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Liebe in der Klassengesellschaft

An der Berliner Schaubühne hat Hausregisseur Falk Richter seine Interpretation von Schillers Trauerspiel "Kabale und Liebe" auf die Bühne gebracht. Es ist die erste Schiller-Inszenierung des Hauses nach fast drei Jahren, der aber in ein paar Tagen eine zweite Schiller-Produktion, "Die Räuber", folgen wird. Berlin läuft sich warm zum 250. Geburtstag des Dichters im kommenden Jahr.

Von Hartmut Krug | 03.12.2008
    Als Thomas Mann kurz nach dem 1.Weltkrieg eine "Kabale und Liebe"-Inszenierung besuchte, erlebte er das bürgerliche Publikum in "eine Art revolutionäre Rage" versetzt. Heute hat es Schillers bürgerliches Trauerspiel über die an Standesschranken scheiternde Liebe zwischen der Hofmusikantentochter Luise und dem Präsidentensohn Ferdinand, das der 23jährige Dichter 1783 auf der Flucht vom Mannheimer Hof seines herzoglichen Dienstherrn in Bauerbach schrieb, eher schwer, ein Publikum in emotionale Aufregung zu versetzten. Wer heute das eher selten gespielte Stück inszeniert, wagt viel: er muss eine Form für die sinnlich aufgesteigerte, heftig hochfahrende Sprache Schillers finden und muss, wenn er das Stück aus seiner alten Zeit in unsere moderne Gesellschaft holt, sehr genau entscheiden, was er an die Stelle von Schillers Absolutismuskritik setzt.

    Vor einigen Jahren hat Michael Thalheimer das Stück in Hamburg als eine Geschichte des Scheiterns inszeniert, in der alle nur an ihre eigene Selbstverwirklichung dachten, während Günther Gerstner Schillers Figuren am Berliner Maxim Gorki in die Berliner Nachwende-Aufbaujahre verpflanzte. Falk Richter dagegen aktualisiert das Stück nicht, sondern er stellt es auf dem Theater in aller Unentschiedenheit mit modernen Theatermitteln im zeitlosen Heute aus. Alex Harb hat ihm dafür eine Bühne wie für ein Rockkonzert gebaut: ein von unten beleuchteter Plexiglasboden, schwarze Wände mit einem Windrad und einer schmalen Leinwand, auf der anfangs das Liebespaar bei zungenspielerischen Liebkosungen zu sehen ist. Später wird die Leinwand für platte politische Anspielungen genutzt: da steigen Militärhubschrauber auf, Cowboys reiten, Munition detoniert, Präsident Walter ist dräuender Beobachter und Kristall-Lüster schwingen bedrohlich .

    Die jungen Liebenden spielen und sprechen zwar mit intensiver Einfühlung Schiller, und wenn Ihnen etwas besonders wichtig ist, nutzen sie eines der beiden Mikrophone, doch zugleich halten sie sich und uns mit einer demonstrierenden Spielweise die Geschichte und alle Emotionen vom Leibe. In dieser Inszenierung ist alles Handwerk, gutes Handwerk. Es ist einer dieser sauberen Theaterabende, über die man sich weder ereifern, für die man sich aber auch nicht begeistern kann. Dass es auch heute noch gesellschaftliche Regeln gibt, die jungen Leuten selbst bestimmte Liebesbeziehungen schwer macht, ist im sozial und ethnisch bunt gemischten Berlin eine Binsenweisheit. Wer Schillers "Kabale und Liebe" in dieser Stadt inszeniert, müsste tief in Figuren und Strukturen schauen. Doch Falk Richter neutralisiert die alte Geschichte fast, indem er sie in eindreiviertel Stunden nur nacherzählt. So schaut man Judith Rosmair, die ihre Lady Milford sehr lebhaft als leblose Theaterfigur spielt, aber auch Jörg Hartmanns Präsident im Zweireiher mit Einstecktuch und Robert Beyers zurückhaltenden Wurm mit weitgehend interesselosem Wohlgefallen zu.

    Für die tieferen Emotionen sind ohnehin die Musiker auf der Bühne zuständig: je leidenschaftlicher die Personen leiden, desto heftiger schrammeln der Bassgitarrist und die fünf Elektro-Cellistinnen:

    Falk Richters Inszenierung wirkt einerseits wie ausgenüchtert, andererseits sucht sie mit heftigen äußeren Effekten zu punkten. Da ohrfeigt Ferdinand seinen Vater, oder, wenn Luise von ihm verlangt, der Liebe zu entsagen, zertrümmert und zertritt er sein Cello und bricht den Bühnenboden auf (Achtung, Metapher). Wenn Lady Milford vor Ferdinand ihr Seelenleben offenbart, macht ihn das so an, dass er sich mit ihr in heftiger Sexualakrobatik auf dem Boden kugelt, bis er zwischen den Küssen endlich sein Geständnis loswird, er liebe eine Bürgerliche. Mit der, mit Luise also, kugelt er anschließend genauso über den Boden, bis sie mit der Forderung nach Entsagung Halt sagt.

    Zum Showdown tritt Ferdinand mit schwarzen Stiefeln, Weste und Halstuch wie ein Wiedergänger von Gary Cooper aus "High Noon" auf, doch die Auseinandersetzung mit dem Vater spielt gegenüber dem Leid über den gemeinsamen Liebestod mit Luise kaum eine Rolle. Das Paar liegt sterbend aufeinander, und die Elektrocellos dröhnen bis zum Black. Dann ist alles vorbei und man weiß nicht recht, was uns diese Inszenierung letztlich erzählen wollte.