Birke: Herr Decker, bleiben wir mal ganz kurz noch bei der Ausweitung der Bannmeile: Ist das rechtlich durchhaltbar, wenn denn zum Beispiel der Bundestag sitzungsfrei hat, gäbe es doch keinen Grund dafür, dort nicht doch dann Demonstrationen abhalten zu lassen.
Decker: Das ist in der Tat ein rechtliches Problem. Bannmeile bedeutet ja nur die eigentlichen Regierungsinstitutionen, das Parlament, zu schützen. Das ist im Grunde nur die Zufälligkeit der Nähe des Brandenburger Tors und des Holocaust-Mahnmals, die nun dazu führt, dass man diese Möglichkeit diskutiert. Und darüber hinaus muss man natürlich sehen: Ein solches Verbot würde alle treffen. Das kann ja nicht sein, dass das je nach Gesinnung dann unterschiedlich gehandhabt wird. Man würde also generell die Demonstrationsmöglichkeit einschränken. Und das ist sicherlich problematisch.
Birke: Interpretiere ich Sie richtig, Herr Professor Decker, dass Sie auch grundsätzlich Bedenken gegen die Ausweitung des Tatbestandes der Volksverhetzung haben, das heißt, Sie sind der Meinung, dass das vorhandene Instrumentarium eigentlich ausreicht?
Decker: Ganz richtig. Und ich glaube, dass man mit dieser Diskussion, die jetzt vielleicht sogar ohne Not im Vorfeld der schleswig-holsteinischen Wahl den Rechtsextremen im Zweifel nützt, dass man von den eigentlichen Problemen ablenkt. Es mangelt in der Bundesrepublik nicht an rechtsstaatlichen Möglichkeiten. Es mangelt hierzulande auch nicht an sozialer Repression. Der Rechtsextremismus ist stigmatisiert und das ist ja auch gut so. Aber wir müssen uns natürlich mit diesen Problemen grundsätzlicher auseinander setzen. Und ich glaube, die Politik hat hier auch aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt. Stichwort gescheitertes NPD-Verbotsverfahren. Man hat so den Eindruck, hier soll dann durch Aktivismus, auch durch symbolische Politik, abgelenkt werden von den eigentlichen, ja tiefer gehenden Ursachen des Rechtsextremismus’.
Birke: Mangelt es an Durchsetzungsfähigkeit, zum einen, und mangelt es an Konzepten in einer Strategie gegen den Rechtsextremismus auf politischer Ebene, andererseits?
Decker: Es mangelt sicherlich auch an Konzepten. Man hat ja gesehen, dass auch die etablierten Parteien relativ hilflos, unbeholfen reagiert haben auch auf die Provokationen der NPD. Zum ersten Mal haben wir hier die Situation, dass wir es mit geschulten politischen Kadern zu tun haben, deren Provokationen gezielt sind, die sich dann nicht so leicht diskreditieren durch Unprofessionalität wie zum Beispiel die DVU-Abgeordneten in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg. Und darauf waren die etablierten Parteien nicht vorbereitet. Also man braucht auch eine politische Bekämpfungsstrategie, bei der man sich nicht wegduckt, auf der einen Seite, also die Auseinandersetzung offensiv angeht, den Rechtsextremisten entgegentritt. Auf der anderen Seite darf man aber auch nicht in Hysterie verfallen, weil man dadurch ja die Rechtsextremen ohne Not aufwertet. Das gilt im Übrigen auch für die Medien. Die sollen das nicht verschweigen, wenn es solche Entgleisungen, solche Tabubrüche gibt. Aber sie sollen dem auch nicht zusätzliche Aufmerksamkeit schenken, weil es im Zweifel eben nur die Rechtsextremen hochzieht.
Birke: Nun, Herr Decker, wir haben gerade gehört, in der Bundestagsdebatte hat ja auch der 8. Mai noch einmal eine Rolle gespielt. Man hat Angst, dass hier Neonazis durchs Brandenburger Tor marschieren könnten, und dass das dem Image Deutschlands schaden könnte in der Welt. Nun hatten wir ja auch Befürchtungen im Vorfeld des Jahrestags der Bombardierung von Dresden. War das denn ein Positiv-Beispiel wie man auch hier einer größeren Gruppe von rechtsextremistischen Demonstranten entgegentreten kann?
Decker: Ich denke, dass das ein sehr positives Beispiel war. Auf der einen Seite standen eben diese 5.000 Rechtsextremen, die im Grunde aus der ganzen Bundesrepublik herangekarrt werden mussten, auf der anderen Seite hat die Mehrheitsgesellschaft eben locker 50.000 Leute aufgebracht. Und das sind natürlich auch Signale ans Ausland. Aber wenn solche Bilder auch dann durch die Welt gehen mit Aufmärschen vor dem Brandenburger Tor, dann muss das die deutsche Demokratie vielleicht auch aushalten können, muss sie ertragen können. Sie muss ertragen können, dass eben Rechtsextremisten auch ihre hässliche Fratze zeigen. Man soll nicht relativieren. Aber ich glaube, der Hinweis, dass eben in anderen europäischen Ländern auch Rechtsextremismus sehr viel stärker eingesickert ist in der Gesellschaft – denken Sie nur an Frankreich, insbesondere Südfrankreich oder auch an Flandern – als in der Bundesrepublik, dies sollte uns doch auch hier helfen, das Problem etwas nüchterner zu betrachten. Von den Rechtsextremisten geht keine wirkliche Gefährdung der Demokratie aus. Und ich glaube auch, dass die Diskussion relativ schnell abflauen wird. Hoffentlich auch diese Diskussion um zusätzliche Repressionen, wenn eben dann auch im Zuge der geringer werdenden Proteststimmung dann vielleicht die NPD bei den nächsten Wahlen nicht mehr anknüpfen kann an das Ergebnis in Sachsen. Dafür gibt es ja gewisse Anzeichen jetzt schon in Schleswig-Holstein.
Birke: Herr Decker, abschließend noch ganz kurz die Frage, noch mal mit Blick auf den 8. Mai: Statt hier die Verschärfung des Versammlungsrechtes gesetzlich zu verankern, sollte man nicht einfach eine Riesen-Gegendemo oder eine Riesen-Demonstration der Gutwilligen abhalten?
Decker: Genau das wäre auch mein Vorschlag. Das hat man eben in Dresden gesehen, dass so etwas funktioniert und dazu ist die deutsche Gesellschaft auch in der Lage. Es gibt hier eine starke Stigmatisierung des Rechtsextremismus’. Also das, was wir in anderen Ländern beobachten, haben wir in Deutschland nicht, weil wir uns eben auch ganz gründlich auch mit dieser Vergangenheit auseinander gesetzt haben. Es gibt natürlich rechtsextremes Einstellungspotenzial in der Gesellschaft, es gibt Fremdenfeindlichkeit. Das verbindet sich da oder es wird aktuell aber immer nur auch in Verbindung mit aktuellen Proteststimmungen. Die sehe ich aber jetzt schon im Rückzug. Also ich glaube, wir brauchen uns da keine Sorgen zu machen. Aber das wäre eigentlich die richtige Antwort auf solche gezielten Provokationen.
