Letztes Jahr stand sie zum ersten Mal auf Skiern, diesen Winter wollte meine Kollegin Kerstin Ruskowski noch einen Schritt weiter gehen: In Kärnten absolvierte sie ihre erste Skitour.
"So, zur Vorbereitung für die Tour ziehen wir jetzt bei die Ski die Felle auf. Und zwar, mir hakens hinten mit nem Bügel am Ende vom Ski ein, ja, streichen das Fell obi, drehen den Ski um und hängt oben an der Spitze mittels des Spann ein und schaut, dass das Fell schön gleichmäßig aufliegt und die Kanten frei bleiben, dass ich seitlich am Hang a bissl a Griff hab."
Es ist ein sonniger Tag im Oberdrautal, im Westen Kärntens an der Grenze zu Osttirol – ideal für eine Skitour, meine erste. Die Schneelage ist leider nicht ideal – seit Wochen hat es nicht geschneit. Das Positive dabei: Der Lawinenlagebericht sieht keine besonderen Gefahren vor. Doch bevor es losgehen kann, muss ich ein paar Sachen lernen. Wie man die Felle auf die Ski zieht, zum Beispiel. Ernst Huber ist Ende Vierzig, Bergwanderführer und freiwilliger Bergretter. Jemand, der sich am Berg auskennt – sommers wie winters. Nachdem wir mich mit passender, nicht zu warmer Bekleidung, Tourenskiern, Schuhen und Stöcken ausgestattet haben, zeigt mir Ernst hinter der Hütte, wie man die Skier vor dem Aufstieg präparieren muss.
"Dann stell ich die Bindung von Abfahrt auf Aufstieg ein."
Die Ferse ist jetzt frei beweglich – das erleichtert den Aufstieg. Zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit, die Steighilfe zu nutzen: Das ist eine Art Absatz, wie bei einem Damenschuh. Steile Hänge lassen sich dadurch mit weniger Kraftaufwand erklimmen. Dann schnallen wir uns die LVS-Geräte um, die Lawinen-Verschütteten-Suchgeräte, und testen, ob sie funktionieren.
"Wenn i jetzt do umschalt auf Senden, auf Search, zeigt er mir die Pfeilrichtung an und laut Piepston, wenn i jetzt weggeh, verringert sich der Piepston, das heißt, die Entfernung wird weiter. Jetzt hab ich zum Beispiel zu Dir, in dieser Richtung, 3,7 Meter, jetzt geh ich dann langsam zu Dir: 3 Meter, 2,1 Meter, 1,9, 1,4 – Dauerpiepston. Und schon hab i di schon. Ganz einfach, so funktioniert des, ge."
Dann probieren wir das Gleiche mit meinem LVS-Gerät. Auch das funktioniert. Zum Glück. Denn das LVS-Gerät ist überlebenswichtig. Aber es gibt noch mehr Sachen, die man unbedingt in seinem Rucksack haben sollte, sagt Ernst.
"LVS-Gerät, Sonde, Schaufel – ist immer im Rucksack drin. Kimmt eini am Anfang des Winters und kimmt nit außa bis die letzte Skitour gegangen wird."
Nur, wenn ich diese Dinge dabei habe, habe ich eine Chance, jemanden unter einer Lawine zu finden und ihm das Leben zu retten. Wobei die Überlebenschancen nach einer Lawine insgesamt sehr gering sind, sagt Ernst. Auch, weil viele Leute in der Notfallsituation wie gelähmt sind und falsch reagieren. Ernst packt weiter seinen Rucksack.
"Dann gehört ein Rettungspaket, erste Hilfe, Biwaksack, Zwei-Mann-Biwaksack. Dann kommt eigentlich dazu a Messer, ein Feuerzeug, eine Kerze. Dann ein Tape, so genanntes Isolierband für eventuelle Reparaturen, zwei, drei Karabiner mit Verschluss, eine Rebschnur, sechs Millimeter, Länge ungefähr zwölf bis 15 Meter und eine Lawinenschnur. Und eine Stirnlampe. Das ist mal das Wichtigste."
