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Lieder, die vom grausamen Schicksal singen

"Saudade" steht für Portugal, "Saudade" umschreibt ein Lebensgefühl zwischen unerfüllter Sehnsucht und Wehmut. Leidenschaftlich intoniert ist diese Haltung im Fado. Der im letzten Jahr von der Unesco zum Weltkulturerbe geadelt wurde und gut zur aktuellen Stimmung im Land passt.

Von Jochen Faget | 14.12.2012
    Schaurig, traurig, schön. Fado, die portugiesische Nationalmusik, ist ganz groß in Mode. Auch und gerade weil sie in Krisenzeiten ganz genau die Stimmung im Land trifft, meint der Musikwissenschaftler Rui Vieira Nery:

    "Im Augenblick herrscht in Portugal eine schwere Depression, die Menschen haben keine Hoffnung und den Glauben an die Zukunft verloren. Da trösten natürlich Lieder, die vom grausamen Schicksal singen, von unvermeidbarem Unglück. Und sie drücken die Ängste der Menschen aus."

    Kein Wunder, dass sogar die jungen Portugiesen wieder massenhaft in die Fado-Kneipen ziehen und Fado-Konzerte ausverkauft sind. Knapp 20 Jahre, nachdem der Fado totgesagt war, erlebt er jetzt eine Renaissance. Eine neue Generation junger Fado-Sänger und –Sängerinnen ist herangewachsen, die genauso populär sind wie internationale Popstars. Die 28jährige Carminho ist eine von ihnen. Auch sie findet:

    "In Momenten wie diesen suchen viele tiefere Werte. Da geht es um Tradition und Seele, denn die Menschen fühlen sich verloren. Da wird Oberflächliches unwichtig, schon aus dem einfachen Grund, weil wir es uns nicht mehr leisten können."

    Und was geht tiefer als Fado? Der sei schon bei seinen Anfängen im 19. Jahrhundert die musikalische Stimme des Volkes gewesen, stellt der Musikwissenschaftler Nery fest. Wurde in Kneipen und Bordellen gesungen, bei viel Rotwein und Zigarettenqualm. Und er sei immer sozialkritisch gewesen:

    "Der Fado war mit der Arbeiterbewegung eng verbunden. Ebenso mit den Republikanern und den Anarchisten. Es gibt Hunderte von klassenkämpferischen Fados über Marx, die russischen Anarchisten oder die portugiesischen Sozialisten. Sie kritisieren Privatbesitz, die herrschende Unmoral und sogar die Kirche."

    Im 20. Jahrhundert allerdings versuchte die portugiesische Diktatur, dem Fado seinen aufmüpfigen Stachel zu ziehen. Die Zensurbehörde, der alle Fadotexte vorgelegt werden mussten, wollte ein geschöntes Portugalbild, stellt Rita Oliveira vom Lissabonner Fado-Museum fest:

    "Bei manchen Fados wurden nur ein paar Zeilen oder Worte gestrichen. Aber auch ganze Lieder wurden zensiert. Weil sie das Leben als zu hart beschrieben, oder auch nur, weil sie die Kirche kritisierten. All das war verboten."

    Doch der Fado ließ sich nicht zähmen. Die Sozialkritik sei unterschwelliger geworden, erklärt der Musikwissenschaftler Nery. Die Autoren versteckten sie hinter Seefahrerklischees und Anspielungen, von denen jeder gewusst habe, was gemeint war:

    "Die Zensur konnte nicht verhindern, dass berühmte Interpreten wie Amalia Rodrigues sehr kritische Fados sangen. Das Lied 'Abandono' zum Beispiel handelt in Wahrheit vom Kommunistenführer Álvaro Cunhal, der als politischer Gefangener jahrelang eingesperrt war."

    Heute sind die Zeiten der Zensur längst vorbei. Die neuen, jungen Interpreten singen neue Texte. Ohne der alten Fado-Tradition untreu zu werden, garantiert die Nachwuchssängerin Carminho:

    "Fado beschreibt die Welt. Und weil die sich ändert, muss auch der Fado sich ändern. Aber das Wichtigste ist, der Fado tröstet. Er erzählt von zwischenmenschlichen Beziehungen. Darum berührt er uns zutiefst."

    Kein Wunder also, dass Fado wieder groß in Mode ist. Staatspleite, Arbeitslosigkeit, Steuererhöhungen und Sozialabbau beherrschen die täglichen Schlagzeilen im Land. Da ist Fado ganz einfach Honig für die geschundene Seele.