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Lieber grün als schwarz

Matthias Filbinger trägt einen großen Namen. Sein Vater Hans war Ministerpräsident mit Nazi-Vergangenheit und CDU-Mitglied. Obwohl auch er konservativ ist, ist er aus der CDU ausgetreten. Als Parteiloser sitzt er für die Grünen im Bezirksbeirat in Stuttgart.

Von Stefan Maas |
    Die Trennung kam nach 15 Jahren. Matthias Filbinger kehrt der CDU den Rücken. Für die er sich politisch engagiert hatte. Mit der er aufgewachsen war. Sein Vater, Hans Filbinger, war einst Ministerpräsident von Baden-Württemberg gewesen. Es war ein Einschnitt. Aber kein plötzlicher. Es war vielmehr das Ende eines langen Prozesses, sagt der 54-Jährige selbst. Immer wieder habe er sich die Fragen gestellt:

    "Bin ich noch in der richtigen Partei? Und ist es meine Zeit wert, für die Partei tätig zu werden? Oder gibt es Alternativen?"

    1994 war er der Partei seines Vaters beigetreten. Länger als ein Jahrzehnt engagierte er sich für die CDU im Gemeindebeirat von Stuttgart-Vaihingen. Politik für die Bürger – doch das wurde zunehmend schwieriger – wegen der CDU:

    "Die Partei war einerseits für uns wichtig. Auf der anderen Seite haben wir uns als Volksvertreter gefühlt. Und in den letzten drei Jahren haben wir versucht, durch lokale Projekte für die Bürger tätig zu werden. Aber wir bekamen immer mehr Seitenhiebe von der Partei."

    Auch in seiner Geschichte spielt, wie oft in Stuttgart, das große Bahnprojekt eine entscheidende Rolle. Wegen Stuttgart 21 sollte der große Busbahnhof nach Vaihingen verlegt werden. Weg vom Zentrum – raus aus dem Tal. In dem ruhigen Stadtteil wäre der Verkehr sprunghaft angestiegen. Die Bürger – auch er - protestierten, schlugen alternative Standorte vor.

    "Wir Bürger hier oben – und wir politischen Vertreter für die Bürger, wir haben uns eingesetzt für das Projekt: Omnibusbahnhof nicht nach Vaihingen. Uns selbst unser eigener CDU-Stadtrat ist uns in den Rücken gefallen. Und das habe ich noch nie erlebt, dass Kandidaten, die wir aufgestellt haben, sich gegen uns gestellt haben."

    Matthias Filbinger sitzt im Esszimmer am Tisch, als er erzählt. Er hat die Finger verschränkt, die Arme aufgelehnt. Er hat schon häufiger darüber gesprochen, was dann kam – aber er erzählt langsam, wägt die Worte genau ab. Zwei Vertreter des Ortsgremiums sollen im Gemeinderat vorsprechen. Einer von ihnen ist Filbinger. Vier Wochen später bestellt die CDU-Fraktionsspitze in Stuttgart ihn ein. Matthias Filbingers Augen verengen sich hinter seiner randlosen Brille. Er wird gemaßregelt. Er solle sich nicht so verhalten. Der Name seiner Familie wird ins Spiel gebracht. Filbinger erinnert sich an das Wort "Sippenhaft". Etwas über ein Jahr zuvor war sein Vater gestorben. Der damalige Ministerpräsident Oettinger hielt die Trauerrede. In der Folge wurde die Rolle Hans Filbingers im Dritten Reich wieder zum Thema. Das Verhältnis zwischen Familie und CDU war danach angeschlagen. Jetzt ist das Maß voll:

    "Ich habe dann deutlich gesagt: wenn ihr es anders wollt. Ich entscheide. Und nicht ihr entscheidet, wer in der Partei ist, sondern ich entscheide, ob ich in der Partei bin oder weiter bleibe. Oder gar austrete."

    Ein Jahr lässt er sich noch Zeit, dann tritt er aus. Und legt auch das Mandat nieder, mit dem er die CDU im Bezirksbeirat in Vaihingen vertritt. So konsequent müsse man schon sein, sagt er. Zwei Jahre ist das her. Und Matthias Filbinger wirkt zufrieden. Politisch untätig war er seitdem nicht. Ein Jahr lang saß er ohne Mandat in den Sitzungen des Beirates. Dann fand die Alternative, nach der er gesucht hatte, ihn:

    "Eines Tages kamen dann die Grünen auf mich zu und fragten, ob ich mir vorstellen könne, bei den Grünen auch als Parteiloser wiederum ein Mandat zu übernehmen."

    Er konnte. Die komplette Kehrtwende eines Konservativen?
    Nur auf den ersten Blick!

    "Wir sind extrem konservativ erzogen worden und auch aufgewachsen. Der sonntägliche Kirchgang war ein muss – auch die Zeit, die meine Schwestern und ich in katholischen Internaten verbracht haben, war geprägt von christlicher Erziehung. Aber die Natur, und die Verantwortung für die Natur und die Umwelt war, möchte ich sagen, mindestens gleichwertig zu sehen."

    Und konservativ heiße für ihn eben auch, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Fortschrittlich zu denken. An regenerative Energien zum Beispiel, Solartechnik, Elektrofahrzeuge. Und die Grünen hätten diese Ideen maßgeblich mit vorangetrieben.

    Und die Familie? Wie hat sie auf seine Entscheidung reagiert?
    Eine seiner Schwestern hat sich in Ulm für die CDU engagiert, sein älterer Sohn ist in der Jungen Union. Matthias Filbinger lächelt.

    "So wie ich seine Meinung toleriere, so erwarte ich das auch, dass er die Meinige toleriert. Und gerade zum Thema Stuttgart 21 haben wir hier sehr kontroverse Diskussionen. Aber das, was draußen in der Bevölkerung durchgemacht wird, soll auch zuhause am Tisch stattfinden.
    Und dort geht es auch um die Frage: Wer hat recht? Haben die Demonstranten ein Recht zu blockieren, was demokratisch entschieden wurde? Schon einmal hat eine Stuttgarter Regierung den Willen ihrer Bürger nicht ernst genug genommen. Das Ergebnis: heftige Proteste, heftige Reaktionen der Staatsmacht - und der Beginn der Anti-Atomkraftbewegung. Damals war es Whyl, es ging um ein Atomkraftwerk, der Ministerpräsident hieß Filbinger:

    ""Ich erinnere mich, einige Jahre vor dem Tod meines Vaters habe ich mich mit ihm über Whyl unterhalten. Und er hat damals ganz klar gesagt, er hat damals einen Fehler gemacht. Er hat die Bürger unterschätzt.

    Den gleichen Fehler mache die CDU jetzt wieder. Matthias Filbinger ist sich sicher. Die Rechnung kommt bei der Landtagswahl im kommenden März dann werden viele Wähler wohl ihr Kreuz nicht mehr bei der CDU machen? Zu ihnen gehört auch Matthias Filbinger:

    ""Ich denke, dieses Mal weiß ich, was ich wählen werde, denn wenn ich mich für die Grünen engagiere, dann kann ich nicht eine andere Partei wählen."

    Der Omnibusbahnhof wird übrigens nicht nach Vaihingen verlegt, sondern die Busse werden vom Flughafen abfahren. Die Politik hat sich von den Alternativen der Bürger überzeugen lassen.