Außerdem sollte man unbedingt Wäsche zum Wechseln einpacken – inklusive Handschuhe, Mütze und einer extra Jacke. Nachdem unsere beiden Rucksäcke gepackt sind, darf ich in die Bindung einsteigen.
"Alles klar?" "Ich glaube, ja."
Dann geht es los. Die ersten Schritte sind ganz schön ungewohnt. Ständig habe ich das Bedürfnis meine Füße zu heben, doch das ist genau das falsche, denn es beansprucht zu viel Kraft. Die Technik beim Gehen mit Tourenski ist eine andere: Zuerst geht man in die Knie, hebt die Ferse und schiebt dann einen Ski mit der Fußspitze nach vorne. Dann geht die Ferse runter und das andere Knie wird gebeugt, um auch hier den Ski nach vorne zu schieben. Mit den Stöcken stützt man sich dabei jeweils diagonal ab. Ich muss mich ganz schön konzentrieren und es dauert eine Weile, bis ich einigermaßen im Rhythmus bin. Immer wieder platschen meine Ski auf die Schneedecke, weil ich sie versehentlich hochhebe. Ernst ermahnt mich, ich soll die Ski vorschieben. Jaja, das Prinzip hab ich verstanden, aber mit der Umsetzung hapert es noch ein bisschen. Nach einer Weile habe ich einen einigermaßen gleichmäßigen Rhythmus drauf.
"Schön, oder?"
"Häh! Solange es nicht so steil bergauf geht."
"Das ist nur ne Eingehphase jetzt."
"Was?"
"Eine Eingehphase!"
"Ja, das lässt sich aber besser aushalten."
"Jetzt geht’s ein Stück runter und dann geht es ins Gelände rauf!"
Und dann wird es so richtig anstrengend. Bisher ging es nur leicht bergauf und hauptsächlich geradeaus – wie beim Langlauf eigentlich. Aber auch das ist eine Sportart, die ich noch nie ausprobiert habe. Rauf ins Gelände bedeutet, mit den 160 Zentimeter langen Ski einen steilen Hang zu erklimmen – in unserem Fall mit etwa 30 Prozent Gefälle. Das geht natürlich nicht steil in einer Linie nach oben, sondern am besten im Zickzack. Für meinen Gleichgewichtssinn sind die Wendepunkte eine besondere Herausforderung: Schon bei der zweiten Wende schlage ich meine Ski nicht fest genug in den Hang, rutsche ab und kullere zurück auf den Weg. Beim zweiten Anlauf klappt es dann. Doch auch meine Steighilfen machen Probleme: Immer wieder rutschen sie in die Ausgangsposition zurück. In sicherem Abstand folge ich Ernst den Hang hinauf – vorbei an Bäumen, Sträuchern und Felsbrocken.
Wie lange sind wir eigentlich schon unterwegs? Eine Stunde? Zwei? - Oder doch erst 20 Minuten? Mir ist das Zeitgefühl abhanden gekommen. Eine Pause könnte ich jedenfalls gut vertragen. Ich schaue hinunter, von wo wir gekommen sind. Schwer zu sagen, wie viel Strecke wir schon zurückgelegt haben. Ich schaue nach oben: Auch hier kann ich schlecht abschätzen, wie weit es noch sein könnte. Hinzu kommt, dass der Nassfeldriegel eine Art Plateaugipfel hat und ich das Gipfelkreuz im Moment noch nicht einmal erahnen kann. Ernst hat gesagt, wir machen an einem Felsen Pause, damit wir windgeschützt sind und nicht so schnell auskühlen. Wir gehen weiter.
Alle paar Meter bleibe ich stehen. So richtig Spaß macht mir das Hochgehen bisher nicht. Klar, der Blick ins Tal ist herrlich. Auch die Tatsache, einen schneebedeckten Hang hochzulaufen, an dem zuvor noch niemand gewesen ist, hat ihren Reiz. Aber die meiste Zeit kann ich den Ausblick nicht genießen. Ich muss nach unten schauen, damit meine Ski sich nicht überkreuzen. Und mein Puls rast. Das Blut pocht in meinen Schläfen. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu untrainiert.
