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Lieber Tony

Mit seinem "Dritten Weg" hat der britische Regierungschef Tony Blair 1997 die regierenden Konservativen aus dem Amt gefegt. Jetzt will er zurücktreten - innerhalb der nächsten zwölf Monate. Über seine Amtszeit macht sich in der Europakolumne Peter Bild Gedanken. Er ist Korrespondent für britische und amerikanische Medien in Berlin und hat dem Premier einen Brief geschrieben.

Von Peter Bild |
    Sehr geehrter Mister Prime Minister. Als Sie die Führung der Labour Party übernahmen - die Sie gleich zu New Labour umbenannten - und dann vor mehr als 9 Jahren die Wahl gegen John Majors Konservative gewannen, wollten Sie nicht als Mr Blair oder als Prime Minister angesprochen werden, sondern als Tony.

    Auf Yo Blair, wie George Bush neulich ausrief, darauf wären Sie auch nicht gekommen. Und per Du, wenn es diese Form in der englischen Sprache geben würde, so wären Sie gern von Kabinettskollegen und Presseberatern angesprochen worden. Herr Blair: Ich bin kein offizieller Berater. Trotzdem, fange ich in diesem Sinne neu an.
    Mein lieber Tony: In einem Jahr wirst du nicht mehr Prime Minister sein. Diese Tatsache macht die meisten Briten - wenn man den Umfragen glauben soll - sehr glücklich. Jenseits, oder von Berlin aus gesehen diesseits, des englischen Kanals, wie du und ich diese 30 Kilometer Salzwasser nennen, trauern viele deinem Abgang nach, auch wenn er noch nicht stattgefunden hat. Man fragt sich eigentlich warum.
    Für die Sozialdemokraten Nordeuropas - die bestenfalls wie in Deutschland Teil einer Regierung sind, die sie aber nicht führen, bist du mit deiner Regierung noch ein Symbol dafür, dass sogenannte linke Parteien es schaffen, mit den Herausforderungen der Globalisierung fertig zu werden. Die britische Wirtschaft wächst immer noch schneller als die meisten anderen in Europa, Arbeitslose gibt es seit einigen Jahren so gut wie keine.

    Und auch wenn du und dein Finanzminister Gordon Brown, der als dein Nachfolger gehandelt wird, noch in Pfund statt in Euro rechnet, entspricht die Staatsverschuldung seit langem den Maastrichtkriterien für Mitglieder der Eurozone.

    Und gleichzeitig hat sich auf der sozialen Ebene auch etwas getan. Durch Staats-Investitionen sind öffentlichen Dienstleistungen, wie die Gesundheit und der Transport, spürbar besser geworden - auch wenn viele Bürger im Rest-Europas sie zurecht als miserabel betrachten. Trotzdem: eine politische Bilanz, um die dich viele beneiden würden.

    Trotzdem bist du, Tony, jetzt nur noch halb so populär zu Hause wie Margaret Thatcher als sie damals abrupt und brutal aus dem Amt gedrängt wurde. Natürlich sind andere Sozialdemokraten traurig, wenn du, der anscheinend erfolgreichste Sozialdemokrat Europas, der drei Wahlsiege hinter einander errungen hast, jetzt gezwungen wirst, deinen Hut vorzeitig zu nehmen. Und es stellt sich die Frage: Sollen andere Politiker sich ein Beispiel an dir nehmen, oder lieber eine Lektion lernen? Ich meine beides.

    Dein Land, mein Land, ist heute in vielerlei Hinsicht ein angenehmeres Land als vor zehn Jahren. Das ist ein Erfolg. Politiker werden das anders beurteilen. Eine politische Karriere, die unfreiwillig beendet wird, wird als gescheiterte betrachtet.

    Der Spruch eines berühmten britischen Politikers, dass fast alle politischen Karrieren mit einem Scheitern zu Ende gehen ist historisch begründet. Auch Winston Churchill musste früher gehen als er wollte und hat auch sein persönliches Lebensziel nicht erreichen können, das British Empire zu retten und wieder stark zu machen.

    Tony: Ich muss leider feststellen, dass du nicht nur in diesem engeren Sinn gescheitert bist. Du hast die Wahl getroffen, wahrscheinlich in gutem Glauben, mit George Bush Saddam Hussein loszuwerden. Was sind aber die Nebenwirkungen dieses Scheinerfolges?

    Im Irak fließt noch mehr Blut als zu Saddams Zeiten, auch das Blut von britischen Soldaten, die, basierend auf einer Lüge, vergeblich dich und deinen Beruf aus dem Dreck zu ziehen versuchen. Dies hast du entschieden, weil du den Krieg gegen Saddam für richtig gehalten hast, weil du daran glaubtest und nicht weil du Bushs Pudel werden wolltest. Trotzdem bist du es geworden.

    Verzeih mir diese harsche Kritik, Tony. Du bist im Grunde ein guter Mensch. In Europa hast du noch Anhänger, aber ganz wenige Fans, die Politiker auch brauchen um ihre Politik durchzusetzen. Die Lektion für Kontinental-Europäer: Gutmenschen sind gefährlich und zum Scheitern verurteilt. Trotzdem, Tony: Schöne Grüsse von Peter. Auch an Cherie und die Kinder, für die du bald mehr Zeit haben wirst.