Einspruch also gegen dieses System, denn ein Nachschlagewerk muß auch dann unmißverständlich sein, wenn man weder Vorwort, noch Gebrauchsanweisung gelesen hat. Nehmen wir noch einmal den Fünfzehnjährigen, der vielleicht etwas über Hitler erfahren will. "Dritter unter den Megamördern des 20. Jahrhunderts" liest er und ärgert sich, daß den Deutschen wieder nur die Bronzemedaille zusteht. Nominell korrekt, liegt hier ein durchgehender sprachlicher Mißgriff vor. Von "megageil" bis zum "Megagewinnspiel" ist dieses Zahlenwort ausschließlich positiv konnotiert und taugt überhaupt nicht, die Dimensionen eines Verbrechens zu beschwören, ganz im Gegenteil. Es wäre eine sprachwissenschaftliche Herausforderung, eine Bezeichnung für negative große Mengen zu finden, die nicht von der Alltags- und Werbesprache in emotionale Zustimmung umgemünzt werden kann. Übrig bleibt ein Buch für mündige Leser, also ein Produkt mit beschränkter Haftung. Wer sich mit seinen Fallstricken abgefunden hat, kann daraus einiges lernen, zum Beispiel eine Theorie der Hexenverfolgung aus "Repopulierungsgründen", als es nach den großen Pestepedemien galt, das Wissen um Schwangerschaft und Abtreibung gänzlich den Frauen wegzunehmen. Die Kampagne war so erfolgreich, daß es in ihrem Gefolge zur Überbevölkerung Mitteleuropas kam, was schließlich die Auswanderungswelle nach Übersee bewirkte – wo man seinerseits die Ureinwohner dezimierte. Genozide – oder Demozide, wie Heinsohn sie nennt – tragen die Tendenz zur unendlichen Fortsetzung in sich; nur wer Gleiches nicht mit Gleichem vergilt, unterbricht die schreckliche Kette.
Lexikon der Völkermorde
Buchtitel dienen der Aufmerksamkeit. Manchmal stolpert man allerdings schon auf den ersten Buchstaben über ihre Unbeholfenheit. "Lexikon der Völkermorde" schmeichelt sich eine Publikation des Rowohlt Verlags in die Augen seiner potentiellen Leser, und irgendwie scheint da eine fröhliche Konnotation mitzuschwingen. Ist es die Nähe zum Reimwort "Rekorde" oder die Umgebung der massenhaft modisch gewordenen Unsinns-Enzyklopädien, die Daten und Fakten, Listen und Rankings versammeln, derer niemand bedarf? Auch Gunnar Heinsohn, ein hoch respektabler Bremer Sozialforscher, ist sich als Autor der Fragwürdigkeit seines Titels bewußt und bekennt, "Lexikon der menschengemachten Megatötungen jenseits des Krieges" sei die exakte Definition – doch leicht kann man sich die Einwände der Vertriebsleute vorstellen: Wer kauft denn sowas?
Einspruch also gegen dieses System, denn ein Nachschlagewerk muß auch dann unmißverständlich sein, wenn man weder Vorwort, noch Gebrauchsanweisung gelesen hat. Nehmen wir noch einmal den Fünfzehnjährigen, der vielleicht etwas über Hitler erfahren will. "Dritter unter den Megamördern des 20. Jahrhunderts" liest er und ärgert sich, daß den Deutschen wieder nur die Bronzemedaille zusteht. Nominell korrekt, liegt hier ein durchgehender sprachlicher Mißgriff vor. Von "megageil" bis zum "Megagewinnspiel" ist dieses Zahlenwort ausschließlich positiv konnotiert und taugt überhaupt nicht, die Dimensionen eines Verbrechens zu beschwören, ganz im Gegenteil. Es wäre eine sprachwissenschaftliche Herausforderung, eine Bezeichnung für negative große Mengen zu finden, die nicht von der Alltags- und Werbesprache in emotionale Zustimmung umgemünzt werden kann. Übrig bleibt ein Buch für mündige Leser, also ein Produkt mit beschränkter Haftung. Wer sich mit seinen Fallstricken abgefunden hat, kann daraus einiges lernen, zum Beispiel eine Theorie der Hexenverfolgung aus "Repopulierungsgründen", als es nach den großen Pestepedemien galt, das Wissen um Schwangerschaft und Abtreibung gänzlich den Frauen wegzunehmen. Die Kampagne war so erfolgreich, daß es in ihrem Gefolge zur Überbevölkerung Mitteleuropas kam, was schließlich die Auswanderungswelle nach Übersee bewirkte – wo man seinerseits die Ureinwohner dezimierte. Genozide – oder Demozide, wie Heinsohn sie nennt – tragen die Tendenz zur unendlichen Fortsetzung in sich; nur wer Gleiches nicht mit Gleichem vergilt, unterbricht die schreckliche Kette.