Ich folge weiter Ernsts Spuren im Schnee, Kehre um Kehre. Er steht schon breit grinsend an einer Felswand in der Sonne. Ich bin fix und fertig. Ich steige aus der Bindung, schmeiße meinen Rucksack neben Ernst in den Schnee und lasse mich darauf fallen. Ernst reicht mir den Deckel seiner Thermoskanne. Ich nippe an einer lauwarmen Mischung aus Orangensaft und Wasser. Lauwarm deshalb, weil es Energie spart: Kalte Getränke muss der Körper erst aufwärmen, heiße abkühlen. Ideal sind Getränke mit Körpertemperatur, sagt Ernst.
"Aber ich sag, das gehört bei jeder Tour eini: mindestens a halber Liter und bei a Tagestour sowieso a Liter - oder mehr. Und noch a schnelle Energiezufuhr: Am besten ist was leichtes, a Müsliriegel, wo’s nit anfällig is von den Temperaturen her und was sich bei mir bewährt hat, sind einfach Äpfel. Ein Apfel hat einen Haufen Zucker und kannst auch, wenn er kalt ist, bringste ihn trotzdem runter. A Banane, die gefriert Dir durch, die is steinhart. Trockennahrung is auch ganz gut, Trockenfrüchte. Schnelle Energiezufuhr und hält lang an. Was ich jetzt nit empfehlen würde, das is Traubenzucker, das is a schneller Aufputscher und des geht nachher ins Verkehrte."
Nach 10 bis 15 Minuten Pause geht es weiter. Das wird auch Zeit. Obwohl wir in der Sonne sitzen, fange ich allmählich an zu frieren. Mein T-Shirt klebt am Rücken und fühlt sich jetzt eiskalt an. Auch meine Handschuhe sind von innen klatschnass. Deswegen sollte man immer Klamotten zum Wechseln dabei haben, sagt Ernst. Doch umziehen will er sich erst oben auf dem Gipfel, kurz vor der Abfahrt. Nach wenigen Schritten schwitze ich wieder – die nasse Kleidung wird wieder aufgewärmt. Meine Hände brauchen ein bißchen länger zum Warmwerden.
Nach etwa einer halben Stunde haben wir die Bergkuppe erreicht. Doch bis zum Gipfel müssen wir noch ein paar hundert Meter über den Bergrücken laufen. Das ist zwar nicht mehr so anstrengend, aber dafür pfeift hier oben der Wind. Dann haben wir das Gipfelkreuz erreicht. Die Aussicht ist atemberaubend. Doch ich muss erst einmal verschnaufen. Der Aufstieg hat mich ziemlich geschafft.
"A bissl mit Freude, geh?"
"Ja, fällt n bisschen schwer."
"Warum?"
"Weil ich dafür noch zu kaputt bin."
Ernst kennt das. Nicht von sich selbst, sondern von den Anfängern, die er regelmäßig die Berge der Kreuzeckgruppe hinaufführt. Dabei war unsere Tour heute eine Einsteigertour.
"Das Problem beim Tourengehen ist auch die Kondition: A gewisse Grundkondition muss i mitnehmen. Weil, es ist nicht nur der Aufstieg, es ist auch die Abfahrt. Und die Abfahrt ist manchmal genauso anstrengend und beschwerlich wie der Aufstieg is."
Diese Erfahrung mache ich wenig später: Kaum sind wir oben angekommen, machen wir uns schon wieder für die Abfahrt bereit. Während ich noch verschnaufe, richtet Ernst die Ski her, reißt die Felle ab, verstaut sie im Rucksack und befestigt die Bindung. Zum Umziehen ist es hier oben zu windig. Ich wechsle nur schnell die Handschuhe. Denn wenn die Finger einmal kalt sind, ist das ein Problem.
"Wenn i Pech habe, werden sie nicht mehr warm. Dann werden sie erst, wenn ich unten am Auto steh oder wenn i bei der Hütten bin, dann wärmen sie sich erst wieder auf und dann hab i diesen feinen, stechenden Schmerz, wo‘s einem teilweise die Tränen aus die Augen hervordrückt."
