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Licht erhöht die Schmerzen

Neurologie. - In Deutschland leiden etwa acht Millionen Menschen regelmäßig unter Migräne. Vieles an dieser Krankheit ist noch rätselhaft. Ein israelischer Forscher hat jetzt in "Nature Neuroscience" erläutert, warum Migränepatienten so lichtempfindlich sind.

Von Kristin Raabe | 11.01.2010
    Von einer "Augen- und Kopf-Krankheit" sprechen die frühesten Beschreibungen der Migräne. Sie befinden sich auf 3000 Jahre alten mesopotamischen Tontafeln. Und diese Beschreibung ist tatsächlich auch heute noch gültig. Während einer Migräneattacke sind viele Patienten sehr lichtempfindlich. Da ist es also nicht verkehrt, die Ursache für die extremen Kopfschmerzen auch im Auge zu suchen. Der israelische Wissenschaftler Rami Burstein hat an der Harvard-Universität die Lichtempfindlichkeit von Migränepatienten gründlich untersucht.

    "Was Migränepatienten spüren, wenn sie Licht ausgesetzt sind, ist eine Verstärkung ihrer Schmerzen. Wenn sie im Dunkeln auf einer Schmerzskala bei etwa 7 liegen und dann in einen hellen Raum gehen, kann sich ihr Schmerz auf einen Wert von 9 steigern. 10 wäre der maximal mögliche Schmerz. Bislang hatten wir keine Ahnung, warum Licht Schmerzen auslöst. Die für das Sehen zuständigen Hirnteile haben gar keine Verbindung zu Bereichen, die für die Migräneschmerzen verantwortlich sind."

    Auf die Frage, warum Migränepatienten so empfindlich auf Licht reagieren, lieferte das Gehirn also erstmal keine Antwort. Für Rami Burstein lag es auf der Hand, dass er im Auge nach der Lösung würde suchen müssen. Deswegen untersuchte er zunächst blinde Migränepatienten. Einige von ihnen waren auf Grund von Grünem Star oder Netzhautkrebs erblindet. Ihnen fehlten sämtliche Sinneszellen der Netzhaut. Wenn diese Patienten unter einer Migräneattacke litten, verschlimmerten sich ihre Schmerzen unter Lichteinwirkung nicht. Ganz anders dagegen reagierte eine andere Gruppe von Blinden mit Migräne. Bei ihnen waren lediglich die Sehsinneszellen – die Stäbchen und Zäpfchen – der Netzhaut zugrunde gegangen. Die Sinneszellen, die lediglich Hell- und Dunkel unterscheiden hingegen, waren intakt. Trotz ihrer völligen Blindheit waren diese Patienten bei einer Migräneattacke extrem lichtempfindlich.

    "Die Befunde beim Menschen haben uns im wesentlichen zwei Sachen gelehrt. Erstens: Man braucht ein Auge und einen intakten Sehnerv, damit Migräneschmerzen durch Licht schlimmer werden. Zweitens: Die Sehsinneszellen Stäbchen und Zäpfchen sind nicht für die Lichtempfindlichkeit der Migränepatienten verantwortlich, sondern lediglich die wenigen Lichtsinneszellen der Netzhaut."

    Nur etwa ein Prozent der Sinneszellen in der Netzhaut dienen der Unterscheidung von Hell und Dunkel. Sie sind für den Tag-Nacht-Rhythmus verantwortlich und signalisieren uns, wann wir uns zum Schlafen hinlegen müssen. Menschen ohne diese Sinneszellen haben keinen normalen Schlaf-Wachrhythmus. Wie die Lichtsinneszellen im Auge, die Migräneschmerzen verstärken, hat Rami Burstein an Ratten untersucht.

    "Wir haben Nervenfortsätze gefunden, die bei den Lichtsinneszellen in der Netzhaut beginnen und Verbindungen zu Nervenzellen in bestimmten Bereichen des sogenannten Thalamus haben, einem Teil des Zwischenhirns. Zellen im Thalamus sind für die Migräneschmerzen verantwortlich. Wir haben dann beobachten können, dass die Lichtsinneszellen während einer Migräneattacke aktiv sind und dass sie stärker feuern, wenn Licht auf das Auge einstrahlt. Diese Information geben sie dann an die Zellen im Thalamus weiter und die Schmerzen werden schlimmer. Wenn wir dagegen das Licht ausmachen, beruhigen sie sich wieder."

    Die Mediziner im alten Mesopotamien hatten also recht: Migräne ist zumindest teilweise eine "Augen- und Kopf-Krankheit". Rami Burstein sucht nun nach den Botenstoffen über die, die Lichtsinneszellen im Auge mit den Zellen im Thalamus kommunizieren. Wenn er sie gefunden hat, kann er die Verbindung zwischen den beiden Zellgruppen womöglich blockieren. Dann wären die Patienten nicht mehr so lichtempfindlich - auch wenn die Migräne selbst sich damit nicht heilen ließe.