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Liebe, Tod und DAX

Zum heutigen Welttheatertag hat der Opernregisseur Philipp Himmelmann betont, dass es im Musiktheater nicht um tagesaktuelle Dinge, sondern grundsätzliche Konflikte und Emotionen gehe. Die Oper sei etwas, was die Menschen auf einer tiefer liegenden Ebene erreiche. Die großen Themen wie Liebe und Tod seien unabhängig davon, wo der DAX gerade stehe, so Himmelmann.

Philipp Himmelmann im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Theater in Zeiten der Krise: Dieser 27. März ist der Welttheatertag. Diesen Jahrestag gibt es seit 1961 auf Anregung des Internationalen Theaterinstituts. In jedem Jahr wird eine internationale Botschaft zum Welttheatertag verfasst, die sich mit der Bedeutung und der Wirkung der Bühnenkunst beschäftigt. In diesem Jahr passte eigentlich Berthold Brechts "Dreigroschenoper" ganz gut. Wir wollen über das Theater sprechen, weiten den Blick allerdings Richtung Musiktheater. Am Telefon ist der Opernregisseur Philipp Himmelmann, der gerade in der Dresdener Semperoper Paul Hindemiths Werk "Cardillac" inszeniert hat. Guten Morgen!

    Philipp Himmelmann: Einen schönen guten Morgen.

    Heinemann: Herr Himmelmann, jedes Drama, auch jedes Musikdrama handelt von Krisen, von persönlichen oder gesellschaftlichen, von Verwerfungen und Verwechselungen. Passt sich die reale Welt der Bühnenwelt gerade an?

    Himmelmann: Na, das wollen wir mal nicht hoffen. Ich denke mal, dass das Theater schon immer etwas ist, Dinge zuzuspitzen und Konflikte zu zeigen, wie sie hoffentlich in der realen Welt nicht vorkommen. Das sollte weiterhin so sein.

    Heinemann: Liefert die reale Welt zurzeit die besseren Libretti?

    Himmelmann: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass gerade beim Musiktheater es ja nicht um tagesaktuelle Dinge geht, sondern es ja immer wieder um archaische oder grundsätzliche Konflikte oder Emotionen geht. Insofern eignet sich die Oper nicht unbedingt jetzt für tagesaktuelle Dinge, sondern es geht eher um grundsätzliche Emotionen und Konflikte.

    Heinemann: Das heißt, Sie inszenieren Oper in Zeiten großer Verunsicherung genauso wie vorher?

    Himmelmann: Ja, absolut. Ich finde, es ist wichtig, dass gerade Oper etwas ist, was die Menschen erreicht, auf einer tiefer liegenden Ebene, als jetzt unbedingt die tagesaktuelle Krisensituation hergibt, sondern so diese ganz großen Themen wie Liebe und Tod halt doch schon noch unabhängig davon sind, wie jetzt gerade der DAX steht.

    Heinemann: Für das klassische Bildungsbürgertum gehörte Theater, gehört Oper zum Leben wie die Luft zum Atmen. Der Wahlspruch der heutigen Mittelschicht lautet: Geiz ist geil. Was bedeutet das für Theater oder Musiktheater?

    Himmelmann: Ja, das ist eine ganz gefährliche Tendenz und eine schreckliche Tendenz, die sich aber hoffentlich auch wieder umkehren lässt, aber ich glaube eben nur nachhaltig umkehren lässt. Ich glaube nicht daran, wenn wir uns als Theaterleute diesen effekthascherischen, eventfokussierten Dingen zuwenden, dass wir da großen und nachhaltigen Erfolg haben werden, sondern ich glaube fest daran, dass gerade das Musiktheater ein Feld ist, das eine Möglichkeit gibt, ganz, ganz tief gehende Dinge zu berühren, und dazu gehört natürlich etwas wie Bildung. Ein Kanon, ein natürlich ehemals vereinbarter Kanon von Kunstproduktion und Kunstrezeption, der ist ein bisschen verloren gegangen. Ich kann mir aber vorstellen, dass die "Geiz ist geil"-Generation am Ende des Tages doch auch feststellen wird, dass der Geiz allein nicht so geil war, sondern eher ein bisschen öd und ein bisschen traurig stimmte, und vielleicht ist da auch Musiktheater dann wieder da, um über sich selber nachzudenken, Gefühle in sich selber zu entdecken, die man gerade im Geiz weggedrängt hatte.

    Heinemann: Herr Himmelmann, Paul Hindemiths "Cardillac" beginnt mit einer Mordserie. Alle Opfer haben kurz vor ihrem Tod ein Schmuckstück bei einem angesehenen Pariser Goldschmied, eben bei Cardillac, gekauft. So könnte auch ein Film am Sonntagabend um 20:15 Uhr im Fernsehen beginnen. Worin unterscheidet sich Hindemiths "Cardillac" vom ARD-Tatort?

    Himmelmann: Ganz deutlich dadurch, dass wir einmal eine musikalische Ausschreitung eines Themas haben und eben nicht auf Action bezogene Beleuchtung haben. Es ist etwas, was eben Musiktheater doch sehr, sehr deutlich von allen anderen Medien unterscheidet, und was auch wirklich grundsätzlich der große Vorteil von Oper oder Musiktheater ist. Sie verzieht sich ganz anders in der Zeit. Durch die Musik und durch das Libretto sind ganz andere auch künstliche Ebenen gereicht, die in so einem Tatort-Thriller eigentlich gar nicht angestrebt sind. Und das, was das Tolle ist: man lotet bei einem "Cardillac" eher ein seelisches Porträt aus oder auch ein Verhältnis von Künstler oder Genie oder auch wahnsinnigem Verhältnis zur Gesellschaft und nimmt dafür eine ganz andere emotionale Zeit. Die Vereinbarung zwischen Zuschauer und Produzierenden, sich für diese zwei Stunden zusammenzusetzen und das Live-Erlebnis direkt auszuleben, ist was vollkommen anderes als ein Film, der natürlich mit Schnitten und mit einer anderen Erzählweise - jeder kennt das - vorgeht. Bei uns geht es eher darum, weg von der äußeren Handlung, die sicher interessant und spannend und wichtig ist, eher zu emotionalen Zuständen zu kommen und die in der Musik lebendig zu machen.