Dann geht es wieder in Richtung Tal. Ich habe Angst und verkrampfe. Der Schnee ist nicht frisch, sondern angeeist. Alle paar Meter blitzt ein Felsbrocken aus der Schneedecke. Weil ich mich nicht traue, Kurven zu fahren, rutsche ich wahlweise seitlich oder im Schneepflug abwärts. Dabei hatte ich mich eigentlich vor der Tour am meisten auf die Abfahrt gefreut. Jetzt scheint mir plötzlich der Aufstieg der angenehmere Teil gewesen zu sein.
Nach etwa 200 Metern sind wir wieder auf der Piste. Doch meine Beine zittern immer noch. Auch hier kann ich nicht wirklich fahren. Ich bin erschöpft und will nur noch eins: heil unten ankommen. Wenigstens das gelingt mir. An Ernsts Auto ziehen wir uns um und werfen Ski und Stöcke in den Kofferraum. Ich bin völlig fertig, aber auch ein bisschen stolz, dass ich es geschafft habe. Vor allem aber bin ich froh, dass es vorbei ist. Immerhin gibt Ernst zu, dass die Bedingungen nicht optimal waren.
"Die Verhältnisse, was mir jetzt gehabt ham, das war Wind, verpresster Schnee, teilweise Pulver, teilweise kein Schnee, teilweise steindurchsetzt. Also, das war scho a schwieriges Terrain zu fahren. Und do musst schon a guter Skifahrer sein, dass das ohne Schwierigkeiten bewältigst – ohne Sturz oder ohne größere Probleme."
"Ja gut, ich bin mehrmals gestürzt."
"Ja, das war zurückzuführen auf das skifahrerische Können und die Kondition. Die muss jeder mitbringen."
Bei mir hat‘s offenbar noch nicht so ganz gepasst. Wahrscheinlich müsste ich erst einmal noch besser Skifahren lernen. Aber ob es für mich überhaupt irgendwann eine zweite Skitour geben wird – da bin ich mir im Moment noch nicht so sicher.
"So, zur Vorbereitung für die Tour ziehen wir jetzt bei die Ski die Felle auf. Und zwar, mir hakens hinten mit nem Bügel am Ende vom Ski ein, ja, streichen das Fell obi, drehen den Ski um und hängt oben an der Spitze mittels des Spann ein und schaut, dass das Fell schön gleichmäßig aufliegt und die Kanten frei bleiben, dass ich seitlich am Hang a bissl a Griff hab."
Es ist ein sonniger Tag im Oberdrautal, im Westen Kärntens an der Grenze zu Osttirol – ideal für eine Skitour, meine erste. Die Schneelage ist leider nicht ideal – seit Wochen hat es nicht geschneit. Das Positive dabei: Der Lawinenlagebericht sieht keine besonderen Gefahren vor. Doch bevor es losgehen kann, muss ich ein paar Sachen lernen. Wie man die Felle auf die Ski zieht, zum Beispiel. Ernst Huber ist Ende Vierzig, Bergwanderführer und freiwilliger Bergretter. Jemand, der sich am Berg auskennt – sommers wie winters. Nachdem wir mich mit passender, nicht zu warmer Bekleidung, Tourenskiern, Schuhen und Stöcken ausgestattet haben, zeigt mir Ernst hinter der Hütte, wie man die Skier vor dem Aufstieg präparieren muss.
"Dann stell ich die Bindung von Abfahrt auf Aufstieg ein."
Die Ferse ist jetzt frei beweglich – das erleichtert den Aufstieg. Zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit, die Steighilfe zu nutzen: Das ist eine Art Absatz, wie bei einem Damenschuh. Steile Hänge lassen sich dadurch mit weniger Kraftaufwand erklimmen. Dann schnallen wir uns die LVS-Geräte um, die Lawinen-Verschütteten-Suchgeräte, und testen, ob sie funktionieren.
