Patrice Chereau hatte Wagners mythologische Parabel in die Zeit ihrer Entstehung verlegt, in die Zeit der Industriellen Revolution, und das Ringen zwischen Göttern, Riesen, Menschen und Zwergen historisch und gesellschaftlich vom Kopf auf die Füße gestellt.
Der Chereau-Ring war geboren. Nach ihm kamen und gingen Regisseure mit neuen, vergeblichen Versuchen, Nothung aus der Esche zu ziehen und das Werk aufzuschlüsseln, bis Tankred Dorst 2006 den Mythos rehabilitierte und ebenfalls scheiterte. Im Graben stand damals der Dirigent Christian Thielemann. Er rettete die Tetralogie musikalisch. So kam es zum Thielemann-Ring.
Und in diesem Sommer haben wir den Denic-Ring. Der Ring des serbischen Bühnenbildners Aleksandar Denic. Ein Meister in seinem Fach für Theater und vor allem Film. Für den "Siegfried" gestern Abend hat er den Mount Rushmore in den Black Hills von South Dakota mit ihren vier monumentalen Präsidentenköpfen Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln naturalistisch umgewandelt in die Porträts von Marx, Lenin, Stalin und Mao.
Holzgerüste rechts und links, als würde noch gemeißelt – von Mime und Siegfried. Vielleicht campieren die beiden in ihrem Aluminiumwohnwagen auch nur dort. Und wenn sich die Drehscheibenbühne dreht und die Rückseite zum Vorschein kommt, sind wir auf einmal mitten auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin vor dem Mauerfall mit Insignien wie Urania-Weltzeituhr, Funkturmpavillon und U-Bahn-Schild - sozialistische Moderne und spießige DDR.
Der durch den Brudermord zu viel Geld gekommene Fafner haust hier natürlich nicht als Drache in einer muffigen Waldhöhle, sondern er suhlt sich als langhaariger Halbweltstyp in einem Schwarm aufgetakelter Huren, die er mit Luxusnippes überschüttet. Wotan ist auch nicht besser. Wer genau er hier ist, weiß man nicht. Abgehalftert ist er jedenfalls, mit letzter Autorität kann er die Nutte Erda herbeizitieren, um sie nach ihrem Rat zu befragen, wie denn alles weitergehen soll. Aber sie kann ihm an den Biertischen vor der Post bei Rotwein und Spaghetti auch nicht weiterhelfen.
Als der Kellner kassieren will, verdrückt Wotan sich flink und läßt Erda auf der Rechnung sitzen. Wieder überzeugt Nadine Weissmann als Urmutter mit einem Alt, der alle Schattierungen der Finsternis in sich vereint. Und Wotan Wolfgang Kochs Bariton klingt immer kraftvoll, zugleich melodiös, rund, kultiviert. Burkhard Ulrich spielt den hinterhältigen Mime mit sarkastischer Bosheit.
In seinem scharf konturierten Tenor steckt alle Verschlagenheit und Skrupellosigkeit der Welt. Lance Ryans vermeintlicher Heldentenor aber unterscheidet sich manchmal kaum von Mimes Stimmkarikatur. Lance Ryans Siegfried wirkt frequenzarm, zelebriert ein sich träge einschwingendes Vibrato und intoniert oft unsauber.
Wie ein junger Che Guevara aber ballert er mit einer Kalaschnikow Fafner ab und ist einem Schuljungen gleich entzückt vom Waldvogel, einer entlaufenen Revuetänzerin aus dem Friedrichstadt-Palast mit prächtiger Pfauenfederkorona:
Auch im real existierenden Sozialismus ist der Mensch, wie diese Revuedame, zur Ware verkommen, will uns Regisseur Frank Castorf wohl sagen. Industrialisierung und ökonomischer Fortschritt haben auch im Kommunismus nicht, wie auch sonst nirgends, zu mehr Menschlichkeit geführt. Überall waren und sind alle verdorben. Einen guten Menschen gibt es nicht, nicht einmal einen, der ein wenig etwas Gutes sucht. Aus der Stammtisch-Tristesse kommt Castorf nicht heraus.
Wagners Feier der großen Liebe zwischen Siegfried und Brünnhilde hält der Regisseur für gelogen. Gleichgültig hockt das Paar auf der Bierbank am Alex und füttert Krokodile mit Brot und Sonnenschirm. Die großen weiten Welten, die Wagners Musik zu bieten hat, stiftet in dürftiger Regiezeit immerhin der fabelhafte Kirill Petrenko als Dirigent.
