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Liebäugelei mit der Fatwa?

Gotteslästerung wieder unter Strafe stellen: Autoren von Botho Strauß bis Martin Mosebach spielen heute gern mit dieser konservativen Karte. Kritiker sehen darin den Ruf nach Glaubensdiktatur oder Zensur.

Von Christian Gampert | 22.06.2012
    Der Frankfurter Schriftsteller Martin Mosebach ist eine schillernde, eine mit vollem Bewusstsein altmodische Figur. Manche halten ihn für einen grandiosen Stilisten, andere finden ihn nur manieriert und dünkelhaft und wenden sich mit Grausen.

    In jedem Fall ist Mosebach ein hochgebildeter, belesener Literat, der es sich nebenbei zur Aufgabe gemacht hat, die Defizite der Demokratie bloßzulegen und die Gewissheiten der Moderne mit scheinbar antiquierten Meinungen zu konterkarieren. Das ist oft sogar ganz originell, weil sich hier jemand den Luxus des intellektuellen Außenseitertums leistet, auch, wenn es um eher abseitige Themen wie die tridentinische Messe und den altkatholischen Glauben geht.

    Nun hat der Katholik Mosebach sich zum anscheinend schwer in Mode befindlichen Tatbestand der Blasphemie geäußert und Strafe gefordert für jene, die Gotteslästerung betreiben. Damit sind vor allem jene (nicht sehr zahlreichen) Künstler gemeint, die in den europäischen Gesellschaften einen relativ billigen Effekt damit erzielen, dass sie christliche Topoi lächerlich machen. In der Tat sind gekreuzigte Frösche im Museum oder auf der Bühne onanierende Kleriker nicht jedermanns Sache und meist nur ein probates Mittel, mit wenig Aufwand viel Aufmerksamkeit zu erzielen. Aber wieso, bitte, sollen die Künstler dafür bestraft werden? Wer sowas nicht mag, möge bitte nicht hingehen.

    Mosebach sieht ein Blasphemieverbot denn auch als eine Art erzieherische Maßnahme. Gerade das Risikolose der Gotteslästerung lasse die Kunst sozusagen verludern. Das mag schon sein. Nur: Die Schere im Kopf wird die Kunst noch viel mehr beschädigen. Und die christlichen Kirchen, deren Macht in Deutschland – zumindest auf katholischer Seite - auf einem mit den Nazis geschlossenen Vertrag beruht, auf dem Reichskonkordat, sind keineswegs so "wehrlos", wie Mosebach es uns weismachen will. Nein, die Gedankenfreiheit ist ein hohes Gut, das gerade gegen den institutionalisierten Glauben verteidigt werden muss.

    Dann aber kommt ein Satz, mit dem Mosebach sich völlig ins Abseits stellt. Er lautet: "In diesem Zusammenhang will ich nicht verhehlen, dass ich unfähig bin, mich zu empören, wenn in ihrem Glauben beleidigte Muslime blasphemischen Künstlern – wenn wir sie einmal so nennen wollen – einen gewaltigen Schrecken einjagen." Dieser Satz atmet den Geist der Schadenfreude und der aggressiven Zustimmung - zu barbarischen muslimischen Praktiken, die keineswegs nur "Schrecken einjagen", sondern die ganz real Tote fordern.

    Es gibt Leute, die die Fatwa gegen Salman Rushdie heute bagatellisieren; aber der Mann musste sich jahrelang im Untergrund verstecken. Der Filmemacher Theo van Gogh könnte heute noch leben, würde die Gesellschaft ihre Künstler tatsächlich schützen und den islamischen Fanatismus bereits in den Ansätzen bekämpfen. Auch im jüngsten Fall, dem von einer Fatwa bedrohten iranischen Rapper Shahin Najafi, scheut sich die Bundesregierung, politische Maßnahmen gegen den sogenannten Gottesstaat Iran zu ergreifen, der solche Mordaufrufe im Prinzip gutheißt und deren Verbreitung, auch aus der eigenen Botschaft, jedenfalls nicht unterbunden hat.

    "Schrecken einjagen": Das ist die verniedlichende Formulierung eines katholischen Dandys. Mosebach wagt aber auszusprechen, was die Bischofskonferenz nur verklausuliert sagt: Dass die Religion weiterhin Sonderrechte für sich beansprucht, die es nach dem Grundgesetz nicht geben kann.

    Jeder darf privat an den Gott glauben, der ihm gefällt, und diese Haltung ist zu achten und zu schützen. Sobald der Glaube aber als Institution auftritt und politische Geltungsansprüche stellt, darf er, ebenso wie jede andere Meinung im Wettstreit der Ideologien, angegriffen, kritisiert und sogar lächerlich gemacht werden. Um es paradox zu sagen: Diese Freiheit ist uns heilig, sie wurde blutig erkämpft.

    Jemand, der schon – ausgerechnet - bei seiner Büchner-Preisrede mit einer Parallelisierung von Nazitum und linker Revolution kokettierte, will uns nun in die Zeit vor der Aufklärung zurückfabulieren.

    Mit Verlaub, Herr Mosebach: Es gibt ein Recht auf Blasphemie. Es gibt ein Recht auf Atheismus. Wenn das Christentum sich auseinandersetzen will: gerne. Aber dann bitte intellektuell – und nicht mit der Verbotspeitsche und dem Ruf nach dem starken Staat.