    Heinemann: Sie haben das Wort "Action" genannt. Wie bekommt man junge Leute in die Oper?

    Himmelmann: Ich glaube auch nur durch nachhaltiges Lernen und durch nachhaltiges Verliebtmachen in Musik. Ich glaube, dass es ein ganz großer Fehler der letzten 20, 30 Jahre war, dass Musik an sich keinen großen Stellenwert mehr hatte in der Bildung und dass das aber von vielen doch jetzt auch wieder erkannt wird, und ich glaube, dass es ganz wichtig ist, eine echte Liebe von Jugendlichen zur Musik, welche Art von Musik auch immer es ist, wiederherzustellen und auszubauen. Das ist sicher ertragreicher, als jetzt nur mit äußerlichen Dingen auf die Jugendlichen zuzugehen. Auf der anderen Seite sind so Sachen, wie dass jetzt zum Beispiel aus der "Tosca"-Inszenierung in Bregenz eine große Sequenz im neuen Bond vorkommt, etwas, was die Leute vielleicht auch mal wieder an die Oper zurückbringt.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit dem Opernregisseur Philipp Himmelmann. - Wenn Sie inszenieren, dann haben Sie eine Partitur, Sie haben die Musik, Sie haben den Text, eine Liste mit Sängerinnen und Sängern, ein Budget. Wie machen Sie aus diesen Zutaten ein Musiktheater?

    Himmelmann: Der Hauptangelpunkt, der Hauptorientierungspunkt ist die Partitur. Von der geht wirklich alles aus. Das heißt, es gibt einen Trialog sozusagen zwischen Text, geschriebener Musik und den Machenden und dieser Trialog findet eigentlich durchgängig statt. Es ist so, dass man sich im Vorfeld mit dem Ausstattungsteam zunächst einmal und dem Dirigenten vereinbart, welche Richtung die ganze Erzählweise nehmen soll. Ich finde es auch wichtig, dass jede Partitur einen eigenen Blick verdient, eine eigene Art, auf die Partitur zuzugehen. Dieses - das ist ungefähr ein Jahr vor einer Premiere - wird dann vertieft durch die Arbeit mit den Sängern vor Ort. Aber der erste Schritt ist tatsächlich dieses Entwickeln oder Kreieren eines eigenen theatralischen Raumes, einer eigenen theatralischen Wirklichkeit. Das findet sehr, sehr früh schon statt, und dann geht es weiter mit einer Arbeit, halt sechs Wochen vor der eigentlichen Premiere, mit der konkreten szenischen Arbeit mit den Sängern.

    Heinemann: Herr Himmelmann, genau! Apropos Sänger: Die Zeiten sollten vorbei sein, in denen sich ein Sänger an die Rampe der Bühne stellt und zur Arie abhebt. Wie verwandeln Sie Sänger in Schauspieler?

    Himmelmann: Das ist zum Glück sehr, sehr viel besser geworden als noch vor 20 Jahren. Es ist schon so, dass auch junge Sänger heute sehr motiviert von der Ausbildung her und von der eigenen Haltung her doch sehr, sehr viel mehr Akteure geworden sind, die moderne Menschen geworden sind, die auch die moderne Darstellungsform durchaus beherrschen. Es ist durchaus so, dass Sänger mittlerweile nicht die besseren, aber durchaus sehr, sehr gute Darsteller geworden sind. Allerdings gibt es da schon noch einiges zu tun. Es ist schon so: Das fängt bei der Sprache an. Viele Sänger haben immer noch Probleme mit den verschiedenen Fremdsprachen. Die wirklich zu beherrschen, als Darsteller zu beherrschen - das ist immer noch ein Thema. Und dann brauchen sie einfach Zeit, und sie brauchen sehr viel Erfahrung, und sie brauchen halt diesen Übergang von Hochschule, die das zum Teil leisten kann, und den Weg über die kleineren und mittleren Bühnen dann zu größeren Bühnen. Ich glaube, das ist immer erst mal eine Frage der inneren Einstellung, aber dann auch eine langsame Entwicklungszeit.

    Heinemann: Herr Himmelmann, es gibt Menschen, die empfinden Politik oder den Politikbetrieb als Schauspiel. Ich weiß nicht, ob Sie sich gelegentlich die Gegenwart als Musiktheater vorstellen. Welche Rollen fielen Ihnen für Angela Merkel oder Frank-Walter Steinmeier ein?

    Himmelmann: Oh, da bin ich ganz froh, dass mir dazu gar nichts einfällt, denn ich denke, dass die Rollen, die jetzt dort zur Verfügung stehen, das gibt es im Opernbetrieb so nicht. Es fehlt den beiden Genannten natürlich auch so die dämonische Kraft, die großen Politikern auf der Opernbühne eigentlich zueigen ist. Darüber bin ich aber auch ganz froh. Ich finde es ganz gut, dass es eine Trennung gibt zwischen dem Musiktheatergewerbe und der Politik.

    Heinemann: Der Opernregisseur Philipp Himmelmann in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk und zum Schluss ein Dreiakter: erstens danke schön für das Gespräch, zweitens gute Besserung - Sie führen dieses Gespräch vom Krankenhausbett aus - und drittens auf Wiederhören.

    Himmelmann: Auf Wiederhören.