"Wenn i jetzt do umschalt auf Senden, auf Search, zeigt er mir die Pfeilrichtung an und laut Piepston, wenn i jetzt weggeh, verringert sich der Piepston, das heißt, die Entfernung wird weiter. Jetzt hab ich zum Beispiel zu Dir, in dieser Richtung, 3,7 Meter, jetzt geh ich dann langsam zu Dir: 3 Meter, 2,1 Meter, 1,9, 1,4 – Dauerpiepston. Und schon hab i di schon. Ganz einfach, so funktioniert des, ge."
Dann probieren wir das Gleiche mit meinem LVS-Gerät. Auch das funktioniert. Zum Glück. Denn das LVS-Gerät ist überlebenswichtig. Aber es gibt noch mehr Sachen, die man unbedingt in seinem Rucksack haben sollte, sagt Ernst.
"LVS-Gerät, Sonde, Schaufel – ist immer im Rucksack drin. Kimmt eini am Anfang des Winters und kimmt nit außa bis die letzte Skitour gegangen wird."
Nur, wenn ich diese Dinge dabei habe, habe ich eine Chance, jemanden unter einer Lawine zu finden und ihm das Leben zu retten. Wobei die Überlebenschancen nach einer Lawine insgesamt sehr gering sind, sagt Ernst. Auch, weil viele Leute in der Notfallsituation wie gelähmt sind und falsch reagieren. Ernst packt weiter seinen Rucksack.
"Dann gehört ein Rettungspaket, erste Hilfe, Biwaksack, Zwei-Mann-Biwaksack. Dann kommt eigentlich dazu a Messer, ein Feuerzeug, eine Kerze. Dann ein Tape, so genanntes Isolierband für eventuelle Reparaturen, zwei, drei Karabiner mit Verschluss, eine Rebschnur, sechs Millimeter, Länge ungefähr zwölf bis 15 Meter und eine Lawinenschnur. Und eine Stirnlampe. Das ist mal das Wichtigste."
Außerdem sollte man unbedingt Wäsche zum Wechseln einpacken – inklusive Handschuhe, Mütze und einer extra Jacke. Nachdem unsere beiden Rucksäcke gepackt sind, darf ich in die Bindung einsteigen.
"Alles klar?" "Ich glaube, ja."
Dann geht es los. Die ersten Schritte sind ganz schön ungewohnt. Ständig habe ich das Bedürfnis meine Füße zu heben, doch das ist genau das falsche, denn es beansprucht zu viel Kraft. Die Technik beim Gehen mit Tourenski ist eine andere: Zuerst geht man in die Knie, hebt die Ferse und schiebt dann einen Ski mit der Fußspitze nach vorne. Dann geht die Ferse runter und das andere Knie wird gebeugt, um auch hier den Ski nach vorne zu schieben. Mit den Stöcken stützt man sich dabei jeweils diagonal ab. Ich muss mich ganz schön konzentrieren und es dauert eine Weile, bis ich einigermaßen im Rhythmus bin. Immer wieder platschen meine Ski auf die Schneedecke, weil ich sie versehentlich hochhebe. Ernst ermahnt mich, ich soll die Ski vorschieben. Jaja, das Prinzip hab ich verstanden, aber mit der Umsetzung hapert es noch ein bisschen. Nach einer Weile habe ich einen einigermaßen gleichmäßigen Rhythmus drauf.
"Schön, oder?"
"Häh! Solange es nicht so steil bergauf geht."
"Das ist nur ne Eingehphase jetzt."
"Was?"
"Eine Eingehphase!"
"Ja, das lässt sich aber besser aushalten."
"Jetzt geht’s ein Stück runter und dann geht es ins Gelände rauf!"
