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Leuchtreklame in Polen
Retro-Röhren mit buntem Neongas

Auch in Polen macht sich die Werbeindustrie den öffentlichen Raum zu eigen, die Begriffe "BigBoard" oder "Billboard" haben längst Eingang in die polnische Sprache gefunden, die sonst allem tunlichst einen eigenen Namen gibt. Vielleicht erinnern sich gerade deswegen die Polen ihrer Liebe zur guten alten Neonreklame.

Von Johanna Herzing |
    In eine Glasröhre für eine Leuchtreklame wird Neonleuchtstoff eingebrannt.
    In eine Glasröhre für eine Leuchtreklame wird Neonleuchtstoff eingebrannt. (dpa / picture alliance /XAMAS)
    65 Jahre wohne er nun schon in Warschau und sie sei immer da gewesen. Emil Wypych stützt sich auf seine Krücken und lässt den Blick auf die Straßenseite gegenüber schweifen. Hoch oben auf einem Dachsims schlägt die Siatkarka, eine Handballspielerin, gerade wieder einen Ball auf. Während die schlichte Damensilouette im knappen Badeanzug die Arme weit streckt, leuchten nach und nach mehrere Neonringe an der Hauswand auf; der aufgeschlagene Ball fällt die sieben Stockwerke hinab. Seit 1961 belebt die Neonanzeige nun schon den Plac Konstytucji im Herzen von Warschau. Früher en vogue - heute retro.
    "Das ganze Areal nannte sich MDM, Marszalkowska-Wohnviertel. Heute sagt das den Leuten nicht mehr viel, aber früher konnte man sich hier vergnügen; das war was vollkommen anderes als heute. Hier konnte man ganz umsonst tanzen gehen. Ich war jung, also hab ich das auch gemacht."
    Großzügige Wohnungen, imposante Fassaden, pompöse Beleuchtung
    Das MDM-Viertel, erbaut in den 50er Jahren, war ein Prestigeprojekt im Stil des sozialistischen Realismus. Mitten drin: die Marszalkowska-Straße, so was wie die Karl-Marx-Allee Warschaus. Großzügige Wohnungen, imposante Fassaden, pompöse Beleuchtung. Für Letztere sorgten riesige Laternen in Form von Kronleuchtern und kunstvoller Neonreklame.
    "Eine der ersten Anzeigen, die wir fotografiert haben, ist die hier: Berlin! Ein Schriftzug von 1974. Ursprünglich hing er über einem Secondhandladen an der Marszalkowska; zum Schluss war in dem Ladenlokal ein Geschäft für Haushaltswaren."
    Jetzt hängt der Schriftzug allerdings im Warschauer Neonmuseum. Witold Urbanowicz vom Neonmuseum legt einen Schalter um, "BERLIN" leuchtet knallrot auf.
    "Als wir die Anzeige fotografieren wollten, war sie leider schon abgenommen. Die Besitzer meinten, sie sei alt und von Tauben verdreckt; sie wollten lieber ein richtiges Firmenlogo. Ilona hat dann die Besitzer kontaktiert und so kam die Neonreklame in unsere Sammlung."
    Ein zweites Zuhause für ausgemusterte Neonanzeigen – das ist die Idee hinter dem Museum von Ilona Karwinska und ihren Mitstreitern. Ein paar schwere Stellwände, Elektroleitungen, jede Menge Platz und wenig Tageslicht: So kommt "Neon" am besten zur Geltung. Seit zweieinhalb Jahren residiert das Neonmuseum in einer Backsteinhalle der Soho-Factory, der selbst ernannten "avantgardistischen Umgebung für Kultur und Business". Das frühere Industrie-Gelände beherbergt heute einige der angesagtesten Warschauer Galerien, Design-, Grafik- und Architektur-Büros, Läden und Cafés. Ins Neonmuseum, sagt Witek, zieht es deshalb viele junge Menschen und Touristen aus aller Welt.
    "Ich bin 1988 geboren, ein Jahr vor dem Ende des Kommunismus in Polen. Deshalb kann ich mich an den Großteil der Neonbeleuchtung in der Stadt nicht erinnern. Tatsächlich interessieren sich immer mehr junge Menschen für die Neons. Und ich glaube das ist auch mit einer gewissen Wertschätzung verbunden, mit der Haltung, dass man nicht alles, was in der Nachkriegszeit entstanden ist, verteufeln muss."
    Besonderer künstlerischer Anspruch
    Denn die gebogenen Glasröhren mit dem bunten Neongas hatten auch einen besonderen künstlerischen Anspruch. Sie wurden von Architekten, Grafikern oder Bildhauern entworfen.
    "Geld spielte damals keine große Rolle, denn im Kommunismus hatte die Reklame einfach eine ganz andere Bedeutung als heute. Die Läden waren leer, aber nachts waren die Städte von Reklame erleuchtet. Damals ordnete die Verwaltung an, ganze Straßenzüge oder sogar Stadtteile mit Neon-Anzeigen auszustatten. Dann bekamen alle Geschäfte Leuchtreklame: die Wäscherei, die Pelzreinigung und sogar die Wachhäuschen der Polizei. Diese Anzeigen mussten für nichts werben, die sollten einfach nur die Stadt beleuchten und verschönern."
    In den vergangenen Jahren allerdings wurden viele der alten Anzeigen abgenommen. Von manchen gibt es nur noch Fotos oder gezeichnete Entwürfe.
    "Mein Lieblings-Neon gibt es leider gar nicht mehr. Das war der Schriftzug "Nähmaschinen" hier in Warschau. Das ist heute unvorstellbar, dass sich so ein Laden eine derart große Reklame leisten kann. Leider ist die Anzeige vor ein paar Jahren einfach verschwunden."
    Ein kleiner Trost mag da sein, dass Warschau, wie viele europäische Großstädte auch die Neon-Reklame gerade neu entdeckt. Über den Bars und Klubs der Hipster leuchten sie immer öfter wieder auf: die schönen Röhren mit dem bunten Neongas.