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Liebesbriefe an Hitler

"Adilie", "Mein lieber zuckersüßer Adolf", "Heil Adölflilein" das sind nur einige der Anreden aus Liebesbriefen an Adolf Hitler. Traudl Junge, von 1942 bis 1945 Hitlers Privatsekretärin, berichtet in ihrer Autobiographie über Szenen mit begeisterten Anhängerinnen des Führers, die sich auf dem Berghof bei Berchtesgarden abgespielt haben:

Eva Blaskewitz | 22.02.2004
    Vor dem Krieg wurden jeden Tag einmal die Tore geöffnet, wenn sich Hitler auf seinen Spaziergang begab, und dann strömten die Menschen herein und säumten seinen Weg. Hysterische Frauen nahmen Steine mit, die sein Fuß berührt hatte. Einmal wurde sogar ein Lastwagen, der Ziegelsteine zum Berghof hinaufbrachte, von ein paar übergeschnappten Frauen geplündert, und die Steine, die weder des Führers Hände noch Füße berührt hatten, wanderten als wertvolle Andenken in die Vitrinen des Wohnzimmers. Von solchen Damen trafen dann die Liebesbriefe ein, die einen großen Teil des Posteingangs in der Kanzlei des Führers ausmachten.

    Wer diese "Damen" waren, ist heute schwer herauszufinden. Wegen des verwendeten Papiers und des Schreibstils nimmt Alexander Geppert aber an, dass sie aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten kamen. Manche Frauen legten ihren Briefen Geschenke bei: Fotos, ein vierblättriges Kleeblatt, ein selbstgenähtes Kissen oder gleich einen unterschriftsreifen Ehevertrag. Viele boten Hitler mehr oder weniger offen Sex an oder wünschten sich ein Kind von ihm. "Du suchst eine Frau, ich suche einen Mann. Es liegt alles nur an Dir, ich bin zu allem bereit. Bestelle mich und ich komme", heißt es in einem Brief. Und solche Aufforderungen waren ganz ernst gemeint, so Alexander Geppert:

    Das sind ganz ernsthaft vorgetragene Wünsche, die glauben, wenn sie ihm einen Schlüssel schicken für die Hintertüre oder wenn sie das Gartentor offen lassen, würde er tatsächlich kommen. Oder eine arbeitet bei der Dresdner Bank in einer Filiale, die beschreibt ihm genau, wo er sie finden könnte. Und wenn er dann nicht kommt, sind sie wahnsinnig enttäuscht.

    Die Offenheit und Freizügigkeit, mit der die Frauen ihren Körper anbieten, erstaunt auf den ersten Blick. Aber das Verhältnis des nationalsozialistischen Regimes zur Sexualität war ein ambivalentes wie auch das zur Liebe. Wie Alexander Geppert erläutert, war die Vorstellung von Liebe kein Teil der nationalsozialistischen Ideologie. Wenn der Begriff im offiziellen Vokabular überhaupt auftauchte, dann nicht im Sinne romantischer Liebe, sondern bestenfalls als Liebe zum Vaterland, zum Volk, zum Führer. Zwar wurde das Ideal der Kleinfamilie propagiert, starke emotionale Beziehungen zum Ehepartner oder zur Familie waren aber nur bedingt erwünscht erschienen sie doch in ihrer Exklusivität als Gefahr für das Ideal der Volksgemeinschaft. Ein widersprüchliches Bild.

    Einerseits wird die Familie hochgehalten, dann aber, da ja alles auf den Führer, das Volk ausgerichtet werden soll, wird die Familie auch umgangen, das ist sehr widersprüchlich. Ähnlich ist es mit der Sexualität. Einerseits wird Sexualität nicht gefördert, andererseits gibt es eine NS-Zeitschrift, die extrem viele Nacktfotos zum Beispiel hat, den Lebensborn, wo arisch reine Frauen grundsätzlich mit NS-Männern Kinder kriegen können, es passt ein bisschen ins Bild, diese Widersprüchlichkeit.

    Außer der emotionalen und der sexuellen Komponente enthalten viele Briefe aber noch eine ganz andere: nämlich eine religiöse. Dabei verbinden sich nach Alexander Gepperts Auffassung zwei alte Herrscher-Konzepte miteinander: einerseits das des Herrschers als Inhaber gottgegebener Macht und andererseits die Vorstellung, dass der Herrscher gerecht und rechtschaffen sei.

    Es ist voll von religiöser Metaphorik, zahlreiche Erlösungsmetaphern, Hitler soll in Notlagen helfen, man glaubt, wenn man sich an das Staatsoberhaupt wendet, das per se gerecht ist, dass man dann auf jeden Fall etwas Positives zu erwarten hat.

    Wenn man von solchen religiösen und politischen Komponenten einmal absieht, erinnern die in manchen Fällen geradezu pathologischen Schwärmereien für Hitler an die Begeisterung heutiger Teenager für Popstars. Kann man die beiden Phänomene vergleichen?

    Einerseits würde ich sagen, ja, man kann sich dem Phänomen aus dieser Perspektive nähern, irgendwo muss das dann aber eine Grenze haben, denn es ist ein ernstes Phänomen, es ist ein Diktator und kein Sänger.