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Liebesleid im Architekten-Heim

Der in Berlin lebende Schweizer Stefan Bachmann hat an der Staatsoper Unter den Linden sein Debüt als Opernregisseur in Deutschland gegeben. Besonders das Bühnenbild ist erwähnenswert, es stammt von Bachmanns Landsleuten, den Schweizer Architekten und Pritzker-Preisträgern Herzog und de Meuron. Und Daniel Barenboim setzt seine langjährige Auseinandersetzung mit Wagner fort.

Von Georg Friedrich Kühn |
    Sehr besonders ist die Bühne: ein Breitwandausschnitt, halbhoch gesetzt mit einer konkaven halbtransparenten Membran als Abschluss. Gleitende Haut- und Basreliefs sind damit möglich, wie Gipsabdrücke. Mal wird da wie im ersten Akt eine Schiffswand imaginiert, mal wie im zweiten eine Freitreppe vor einer mittelalterlichen Burg, mal eine Höhle, in deren Mitte eine Blase sich weitet wie eine Lichtöffnung im dritten Akt.

    Die Figuren bewegen sich wie in Trance: Isolde als eine Mischung aus Schneewittchen und Julia Timoschenko im weißen Brautkleid. Tristan erträumt sie sich mehr – ein Double im weißen Nachthemd. Der reale verwandelt sich dann in dessen Traumbild durch den Trank.

    Wie zu Salzsäulen erstarren die beiden Liebenden, Vampirblut tropft aus ihren Mündern, sie streifen sich des anderen Kleider über nach dem Liebestrank, der hier pur als Todestrank interpretiert ist.

    Das Liebesspiel im zweiten Akt ist eines wie von Toten aus fünf Meter Distanz, quasi mit künstlicher Befruchtung. Erst zum realen Liebestod rücken die beiden aneinander, ritzen sich die Arme auf. König Markes Schergen verbinden ihnen als erstes die Arme und halten sie dann an den Mullbinden fest – wie weiland Ludwig II. in einer Zwangsjacke.

    Tristans Höhle im dritten Akt auf Kareol ist inszeniert als gleichsam Defilee der Figuren, wie ein Todesfilm. Der Hirte, drapiert mit Overall und Flügeln als Merkur-Todesbote, schafft die Toten am Ende weg aus der Höhle. Isolde nimmt ihren Traum-Tristan an der Hand. Der Real-Tristan bleibt alleine.

    Ganz minimalistisch und vor allem durchs Licht facettenreich ist das gearbeitet: Sowohl im Bühnenbild der beiden Basler Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die hier erstmals überhaupt für die Bühne gewonnen wurden, wie auch von Stefan Bachmann als Regisseur.

    Bühne als gebaute Architektur – das mögen Herzog & de Meuron nicht. Die dritte Dimension ist bei ihnen quasi abgeschafft. Ihr Bühnenpodest hat kaum Tiefe. Kurwenal, von der Ausstatterin Annabelle Witt als eine Art Hundchen kostümiert, muss an den Schiffswanten im ersten Akt sich gebückt entlang hangeln, um die Botschaften zwischen Isolde und Tristan auszutauschen.

    Etwas von einem virtuellen Computerspiel hat das Ganze, zumal auch im dritten Akt. Spannung lässt sich damit nur bedingt erzeugen. Und das ist das eigentliche Manko dieser Inszenierung. Die Musik wird mehr unterlaufen als übersetzt.

    Umso dramatischer kann Daniel Barenboim am Pult der wunderbar konzentriert aufspielenden Staatskapelle die musikalischen Ströme lenken vom zartesten Pianissimo bis zum hochexplosiven Ausbruch. Von den Sängern kann vor allem René Pape brillieren als König Marke mit seinem so sonoren wie kontrollierten Ausdruck. Kraftvoll ist der Tristan von Peter Seiffert. Katarina Dalayman als Isolde überzeugt mit ihrem warmen Piano, in den dramatischen Partien wird sie sich sicher noch entwickeln.

    Viel Beifall gab es für die Sänger zu den Pausen und Jubel am Schluss. In den Applaus für Barenboim und die Staatskapelle mischten sich indes auch Buhs. Überwiegend mit Buhs empfangen wurde das Inszenierungsteam.

    Ein gewiss hochinteressantes Experiment ist ihnen mit ihrer Bühnenkonzeption gelungen, zumal für diese "musikalische Handlung", wie Richard Wagner den "Tristan" nannte. Als Modell für eine neue Art, Oper zu inszenieren, taugt es kaum. Zu viel an musikdramatischer Spannung bleibt hier doch auf der Strecke.

    Gleichwohl ist dieser "Tristan" etwas Einzigartiges. Und die alte Kupfer-Inszenierung am Haus von vor sechs Jahren mit ihrem ewigen Gekrabbele über Riesenskulpturen vergisst man dafür nur allzu gern.