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Liebe bis das Blut spritzt

Bedrohlich nach "Konzept" sieht das aus und hört sich das an zu Beginn – das ganze Ensemble ist wie bei der "Reise nach Jerusalem" auf Stühlen positioniert zwischen einem Teil des Publikums, das auf einer Empore die Bühne selbst bevölkert, und dem anderen, größeren Teil, also uns im Saal; Musiker werfen dazu die Instrumente an, und auch das Ensemble, alle wie ein Orchester in schwarz-weißer Abendgarderobe, "macht" nun Sounds, mit Händen und Fingern auf Mikrofone trommelnd oder atmend und raunend und röchelnd, bis ein Orkan, ein Gewitter, ein Schlachtgetümmel daraus wird.

Von Michael Laages |
    Derart abstrakt lässt Roger Vontobel Kleists "Penthesilea" beginnen; und unabsehbar ist damit zu Beginn, wie er so den ziemlich komplizierten Kern der antiken Fabel zu fassen bekommen will: das männlich-weiblich-kriegerische Wechselspiel nämlich aus Selbstüberhebung und Unterwerfung, Hingabe und Mord. Weil sie sich verraten fühlt vom eigentlich geliebten Kriegsgegner Achill, zerfleischt sie ihn, mit Bluthunden und höchstpersönlich, frisst ihn quasi auf; dabei war doch auch er ihr entgegen gegangen, unbewaffnet und in-dem er alle Sicherheit in der Gemeinschaft griechischer Krieger zurück gelassen, alles, was bisher ihm wichtig war, aufgegeben hatte. Lieben bis aufs Blut – erstaunlicherweise setzt diese Fabel sich schließlich doch noch durch.

    Denn Vontobel hat dem Klassiker mit dem Hamburger Ensemble und zunächst für Recklinghausen ja nicht nur die Orchesterprobe zu Beginn verpasst; in der Folge verwandeln sich vier Stück Mann und fünf Stück Frau jeweils in lärmige Jugendgangs, die jede für sich Initiationsrituale durchspielen – "Who is the Queen?" grölen etwa die Mädels zu Lob und Preis der Amazonenkönigin Penthesilea, und wie unentwegt an die eigene Brust trommelnd machen die Jungs sich selber und einander Mut für den Kampf. Das Kollektiv gibt die Taktzahl vor, getrieben von den intellektuell-ideologischen Führerpersönlichkeiten: von Odysseus auf der einen Seite, dem Trickser mit dem Killerinstinkt, und der amazonischen Oberpriesterin, die mit der großen, selbst in Hamburg viel zu wenig wahrgenommenen "grande dame" Marlen Diekhoff zeitweilig beinahe zum Mittelpunkt der Aufführung wird. Mehr und mehr aber fallen die beiden Helden aus dem Rahmen – Achilles, bei Markus John schon sehr kriegs- und leidensmüde, ist es zunehmend wurscht, was sein Chef-Stratege Odysseus oder was diese ganz blutige Schnapsidee des Kriegs um Troja von ihm fordert; Penthesilea, reizbar und erregt, herrisch und kindisch im Bild von Jana Schulz, Vontobels langjähriger Hamburger Muse, mag sich schon fast nicht mehr an die Regeln ihres Weibervolks halten – und es braucht schon die Ahnung von Verrat, vom Verraten-Sein, bis sie zur blutsäuferischen Furie wird. Aber letztlich geht's gerade (und eigentlich nur!) darum – wo sich die beiden fast schon Liebenden tatsächlich finden, im amzonischen Liebesfest vor ulkigen Bühnenblumen und in die Videokameras säuselnd, verliert auch Vontobels Inszenierung merklich an Energie.

    Das Schlachtfest selbst ist dann aber die mit Abstand stärkste Pointe. Achill wandert da, mit der inklusive Publikum sich drehenden Bühne, nach hinten, zur Geliebten mit den Hunden; dann hält die Bühne an, nur einen Moment – und mit weiterer Drehung kommt die von Blut triefende Amazonenkönigin zurück. Die ausführlichen Botenberichte, zu Beginn Teil auch des Vorspiels im und mit Orchester, hat Vontobel so auf beinahe beiläufige Art in brillante Bild-Ideen gefügt. Überhaupt: dieser ja immer noch junge Regisseur, vor Jahren weithin als Senkrechtstarter bejubelt, dann allerdings auch mit allerhand überhitztem Schnickschnack, mit reichlich Jux und Dollerei der platteren Art eher unangenehm aufgefallen, findet mittlerweile eine merklich klarere Handschrift – kurz zuvor und grandios für Schillers "Don Carlos" in Dresden, jetzt prinzipiell überzeugend für Kleists "Penthesilea".

    Gut zu wissen, dass da einer noch nicht verloren ging in den Moden des Marktes.