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Leukämie durch Atomkraftwerke

Seit gestern beraten im Institut für Weltwirtschaft in Kiel Wissenschaftler und Vertreter des niedersächsischen Sozialministeriums, des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums und des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozialmedizin. Dabei geht es um die Norddeutsche Leukämie und Lymphomstudie, bei der die Landesregierungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin beauftragt haben, herauszufinden, welche Risikofaktoren dazu beitragen können, dass Menschen an Blutkrebs- und Lymphdrüsenkrebs erkranken können. Es ist die größte Studie dieser Art, die bisher in Deutschland durchgeführt wurde. Und sie erstreckt sich auf insgesamt sechs niedersächsische und schleswig-holsteinische Landkreise, wie Harburg und Lüneburg in Niedersachsen, Herzogtum Lauenburg, Stormarn, Steinburg und Pinneberg in Schleswig-Holstein.

Von Annette Eversberg |
    Der Anlass der Studie war zunächst die Frage, warum war die Häufigkeit von Blutkrebs im Umkreis von 5 Kilometern um das Kernkraftwerk Krümmel um 50 Prozent erhöht. Bei der Norddeutschen Studie haben sich die Forscher aber nicht nur auf die Frage der Krebshäufigkeit in der Nähe von Kernkraftwerken beschränkt. Sie haben die Untersuchung vielmehr auf andere Risikofaktoren ausgedehnt. Grundlage für diese erweiterte Fragestellung war in den 90er Jahren der Fall einer Mülldeponie in Münchehagen im Grenzbereich von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Dort war illegal Sondermüll abgeladen worden. Die Dioxinbelastung war erheblich. Und es häuften sich die Klagen über Erbfehler bei Kindern und Krebserkrankungen. Deshalb haben die Forscher im Rahmen der Norddeutschen Leukämie und Lymphomstudie nun gefragt, welche Risikofaktoren könnten für eine Krebserkrankung maßgeblich sein. Und dazu gehören nach ihrer Ansicht nicht nur die möglichen Auswirkungen eines Kernkraftwerks, sondern auch Insektizide, Pestizide, Holzschutzmittel, im Berufsalltag von Tankwarten das Benzol und natürlich das Rauchen, aber auch die Behandlung von Patienten im Rahmen einer Chemotherapie. Wichtig war zu wissen, was passiert, wenn Menschen solchen Belastungen längerfristig ausgesetzt sind. Und bei Pestiziden und Insektiziden sogar über einen Lebenszeitraum von 30 bis 50 Jahren.

    Dazu zählen die Landwirte ebenso wie die Kleingärtner. Aber auch alle, die einen eigenen Garten bewirtschaften. Außerdem Hausfrauen, die im Haushalt Sprays gegen Motten oder Mücken anwenden. Zwar sind die Mittel gegenüber früher entschärft. Denn Holzschutzmittel enthalten heute weder Lindan noch DDT, die zu erheblichen Gesundheitsschäden geführt haben. Allerdings zeigt schon die Fragestellung, dass die Wissenschaftler nach wie von einer gesundheitlichen Belastung von Menschen ausgehen, die über viele Jahre immer wieder mit Insektiziden oder Pestiziden umgehen, die Rauchen oder Benzindämpfen ausgesetzt sind. Man darf also auf das Ergebnis gespannt sein, das für heute Nachmittag erwartet wird. Aber eines ist jetzt schon sicher, dass die Gefährdungen, weil sie so zahlreich und breitgestreut sind, einen größeren Personenkreis erfassen können, als bisher angenommen und die Gesundheitsvorsorge der Bevölkerung darauf Rücksicht nehmen muss.