis fliehen muss, nimmt er sich (Zaum legt das nahe) wie Walter Benjamin das Leben. Auch Otto Katz kommt ins Spiel, Prager Jude und Erwin Piscators Mit-Direktor im Berliner Theater am Nollendorfplatz - er macht Partei-Karriere bei Münzenbergs Blättern und verrät den Patriarchen; er endet selber in den Prager Slansky-Prozessen des Jahres 1952. Den mehr oder minder moskautreu-en Linken steht mit Arnolt Bronnen die mit Abstand schil-lerndste Kultur-Figur des Jahrhunderts gegenüber: als ge-wissen- und prinzipienloser Karrierist, erst Vorhut der li-terarischen Moderne, dann Goebbels’ Mann für den Reichs-rundfunk, nach dem Krieg dann plötzlich wieder links außen zu Hause und bis 1959 immerhin Kulturpublizist und Theater-kritiker in Berlin/Hauptstadt der DDR. Zaum lässt ihn 1945 von den Sowjets zum Tode verurteilen.

    Für einstmals linke Intellektuelle wie Gustav Regler oder Arthur Koestler schliesslich steht auf Zaums "Himmelslei-ter" Gustav Reiser, erst Industrie-Erbe, dann Schriftstel-ler – und Bestsellerautor nach dem Krieg, als er allem lin-ken Gedankengut abgeschworen hat. Was für ein hochkompli-ziertes Beziehungsgefüge das ist – Zaum setzt es zusammen als Mosaik mehr oder weniger filigran geschnitzter und ge-schnipselter Miniaturen, denen zu folgen den ganzen Zu-schauer erfordert. Und ob die Ausweglosigkeiten dieser po-litisch so hoch aufgeladenen Personnage ohne ausgeprägte historische Kenntnis verstehbar sind, muss vorerst offen bleiben – der Regisseur Tobias Sosinka immerhin versucht das Politische dieser Zeitläufte durchaus so eng wie mög-lich zu verweben mit den persönlichen Dramen darin. Das geht nicht immer gut – wer etwa vom Hitler-Stalin-Pakt und dessen zerstörender Wirkung auf die deutschen Kommunisten und deren Widerstand gar nichts weiss, wird auch durch noch so gefühlige Szenen nicht wirklich auf die Spur geführt.

    Szenisch ist "Himmelsleiter" von einem der weithin bekann-ten biographischen Tableaus aus Johann Kresniks choreogra-phischer Werkstatt kaum zu unterscheiden – schnell und hart in der Szenenfolge, polemisch und parteilich in der drama-tischen Argumentation, durchdröhnt von den Sounds des Kom-ponisten Weber (der sogar ein paar Choreographien aus Kres-niks Fundus entliehen hat) und (was den Körpereinsatz be-trifft) bis an die Grenzen von Leistungskraft und Schmerz reichend für das durchweg sehr eindrucksvolle Potsdamer En-semble. Und nun mögen zwar viele all diese schmerzhaften Erinnerungen an Aufstieg und Fall, Vertrauen und Verrat, Sehnsucht und Desillusionierung, wie deutsche Kommunisten sie praktizierten und erduldeten in der Passion einer him-melsstürmerischen Idee, spätestens nach dem schnöden Abge-sang der DDR für einen durch und durch erledigten Fall hal-ten. Auf deutschen Bühnen siedelt halb-dokumentarischer Ge-schichtsunterricht wie dieser (und wie viele Kresnik-Arbeiten) inzwischen ja eher am Rande. Auch auf dieser "Himmelsleiter" könnte es zudem ein paar Sprossen fixer voran gehen – der Abend ist sehr lang, die "Russenhalle" ist recht kalt. Und doch ist es dieser Ort, der die Zeit-zeugenschaft dieses aussergewöhnlichen Projektes so unab-weisbar und beunruhigend hautnah beschwören lässt: und den mörderischen Kampf um die Vision eines Jahrhunderts, das nur dem Kalender nach zu Ende ist.