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Lieber einsam, statt gemeinsam

Seit sechs Jahren wütet eine mysteriöse Fledermausseuche im Osten der USA: das Weißnasensyndrom. Eine Pilzinfektion, die die Tiere aus dem Winterschlaf reißt und sie dann vor Entkräftung sterben lässt. Die ansonsten sehr gesellige Kleine Braune Fledermaus hat darauf reagiert: Die Tiere schlafen nicht mehr dicht gedrängt, sondern einzeln, und verhindern so, dass sich der Pilz weiterverbreitet.

Von Marieke Degen | 08.08.2012
    Eigentlich mag es Myotis lucifugus - auch Kleine Braune Fledermaus genannt - kuschlig: Die Tiere überwintern in der Gruppe, dicht an dicht hängen sie in Höhlen oder alten Minen, um sich gegenseitig zu wärmen. Wie alle Arten wird auch die Kleine Braune Fledermaus regelmäßig gezählt. Doch als die Biologen die letzten paar Male durch die Höhlen gestreift sind, bot sich ihnen ein ganz anderes Bild.

    "Seit das Weißnasen-Syndrom in den USA aufgetaucht ist und sich ausgebreitet hat, halten viele dieser Fledermäuse ihren Winterschlaf alleine. Und diese Verhaltensänderung führt offenbar dazu, dass nicht mehr so viele an der Pilzinfektion sterben."

    Kate Langwig ist Ökologin an der Universität von Kalifornien in Santa Cruz. Das Weißnasen-Syndrom ist eine Pilzinfektion, die seit sechs Jahren in den USA wütet. Der Pilz schlägt im Winter zu, wenn die Fledermäuse schlafen. Er befällt ihre Schnauzen und Flughäute und fängt an zu jucken. Die Tiere wachen immer wieder auf und flattern in der Höhle herum, bis sie irgendwann völlig entkräftet sterben. Kate Langwig hat untersucht, wie sich das Weißnasensyndrom auf die verschiedenen Fledermausarten auswirkt. Die Folgen sind verheerend.

    "Die Fledermauspopulationen im Osten der USA sind stark geschrumpft, manche sind sogar ganz ausgerottet."

    Dass die Populationen kleiner geworden sind, hat zumindest einen Vorteil. Der Pilz kann sich nicht mehr so schnell verbreiten. Je weniger Artgenossen es gibt, desto seltener stecken sich die Tiere an. Das macht sich schon bemerkbar, manche Fledermausarten sterben seltener am Weißnasensyndrom als früher. Allerdings gilt das nur für Fledermausarten, die ihren Winterschlaf alleine verbringen.

    "Die geselligen Fledermausarten sind aber immer noch vom Aussterben bedroht: Ihre Populationen schrumpfen weiter. Denn dadurch, dass die Tiere nach wie vor dicht zusammenhängen, kann sich der Pilz weiterhin gut verbreiten."

    Einzige Ausnahme: Myotis lucifugus, die Kleine Braune Fledermaus. Sie wird sehr wahrscheinlich überleben - weil sie aufs Kuscheln verzichtet. Dreiviertel der Tiere überwintern inzwischen alleine und verhindern so, dass sich der Pilz weiter ausbreitet. Was Kate Langwig und ihre Kollegen aber noch nicht wissen: Gehen die Fledermäuse ganz bewusst auf Distanz, etwa weil sie sich durch infizierte, herumflatternde Nachbarn gestört fühlen? Oder gibt es dafür andere Gründe?

    "Es könnte auch sein, dass die Fledermäuse jedes Jahr in dieselbe Höhle an dieselbe Stelle zurückkehren. Und dass im Laufe der Zeit die Nachbarn einfach am Weißnasensyndrom gestorben sind. Im Moment laufen Studien, die genau das untersuchen - ob sich die Fledermäuse extra von ihren Nachbarn distanzieren, oder ob sie einfach keine Nachbarn mehr haben."

    Auch eine andere gesellige Fledermaus - die Indiana-Fledermaus - würde mehr Abstand von ihren Artgenossen halten als früher, sagt die Forscherin. Doch leider nicht genug.

    "Nur jede zehnte Indiana-Fledermaus schläft für sich - zum Vergleich: bei der kleinen braunen Fledermaus sind es dreiviertel aller Tiere. Nur jede zehnte, das reicht offenbar nicht aus, um die Ausbreitung des Pilzes zu verlangsamen."

    Das Fledermaussterben in den USA geht also weiter. Doch es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer: Fledermäuse, die in kühlen und trockenen Höhlen überwintern, sterben generell seltener an der Pilzinfektion. Zumindest diese Populationen könnten erhalten bleiben.