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Liebe und Rivalität

Dresden umgibt sich mit historischer Kulisse: Nostalgie als Elixier der Tourismus-Förderung ist Trumpf. Das Musiktheater, Herzstück der Fremdenverkehrs-Attraktionen, will da nicht nachstehen: Die Oper "Cleofide" zum Beispiel, eines der ureigensten Produkte Dresdens.

Von Frieder Reininghaus |
    Hasse nun also als Überraschungs-Ei zu Ostern und nicht mehr bloß Händel, der ja in den letzten Jahren landein und landaus verschärft für ein von musikalischer Eingängigkeit getragenes schaulustiges Entertainment in Beschlag genommen wurde: Johann Adolf Hasse, der – nach Meinung von Jean-Jacques Rousseau – in der Mitte des 18. Jahrhunderts die Dresdner Hofkapelle zum "vollkommensten Orchester Europas" formte.
    Selbst nach dem Urteil des feinöhrigen Kritikers Christian Friedrich Daniel Schubart leistete der "caro saxone" [1] vorbildliche Opernarbeit: Auf raschen Verschleiß hin angelegt und nicht so zukunftsweisend waren seine Arbeiten - im Gegensatz zu manchem, was im Umkreis der pfalz-bayerischen Kapelle von Mannheim/Schwetzingen und dann München entstand.
    Hinsichtlich der international tonangebenden italienischen Schreibweisen jener Tage - also des gängigen europäischen Standards - bewegte sich Hasse durchaus auf der Höhe der Zeit. Seine Musik, diese Meterware und Möblierungskunst einer versunkenen Epoche, stellte unter den beredten Händen von Alessandro De Marchi neuerlich ihre hohe Konsensfähigkeit unter Beweis: hurtig und quirlig werden die da-capo-Arien mit ihren obligatorischen Rouladen unterlegt; Jagdhorn und Trompete sorgen für gebührenden Glanz und Lauten-Auszierungen ebenso für feinsinnige Differenzierung an verschiedenen Übergängen wie die ausgekosteten Seufzer.

    Neben dem mit seiner tuba mirum bestechenden David Cordier, einem Spitzen-Counter in der Partie des auf Welteroberung ausgezogenen Mazedonier-Fürsten, machte dessen indischer Gegenspieler Poro keine gute Figur – weder historisch betrachtet als Kriegsherr noch stimmlich als fortdauernd eifersüchtiger Looser - Axel Köhlers Stimme und Outfit möchte wohl einen erkälteten Klempner beglaubigen, nie im Leben einen Maharadscha. Da kann man sich Maria Bayo schon eher als Kolonialoffiziersgattin vorstellen - energisch und wetterfühlig.
    Den Anflug von Dialektik, den Michelangelo Boccardis Libretto wahrte, trieb die Regisseurin Karoline Gruber aus: mit allem Feldherrlichen kann sie so wenig anfangen wie mit der barocken Huld- und Güte-Ration, durch welche die grausame Geschichte der Antike transformiert und begütigt wurde.

    Die Regisseurin fällt wohl schon unter die Opfer einer nur bis Pisa bemessenen Bildung - Alexanders Welt liegt jenseits des Horizonts. Also geht es auf einer mit Waffen, Feldzeichen, Sitzecke und Esstischen übererfüllten Bühne zu wie bei Hempels hinterm Sofa: Kleinbürger glotzen uns an und sollen wohl große Gefühle unterlaufen. So geraten die Aufheiterungsversuche zum wahren Trauerspiel. Die angesichts des Aufstiegs und Falls von Weltreichen nahe liegende Frage, wer die Spesen zahlt, unterbleibt. Nun gut: es handelte sich um eine Gemeinschaftsveranstaltung von DaimlerChrysler und Semper-Oper.