Und dann wird es so richtig anstrengend. Bisher ging es nur leicht bergauf und hauptsächlich geradeaus – wie beim Langlauf eigentlich. Aber auch das ist eine Sportart, die ich noch nie ausprobiert habe. Rauf ins Gelände bedeutet, mit den 160 Zentimeter langen Ski einen steilen Hang zu erklimmen – in unserem Fall mit etwa 30 Prozent Gefälle. Das geht natürlich nicht steil in einer Linie nach oben, sondern am besten im Zickzack. Für meinen Gleichgewichtssinn sind die Wendepunkte eine besondere Herausforderung: Schon bei der zweiten Wende schlage ich meine Ski nicht fest genug in den Hang, rutsche ab und kullere zurück auf den Weg. Beim zweiten Anlauf klappt es dann. Doch auch meine Steighilfen machen Probleme: Immer wieder rutschen sie in die Ausgangsposition zurück. In sicherem Abstand folge ich Ernst den Hang hinauf – vorbei an Bäumen, Sträuchern und Felsbrocken.
Wie lange sind wir eigentlich schon unterwegs? Eine Stunde? Zwei? - Oder doch erst 20 Minuten? Mir ist das Zeitgefühl abhanden gekommen. Eine Pause könnte ich jedenfalls gut vertragen. Ich schaue hinunter, von wo wir gekommen sind. Schwer zu sagen, wie viel Strecke wir schon zurückgelegt haben. Ich schaue nach oben: Auch hier kann ich schlecht abschätzen, wie weit es noch sein könnte. Hinzu kommt, dass der Nassfeldriegel eine Art Plateaugipfel hat und ich das Gipfelkreuz im Moment noch nicht einmal erahnen kann. Ernst hat gesagt, wir machen an einem Felsen Pause, damit wir windgeschützt sind und nicht so schnell auskühlen. Wir gehen weiter.
Alle paar Meter bleibe ich stehen. So richtig Spaß macht mir das Hochgehen bisher nicht. Klar, der Blick ins Tal ist herrlich. Auch die Tatsache, einen schneebedeckten Hang hochzulaufen, an dem zuvor noch niemand gewesen ist, hat ihren Reiz. Aber die meiste Zeit kann ich den Ausblick nicht genießen. Ich muss nach unten schauen, damit meine Ski sich nicht überkreuzen. Und mein Puls rast. Das Blut pocht in meinen Schläfen. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu untrainiert.
Ich folge weiter Ernsts Spuren im Schnee, Kehre um Kehre. Er steht schon breit grinsend an einer Felswand in der Sonne. Ich bin fix und fertig. Ich steige aus der Bindung, schmeiße meinen Rucksack neben Ernst in den Schnee und lasse mich darauf fallen. Ernst reicht mir den Deckel seiner Thermoskanne. Ich nippe an einer lauwarmen Mischung aus Orangensaft und Wasser. Lauwarm deshalb, weil es Energie spart: Kalte Getränke muss der Körper erst aufwärmen, heiße abkühlen. Ideal sind Getränke mit Körpertemperatur, sagt Ernst.
"Aber ich sag, das gehört bei jeder Tour eini: mindestens a halber Liter und bei a Tagestour sowieso a Liter - oder mehr. Und noch a schnelle Energiezufuhr: Am besten ist was leichtes, a Müsliriegel, wo’s nit anfällig is von den Temperaturen her und was sich bei mir bewährt hat, sind einfach Äpfel. Ein Apfel hat einen Haufen Zucker und kannst auch, wenn er kalt ist, bringste ihn trotzdem runter. A Banane, die gefriert Dir durch, die is steinhart. Trockennahrung is auch ganz gut, Trockenfrüchte. Schnelle Energiezufuhr und hält lang an. Was ich jetzt nit empfehlen würde, das is Traubenzucker, das is a schneller Aufputscher und des geht nachher ins Verkehrte."
Nach 10 bis 15 Minuten Pause geht es weiter. Das wird auch Zeit. Obwohl wir in der Sonne sitzen, fange ich allmählich an zu frieren. Mein T-Shirt klebt am Rücken und fühlt sich jetzt eiskalt an. Auch meine Handschuhe sind von innen klatschnass. Deswegen sollte man immer Klamotten zum Wechseln dabei haben, sagt Ernst. Doch umziehen will er sich erst oben auf dem Gipfel, kurz vor der Abfahrt. Nach wenigen Schritten schwitze ich wieder – die nasse Kleidung wird wieder aufgewärmt. Meine Hände brauchen ein bißchen länger zum Warmwerden.
