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Lichtspiele für Palästina

Im August 2010 eröffnete der Filmemacher Markus Vetter ein verfallenes Kino in Jenin neu und begleitete das Projekt mit der Kamera. Sein kluger und frischer Dokumentarfilm spiegelt den israelisch-palästinensischen Konflikt sehr genau wider.

Von Josef Schnelle |
    "In Palästina gab es viele moderne Kinos, die 1987 mit dem Ausbruch der ersten Intifada geschlossen wurden oder in Flammen aufgingen. Wir stellen uns vor, wie es wäre, wenn in Jenin wieder Filme gezeigt würden."

    Dem Dokumentarfilmer Marcus Vetter war das Kino nie genug. Wenn der Bundesfilmpreisträger die Kamera wieder im Koffer verstaut hatte, beschlich ihn immer wieder ein Gefühl der Ohnmacht. Er hatte sich mit der Wirklichkeit beschäftigt, Menschen porträtiert, aber wirklich helfen, konnte er ihnen nicht. Selbst bei seinem sehr einflussreichen Film "Das Herz von Jenin" musste er zum Beispiel seinen Protagonisten Ismael Khatib zurücklassen, der mit der Spende der Organe seines von israelischen Soldaten getöteten Sohnes für israelische Kinder ein Zeichen setzen wollte gegen Hass und Gewalt. Der Film war ein großer Erfolg geworden und wurde vielfach preisgekrönt. Doch hatte Marcus Vetter wirklich etwas verändert in Jenin im Nordosten der autonomen Palästinensergebiete, das mit seinen vielen Selbstmordattentätern als Hauptstadt des Terrors gilt?

    Mit Ismael Khatib - mit dem Vetter befreundet blieb - fand er ein verfallenes Kino und beschloss es wieder aufzubauen - erweitert zu einem Kulturzentrum und als Versöhnungs- und Friedensprojekt. Und natürlich sollte daraus auch wieder ein neuer Film werden. In der Rolle eines "teilnehmenden Beobachters" – oft konnte er nach eigenem Bekunden seine Rollen als Projektleiter und als Filmemacher nicht mehr auseinander halten - drehte Vetter jede Minute des Entwicklungsprojektes mit, das unter anderen vom damaligen deutschen Außenminister Franz Walter Steinmeier unterstützt wurde. Daraus ist ein bemerkenswerter engagierter aber auch kluger und frischer Dokumentarfilm entstanden, der auch den israelisch-palästinensischen Konflikt sehr genau widerspiegelt.

    "Inmitten des Gaza-Kriegs einigen wir uns mit den Kinobesitzern und unterzeichnen einen ersten provisorischen Mietvertrag."

    Die Altbesitzer, die das Kino über viele Jahre hatten verrotten lassen, wittern plötzlich wieder Geld und machen Marcus Vetter das Leben schwer. Er will ihnen ein nagelneues Kino mit modernster Technik hinstellen, aber hinterher dort nicht nur amerikanische Blockbuster zeigen. Bis zu 100 europäische Unterstützer, die ihre Tätigkeit als aktive Friedensarbeit sehen, zieht das ungewöhnliche Projekt an. Vetter gewinnt auch die palästinensischen Autonomiebehörden bis hin zum damaligen Ministerpräsidenten Salam Fayyad. Manchmal wirken die Aktionen der Cinema Jenin-Unterstützer wie Abenteuer in einer fremden, feindseligen Umgebung.

    Dann wieder haben sie etwas von frechen Jungsstreichen, wie das spielerische Überwinden einer Straßensperre der israelischen Armee. Die Bewohner von Jenin, zu dem ein großes Flüchtlingslager gehört, bleiben misstrauisch. Vetters und Khatibs Versöhnungsansatz ist ihnen gerade vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges zutiefst suspekt. Auch finanziell gerät das Projekt in unruhiges Fahrwasser. Es fehlen 90 000 Euro. Doch Vetter kann Roger Waters vom Vorhaben überzeugen, den Gründer von Pink-Floyd. Er wird zum Retter im letzten Augenblick. Zu Klängen der legendären Rockgruppe führt Vetter den Musiker im Film durch das Cinema Jenin.

    Das ganze Projektgewusel, die immer wieder auftauchenden politischen und praktischen Schwierigkeiten, aber auch die unerschütterliche Bereitschaft der Protagonisten zu einem nimmermüden Einsatz machen diesen Film zu einem spannenden Protokoll des Potenzials von ganz konkreten Friedensbemühungen. Im August 2010 fand die feierliche Wiedereröffnung des Kinos statt.

    "Einige Israelis sind doch zur Eröffnung gekommen. Andere werden vielleicht noch folgen. Wie das Kino in der Zukunft aussehen wird, weiß niemand zu sagen. Ich hoffe, dass es ein Ort sein wird, wo offene Diskussionen möglich sind und niemand Angst davor haben wird, seine Meinung zu sagen."