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Lieder von George Butterworth

"Großartig in dem, was er erreichte, noch großartiger in dem, was er versprach" - so begann im Jahre 1942 eine Sendung der BBC zu Ehren von George Butterworth. Gerade mal 31 Jahre alt ist dieser britische Komponist geworden. Im Ersten Weltkrieg fiel er als Infanterist in der Schlacht an der Somme in Nordfrankreich.

Von Falk Häfner |
    Um Lieder von George Butterworth geht es heute. Der britische Bariton Roderick Williams hat sie gemeinsam mit dem Pianisten Iain Burnside für das Label Naxos aufgenommen. - Englische Musik im wahrsten Sinne des Wortes, die ich Ihnen damit vorstellen möchte. Falk Häfner begrüßt Sie sehr herzlich am Mikrofon.

    " Loveliest of trees
    aus: "Six Songs from A Shropshire Lad" "

    Mit seinen Gedichten traf er den Nerv der Zeit wie kaum ein anderer: Alfred Edward Houseman, kurz genannt A. E. Houseman, veröffentlichte im Jahre 1896 einen Band mit 63 Gedichten. Ungewöhnlich für einen Wissenschaftler, der als einer der führenden Altphilologen seiner Zeit galt und als Professor am University College London, später auch in Cambridge lehrte. Seine akademische Arbeit nahm Houseman ernst. So ernst, dass er gelegentlich auch vor beleidigenden Angriffen auf seine Kollegen nicht zurückschreckte, wenn er deren wissenschaftliche Arbeit für schlecht befand. Genau dieser korrekte Vollblutwissenschaftler nun, der nie über seine "weiche Seite", seine Gedichte sprach - genau dieser Mann hielt schließlich 1933 doch eine Vorlesung über seine Lyrik. Und formulierte da die These, Poesie solle viel mehr das Gefühl als den Intellekt ansprechen.

    Hierin dürfte wohl der Schlüssel liegen, warum so viele englische Komponisten Housemans Gedichte aus der Sammlung "A Shropshire Lad" aufgriffen und vertonten. Sie fühlten sich angezogen von der Melancholie, die diese Gedichte durchzieht, von deren ausdrucksstarker Sprache und kraftvoller Symbolik.

    " When the lad for longing sighs
    aus: "Bredon Hill and Other Songs from A Shropshire Lad" "

    Von den vielen Komponisten, die A. E. Housemans Gedichte vertonten, ist in Großbritannien neben Ralph Vaughan Williams und Samuel Barber vor allem George Butterworth unvergessen geblieben. 1911/12 brachte er zwei Liedzyklen nach Gedichten von Houseman heraus: "Six Songs from a Shropshire Lad" und "Bredon Hill and other Songs". Und da offenbart sich das ganze Können des damals gerade mal 26-jährigen Komponisten: wie sensibel er für Sprache komponieren kann, welches melodische Gespür er besitzt und wie sparsam er die Klavierbegleitung einsetzt und doch zu größtmöglicher Wirkung kommt. "When the lad for longing sighs" ist dafür ein Musterbeispiel. Diese Ode an die Liebe, die von ihr ausgehende Ansteckungsgefahr und den Kummer, in den sie einen stürzen kann - diese Ode hat Butterworth wie ein Volkslied angelegt: unnachahmlich melodiös und schlicht und mit einem Klavierpart, der Strophe für Strophe variiert und immer mehr reduziert wird.

    Wohlgemerkt: Es ist die Zeit, als Arnold Schönberg in Wien gerade seinen Pierrot lunaire schreibt oder als in Paris Maurice Ravel an seiner ersten Orchestersuite zu "Daphnis et Chloé "sitzt... - Wie durch einen eisernen Vorhang scheint die Musikentwicklung Großbritanniens in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. vom Rest Europas und dessen avantgardistischen Strömungen abgetrennt zu sein. Man blickt stattdessen zurück, bespiegelt die Welt aus einer nostalgischen Perspektive und huldigt romantischen Idealen. Liebe, Leiden, Verlassenwerden und Tod, das sind die Themen der meisten Lieder von George Butterworth. Doch wie gekonnt, wie anrührend hat er deren Texte in Musik gesetzt..! Hier war - das klingt aus jedem seiner Lieder! - ein Berufener am Werk - einer, der sich aus gutem Grund gegen den Willen des Vaters und damit gegen die Juristerei entschied und stattdessen die Musik zu seinem Lebensinhalt machte...

