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Liebe, Krieg, Flucht

Wenn ein Opernhaus heute seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen will, dann setzt es die "Trojaner” von Hector Berlioz auf den Spielplan. Der erste Teil der Oper handelt von der Seherin Kassandra, die den Untergang Trojas vorhersagt. Und der zweite Teil erzählt dann die tragische Liebesgeschichte zwischen Äneas und Dido, der Herrscherin von Karthago. Am Musiktheater im Revier wurde das Werk an einem Tag aufgeführt, von 15 Uhr bis 20.45 Uhr.

Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: War das gesamte Werk zu sehen oder wurde gekürzt?

    Jörn Florian Fuchs: Das Werk ist vollständig aufgeführt worden, und da muss man natürlich erstmal sagen, Chapeau an das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. Von der musikalischen und auch von der Sängerseite her war das wirklich exzellent, und es war wohl auch die größte und aufwendigste Produktion, die es an diesem Haus je gab.

    Schäfer-Noske: Christof Loy hat ja in Düsseldorf und in Duisburg vor zwei Jahren einen politischen Ansatz gewählt und das Werk ins 20. Jahrhundert verlegt. Da waren Bühnenbild und Kostüme so, dass sie mal an den Balkankrieg, mal an die Nazizeit oder an sozialistische Systeme erinnerten. Welchen Regieansatz hatten denn Regisseur Andreas Baesler?

    Fuchs: Andreas Baesler schwimmt ein bisschen im Fahrwasser von Loy, allerdings, muss man sagen, doch wesentlich schwächer. Die Inszenierung insgesamt ist sehr durcheinander, ist ein Gemischtwarenladen. Im ersten Teil ist es so, dass die Kriegsthematik im Zentrum steht, also wir sehen einen großen Bunker, in dem das spielt. Hinten ist ein Stahltor, und wenn dieses Tor sich öffnet, dann sieht man auf einen verbrannten Wald. Es liegen dann überall Trümmer herum, und die Trojaner, die auftreten, sind von den Kostümen, aber auch von den Waffen, die sie mit sich führen, erinnern die sowohl an Soldaten aus dem Ersten wie aus dem Zweiten Weltkrieg, also offensichtlich werden da die beiden Weltkriege vermischt. Die Seherin Kassandra taucht dann auf als Krankenschwester, was insofern zwar folgerichtig ist, aber natürlich diese mythische Figur und auch die Tragik dieser Figur einfach verkleinert, so habe ich es zumindest empfunden. Und der zweite Aspekt ist dann, dass es eine unglaublich pathetische Herangehensweise gibt in dieser Inszenierung, im ersten Teil, gerade bei Kassandra, die veranstaltet also ein unglaublich pathetisches Zinnober, muss man fast sagen, und gegen Ende des ersten Teils, als dann das trojanische Pferd einzieht, da wird es allerdings dann fast operettenhaft komisch und auch ironisch, denn da kommt als trojanisches Pferd ein großer Plastikpanzer mit Tarnzeug drum herum und einigen Blumen und sehr wackeligen Gewehren an den Seiten heran. Im zweiten Teil des Abends gibt es dann einen szenischen Bruch.

    Schäfer-Noske: Wie hat Andreas Baesler denn den szenischen Bruch im zweiten Teil umgesetzt auf der Bühne?

    Fuchs: Ja, da haben wir so etwas wie einen Sonnenblumenstaat, kann man fast sagen. Es taucht auf das Volk, die haben alle Porträtfotos von Dido mit einer Sonnenblume an der Seite, und dann kommt Dido, wie eine Diva erscheint sie im schwarzen Samtkleid, im Abendkleid, und bekommt erstmal Sonnenblumen gereicht, und das ganze spielt in einem hellweißen Salon mit Jalousien, die dann gelegentlich heruntergelassen werden und eine sehr intime Atmosphäre ermöglichen. Das Ganze ist von der Ästhetik très chic, kann man sagen, und wird ab und zu gebrochen durch ein paar Zoten, durch ein paar Albernheiten, manchmal auch durch Humor im positiven Sinne, und es kommen einige Revue-Elemente dann rein. Allerdings ist es mir ein bisschen zu operettenhaft dann manchmal und nimmt eben auch von der Ernsthaftigkeit und der Tragik einiges.

    Schäfer-Noske: Ein Kraftakt sind die Trojaner ja auch und vor allem für die Sänger und für den Chor, der spielt auch eine ganz wichtige Rolle. Wie haben denn Sänger und eben auch der Chor als Ganzes ihre Aufgabe gemeistert?

    Fuchs: Also dass vor allen Dingen der zweite Teil des Abends dann von der musikalischen Seite her gelungen war und einfach, ja, etwas Starkes vermittelt hat, lag vor allen Dingen an der unglaublichen Präsenz und der Kraft von Anke Sieloff als Dido, die wirklich alle Freuden und auch Schrecken dieser ganz extremen, exzessiven Liebe zu Aeneas körperlich wie stimmlich durchlebt hat. Dann gab es, ausgezeichnet im ersten Teil noch, Kassandra. Anna Agathonos hat die gesungen, die war sehr prägnant, sehr gut, auch Kassandras Verlobter Jee-Hyun Kim hat diese Partie sehr exzellent gesungen. Insgesamt, die Sängerbesetzung ziemlich gut. Vom Chor her, der Chor war sehr genau, sehr präzise einstudiert, und das Dirigat, muss ich sagen, hat mir doch sehr gut gefallen. Die Neue Philharmonie Westfalen wurde ja geleitet von Samuel Bächli, und der hat das doch mit Schmackes, kann man sagen, und vor allem im zweiten Teil sehr, sehr festlich, an manchen Stellen heiter dirigiert, und zugleich ist man sehr präzise im Orchester, und deswegen finde ich es persönlich besonders schade, dass man eben die Chance hier vertan hat, dieses Riesenwerk von einem vielleicht etwas konzentrierter arbeitenden Regisseur inszenieren zu lassen.