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Liebe als Fluch

Mit der Kölner Interpretation des Orpheus, der seine verstorbene Geliebte durch Gesang aus der Unterwelt erlösen will, zeigt sich das Haus nach jahrelanger Bedeutungslosigkeit auf gutem Wege.

Von Christoph Schmitz | 27.10.2009
    Der alte Mythos von Orpheus und Eurydike vereint in sich alles, was den Menschen ausmacht: seine Sehnsucht nach der großen Liebe, sein unaussprechliches Glück, wenn er diese Liebe einmal erfährt, sein Leid, wenn sie zerbricht und der Tod alles verschlingt. In diesem Sinne kann man auch das Lob der Musik verstehen, wenn es Orpheus gelingt, mit seinem Gesang die Herzen der Totengötter zu erweichen, dass sie ihm seine verstorbene Geliebte zurückgeben. Der Schönklang als Verlangen und Streben nach Vereinigung.

    Um den mythologischen Kern der Sage herauszuarbeiten, hatte auch Christoph Willibald Gluck das Personal seiner Oper auf die Hauptakteure reduziert, wobei er hier auch noch einmal zugespitzt hat. Orpheus und der Chor sind die tragenden Säulen des Geschehens, Eurydike und Amor haben nur Nebenrollen. Und die Kölner Inszenierung des Nachwuchsregisseurs Johannes Erath hat dieses Elixier noch einmal destilliert, um die humane Essenz des Stücks zu präsentieren.

    "Wandelst Du mit leisen Schritten, Eurydike, holder Schatten, noch durch diesen Hain."

    Der Trauergesang des Chores zu Beginn über die tote Eurydike ist bei Erath die Trauer des Orpheus selbst. Der Hass der Furien am Eingang der Unterwelt ist der Hass und der Streit zwischen Paaren und findet wohl mehr in Orpheus' Kopf statt, als in Wirklichkeit. Wie auch Amor, der Orpheus ermutigt, die Unterwelt mit seinem Gesang zu bezirzen, die Stimme in ihm selbst ist, seine Liebe zu Eurydike, die ihn darin bestärkt, seine von ihm getrennte Frau nicht verloren zu geben.

    So lässt Regisseur Johannes Erath diesen Amor im selben Kostüm, wie Orpheus es trägt, auftreten. Damit bietet die Inszenierung letztlich einen Blick in die Psyche des einen Protagonisten. Diese vollständige Entmythologisierung ist gut gelungen. Dazu trägt auch die Szenerie von Olaf Altmann bei. Sie arbeitet lediglich mit unterschiedlich intensiver Weißbeleuchtung und vermittelt durch bewegliche schwarze Wandflächen Stimmungen von Bedrückung, Verzweiflung, Todesfurcht und, wenn sie sich öffnen, Hoffnung und Weite.

    Orpheus: "Höre mich und folge Deinem Gatten!"

    Eurydike: "Eher will ich zu den Schatten als mit Dir zum Lichte gehen!"

    Orpheus: "Hab Mitleid!"

    Eurydike: "Lass mich in Frieden!"

    Die Diskussion zwischen Orpheus und Eurydike ist bei Erath ein klassisches Beziehungsdrama über Vertrauensforderung und Misstrauensbekundung. Jutta Böhnert sang die Eurydike mit jugendlich schlankem Sopran und fügte sich damit gut ein in die "historisch informierte" Interpretation des Gürzenich Orchesters. Maria Gortsevskaya verlieh dem Orpheus mit dem Samt ihres Mezzosoprans die rechte androgyne Färbung, aber für die Alte Musik hat ihre Stimme einen zu dramatischen Charakter.

    "Wo soll ich tun ohne dich, Eurydike? Wo soll ich hin ohne Dich, meine Liebste?"

    Auch das Orchester wusste zwar, was sein Dirigent Konrad Junghänel, Spezialist fürs 18. Jahrhundert, wollte, vermochte sich aber nur in die Richtung des Ziels zu bewegen. Darum konnte die Oper bei der Premiere auch nicht ihren ganzen Sog zu entfalten. Auch wenn Johannes Erath mit seinem Schlussbild versuchte aufzutrumpfen. Beim von Gluck künstlich aufgesetzten "glücklichen Ende", sinken Barockkostüme herab, mit denen sich die Gesellschaft verkleidet und so tut, als sei alles wieder bestens. Für die Kölner Oper, die jahrelang darniederlag, ist mit diesem "Orpheus" zwar nicht wieder alles in Ordnung, aber das Haus ist nach der zweiten Produktion in der neuen Spielzeit auf gutem Wege.