Nach etwa einer halben Stunde haben wir die Bergkuppe erreicht. Doch bis zum Gipfel müssen wir noch ein paar hundert Meter über den Bergrücken laufen. Das ist zwar nicht mehr so anstrengend, aber dafür pfeift hier oben der Wind. Dann haben wir das Gipfelkreuz erreicht. Die Aussicht ist atemberaubend. Doch ich muss erst einmal verschnaufen. Der Aufstieg hat mich ziemlich geschafft.
"A bissl mit Freude, geh?"
"Ja, fällt n bisschen schwer."
"Warum?"
"Weil ich dafür noch zu kaputt bin."
Ernst kennt das. Nicht von sich selbst, sondern von den Anfängern, die er regelmäßig die Berge der Kreuzeckgruppe hinaufführt. Dabei war unsere Tour heute eine Einsteigertour.
"Das Problem beim Tourengehen ist auch die Kondition: A gewisse Grundkondition muss i mitnehmen. Weil, es ist nicht nur der Aufstieg, es ist auch die Abfahrt. Und die Abfahrt ist manchmal genauso anstrengend und beschwerlich wie der Aufstieg is."
Diese Erfahrung mache ich wenig später: Kaum sind wir oben angekommen, machen wir uns schon wieder für die Abfahrt bereit. Während ich noch verschnaufe, richtet Ernst die Ski her, reißt die Felle ab, verstaut sie im Rucksack und befestigt die Bindung. Zum Umziehen ist es hier oben zu windig. Ich wechsle nur schnell die Handschuhe. Denn wenn die Finger einmal kalt sind, ist das ein Problem.
"Wenn i Pech habe, werden sie nicht mehr warm. Dann werden sie erst, wenn ich unten am Auto steh oder wenn i bei der Hütten bin, dann wärmen sie sich erst wieder auf und dann hab i diesen feinen, stechenden Schmerz, wo‘s einem teilweise die Tränen aus die Augen hervordrückt."
Dann geht es wieder in Richtung Tal. Ich habe Angst und verkrampfe. Der Schnee ist nicht frisch, sondern angeeist. Alle paar Meter blitzt ein Felsbrocken aus der Schneedecke. Weil ich mich nicht traue, Kurven zu fahren, rutsche ich wahlweise seitlich oder im Schneepflug abwärts. Dabei hatte ich mich eigentlich vor der Tour am meisten auf die Abfahrt gefreut. Jetzt scheint mir plötzlich der Aufstieg der angenehmere Teil gewesen zu sein.
Nach etwa 200 Metern sind wir wieder auf der Piste. Doch meine Beine zittern immer noch. Auch hier kann ich nicht wirklich fahren. Ich bin erschöpft und will nur noch eins: heil unten ankommen. Wenigstens das gelingt mir. An Ernsts Auto ziehen wir uns um und werfen Ski und Stöcke in den Kofferraum. Ich bin völlig fertig, aber auch ein bisschen stolz, dass ich es geschafft habe. Vor allem aber bin ich froh, dass es vorbei ist. Immerhin gibt Ernst zu, dass die Bedingungen nicht optimal waren.
"Die Verhältnisse, was mir jetzt gehabt ham, das war Wind, verpresster Schnee, teilweise Pulver, teilweise kein Schnee, teilweise steindurchsetzt. Also, das war scho a schwieriges Terrain zu fahren. Und do musst schon a guter Skifahrer sein, dass das ohne Schwierigkeiten bewältigst – ohne Sturz oder ohne größere Probleme."
"Ja gut, ich bin mehrmals gestürzt."
"Ja, das war zurückzuführen auf das skifahrerische Können und die Kondition. Die muss jeder mitbringen."
Bei mir hat‘s offenbar noch nicht so ganz gepasst. Wahrscheinlich müsste ich erst einmal noch besser Skifahren lernen. Aber ob es für mich überhaupt irgendwann eine zweite Skitour geben wird – da bin ich mir im Moment noch nicht so sicher.
