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Liebe, Sex und Lebenslügen

Stefan Pucher hat die "Die Katze auf dem heißen Blechdach" in Zürich erstaunlich psychologisch inszeniert. Es geht weniger um den todkranken Big Daddy, sondern vor allem um den schwulen Sohn und dessen liebesbedürftige Gattin.

Von Christian Gampert | 23.02.2013
    Der Hinweis ist relativ gut versteckt, aber er funktioniert dann doch: als der vom Leben angeekelte Brick, der saufende, schwule Lieblingssohn, mit seinem Big Daddy zum finalen Gespräch antritt, da hat er eine Mundharmonika in der Hand und quietscht manchmal auf ihr herum. Es ist nicht nur Bob Dylan, der hier schon mal als Revoluzzer gegen die versteinerten amerikanischen Verhältnisse zitiert wird, es ist auch Sergio Leones Junge mit der Mundharmonika.

    Denn natürlich ist Tennessee Williams' Stück nicht nur eine Familienaufstellung; seine Grundmelodie heißt auch: Spiel mir das Lied vom Tod. Big Daddy wird an Darmkrebs sterben und lügt sich in die Tasche, und sein Sohn Brick ist seit Jahren scheintot, alkoholabhängig, depressiv und liebeskrank. Stefan Pucher packt das konsequent in ein 50er-Jahre-Ambiente, vom Fernseher und blöden rosa Plissée-Kleidern bis zu den Posen des todessüchtigen James Dean, die der - zunächst als reiner Körperpräsentator agierende - Brick des Markus Scheumann erstaunlich gut drauf hat. Und diese Gelangweiltheit, diese Gleichgültigkeit muß man erstmal hinkriegen …

    Man sollte sich von der im Hinterkopf immer spukenden Verfilmung des Stoffs (mit Paul Newman und Elizabeth Taylor) völlig freimachen, will man dieser Aufführung einigermaßen gerecht werden. Denn die großartige Julia Jentsch als Bricks Frau Maggie macht natürlich nicht das vitale Taylor-Vollweib, sondern ist ganz hingeräkelte Laszivität, wirklich eine Katze:

    "Jaaaah … Sie sehen mir noch immer nach, Brick. Und sie mögen das, was sie sehen. Mmmmmhh! Einige würden alles dafür geben …"

    Es gibt also Sex in Zürich, eigentlich erstaunlich, es gibt Rock 'n' Roll (die Nachfahren des Elvis Presley kommen bei Stefan Pucher musikalisch ausführlich zu Wort), es gibt Drogen: Brick säuft, bis es Klick macht in seinem Kopf. Und es gibt Filme, die leider meist nur Hintergrundtapete sind, während die Musik von "Taxi Driver" bedrohlich dräut.

    Eigentlich ist also der Weg bereitet für ein Psychodrama der amerikanischen Seele und der bürgerlichen Südstaaten-Familie – aber es kommt dann nicht ganz dazu. Das liegt vor allem daran, dass Pucher die Rolle des Big Daddy an den schlaksigen Jean-Pierre Cornu gegeben hat, der von Haus aus eher Komiker ist; eine interessante Gegenbesetzung, aber auch keine Figur, an der man sich als Sohn reiben kann. Cornu macht aus dem Vater eine windschiefe, irgendwie beleidigte Gestalt, die dem geliebten Sohn hinterherläuft - der ihn gekonnt abblitzen lässt.

    Der Rest ist virtuose Staffage. Bricks angepasster Bruder Gooper und seine dauerschwangere Frau Mae kommen direkt aus der Familienserie – allerdings zeigt Tabea Bettin als Mae auch sehr schön, was es kostet, immer brav zu sein und ums Erbe zu schleichen. Die Kinder sind nette Engelein, Big Mama ist bei Friederike Wagner der übliche Drache und so bleibt als Kern der Aufführung der Konflikt zwischen Brick, der schwul ist und das nicht zugeben kann, und seiner Frau Maggie, die ihn begehrt und ein Kind von ihm will.

    Die Tragik, die in dieser Beziehung steckt, wird von dem in die Jahre gekommenen Rock 'n' Roller Stefan Pucher immer wieder präzise mit Live-Musik (von den Sonics bis Bob Dylan) ausstaffiert, aber auch psychologisch sehr gut ausgemalt. Nur vordergründig geht es darum, Big Daddy einen Erben zu schenken. Es geht um zwei Leute, die miteinander leben, aber nicht füreinander gemacht sind. Und es ist wieder Julia Jentsch, die die Vorleistungen bringt, die den ganz wächsern spielenden Markus Scheumann nach Hause holen will:

    Brick: "Ich wär froh, wenn du endlich einen Liebhaber hättest."

    Maggie: "Nein, da bleib ich lieber auf dem heißen Blechdach!"

    Brick: "Ziemlich ungemütlicher Aufenthaltsort."

    Maggie: "Allerdings! Aber ich kann draufbleiben, so lange ich muss!"

    Der sportverletzte Brick, der an die reine, die körperlose Liebe glaubt, hat einen latexbandagierten Fuß und hinkt wie Heiner Müllers Philoktet durch die Szene. Die faulige Südstaaten-Depression wird durch einen wimmernden, Ry-Cooder-ähnlichen Sound hergestellt. Es wird aber auch viel Konversation gemacht, bevor die Aufführung in die Abgründe der Verzweiflung taucht; das ist streckenweise sehr konventionell gespielt. Stefan Pucher kommt am Ende im Anzug auf die Bühne. Ja, das Alter hat seinen Preis …