Der Chereau-Ring war geboren. Nach ihm kamen und gingen Regisseure mit neuen, vergeblichen Versuchen, Nothung aus der Esche zu ziehen und das Werk aufzuschlüsseln, bis Tankred Dorst 2006 den Mythos rehabilitierte und ebenfalls scheiterte. Im Graben stand damals der Dirigent Christian Thielemann. Er rettete die Tetralogie musikalisch. So kam es zum Thielemann-Ring.
Und in diesem Sommer haben wir den Denic-Ring. Der Ring des serbischen Bühnenbildners Aleksandar Denic. Ein Meister in seinem Fach für Theater und vor allem Film. Für den "Siegfried" gestern Abend hat er den Mount Rushmore in den Black Hills von South Dakota mit ihren vier monumentalen Präsidentenköpfen Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln naturalistisch umgewandelt in die Porträts von Marx, Lenin, Stalin und Mao.
Holzgerüste rechts und links, als würde noch gemeißelt – von Mime und Siegfried. Vielleicht campieren die beiden in ihrem Aluminiumwohnwagen auch nur dort. Und wenn sich die Drehscheibenbühne dreht und die Rückseite zum Vorschein kommt, sind wir auf einmal mitten auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin vor dem Mauerfall mit Insignien wie Urania-Weltzeituhr, Funkturmpavillon und U-Bahn-Schild - sozialistische Moderne und spießige DDR.
Der durch den Brudermord zu viel Geld gekommene Fafner haust hier natürlich nicht als Drache in einer muffigen Waldhöhle, sondern er suhlt sich als langhaariger Halbweltstyp in einem Schwarm aufgetakelter Huren, die er mit Luxusnippes überschüttet. Wotan ist auch nicht besser. Wer genau er hier ist, weiß man nicht. Abgehalftert ist er jedenfalls, mit letzter Autorität kann er die Nutte Erda herbeizitieren, um sie nach ihrem Rat zu befragen, wie denn alles weitergehen soll. Aber sie kann ihm an den Biertischen vor der Post bei Rotwein und Spaghetti auch nicht weiterhelfen.
Als der Kellner kassieren will, verdrückt Wotan sich flink und läßt Erda auf der Rechnung sitzen. Wieder überzeugt Nadine Weissmann als Urmutter mit einem Alt, der alle Schattierungen der Finsternis in sich vereint. Und Wotan Wolfgang Kochs Bariton klingt immer kraftvoll, zugleich melodiös, rund, kultiviert. Burkhard Ulrich spielt den hinterhältigen Mime mit sarkastischer Bosheit.
In seinem scharf konturierten Tenor steckt alle Verschlagenheit und Skrupellosigkeit der Welt. Lance Ryans vermeintlicher Heldentenor aber unterscheidet sich manchmal kaum von Mimes Stimmkarikatur. Lance Ryans Siegfried wirkt frequenzarm, zelebriert ein sich träge einschwingendes Vibrato und intoniert oft unsauber.
Wie ein junger Che Guevara aber ballert er mit einer Kalaschnikow Fafner ab und ist einem Schuljungen gleich entzückt vom Waldvogel, einer entlaufenen Revuetänzerin aus dem Friedrichstadt-Palast mit prächtiger Pfauenfederkorona:
Auch im real existierenden Sozialismus ist der Mensch, wie diese Revuedame, zur Ware verkommen, will uns Regisseur Frank Castorf wohl sagen. Industrialisierung und ökonomischer Fortschritt haben auch im Kommunismus nicht, wie auch sonst nirgends, zu mehr Menschlichkeit geführt. Überall waren und sind alle verdorben. Einen guten Menschen gibt es nicht, nicht einmal einen, der ein wenig etwas Gutes sucht. Aus der Stammtisch-Tristesse kommt Castorf nicht heraus.
Wagners Feier der großen Liebe zwischen Siegfried und Brünnhilde hält der Regisseur für gelogen. Gleichgültig hockt das Paar auf der Bierbank am Alex und füttert Krokodile mit Brot und Sonnenschirm. Die großen weiten Welten, die Wagners Musik zu bieten hat, stiftet in dürftiger Regiezeit immerhin der fabelhafte Kirill Petrenko als Dirigent.