    " on the idle hill of summer
    aus: "Bredon Hill and Other Songs from A Shropshire Lad" "

    Wie ein Fatum scheinen die meist um Vergänglichkeit und Tod kreisenden Gedichte von A. E. Houseman über der Biografie des George Butterworth zu schweben: Im Jahre 1916 starb der Komponist mit nur 31 Jahren auf einem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs. Und wurde damit für viele Briten posthum zu einem Nationalhelden, mehr noch: zu dem Vertreter englischer Musik schlechthin. Dass seine Musik so englisch klingt, dürfte auch mit seiner zweiten Leidenschaft zu tun gehabt haben: Butterworth sammelte englische Volkslieder. Außerdem war er einer der begabtesten Morris-Tänzer seiner Zeit und verstand es zudem auch noch, diese Volkstanz-Choreografien schriftlich festzuhalten. Das typisch Englische hatte er also nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Augen und den Füßen in sich aufgenommen.

    Es ist ein schöner Zufall, dass gerade Roderick Williams diese Lieder von Butterworth auf CD herausgebracht hat - er, den das in London erscheinende OPERA Magazine unlängst als "besten britischen Bariton" titulierte. Williams hat alles, was man sich von einem guten Liedsänger wünscht: Eine leichte, schlanke, warm timbrierte Stimme ohne zu viel Vibrato, makellose Intonation (selbst in den Randregistern), eine hervorragende Diktion, die jedes Wort verständlich macht und beeindruckendes gestalterisches Potenzial, um die kleinen, in den Liedern geschilderten Szenen tatsächlich zum Leben zu erwecken. - Egal, ob im leichtfüßigen "Seventeen come Sunday" mit seinen zahlreichen Nonsense-Phrasen, im anzüglichen Zwiegespräch eines aufdringlichen Herrn mit einer Magd im Lied "Roving in the dew" oder schließlich im Schlagabtausch zwischen Mutter und Tochter darüber, ob der Kerl mit den teerverschmierten Hosen denn nun tatsächlich der Richtige für die Tochter sei - zu erleben im Lied "Tarry trousers".

    " Seventeen comes Sunday

    Roving in the dew

    Tarry trousers
    aus: "Folk Songs from Sussex" "

    Charaktere darzustellen, das liegt Roderick Williams. Lustvoll verstellt der Brite seine Stimme, nimmt dabei auch schon mal einen bäuerlichen Sussex-Akzent an und hat keinerlei Hemmungen, vom Schönklang seiner Stimme abzugehen, wenn er damit den besungenen Gestalten mehr Profil verleihen kann.

    Schade, dass Roderick Williams hierzulande kaum zu erleben ist: Sein Wirkungsfeld scheint sich bislang doch eher auf Großbritannien zu konzentrieren, wo er als Lied-und Konzertsänger gut beschäftigt ist, aber auch als Opernsänger in Londons Covent Garden, der English National Opera, aber auch der Scottish Opera in Glasgow auftritt. Die von ihm aufgenommenen "Songs from A Shropshire Lad" und die "Folk Songs from Sussex" aus der Feder von George Butterworth sind eine hervorragende Visitenkarte, die Roderick Williams hoffentlich bald auch auf dem europäischen Festland bekannter machen. Bei Naxos ist dieses Album jetzt erschienen - der Bariton wird hierbei von Iain Burnside am Klavier bestens begleitet. Das war eine CD-Empfehlung von Falk Häfner.


    The English Song Series #20
    George Butterworth - Songs from A Shropshire Lad. Folk Songs from Sussex

    Roderick Williams, Bariton
    Iain Burnside, Klavier

    Label: Naxos
    Bestell-Nr.: 8.572426
    LC: 05537